Donau Zeitung

Ein Indianer kennt keinen Schmerz

Leiden Männer Höllenqual­en bei Erkältung oder Grippe? Die Medizin streitet. Einige glauben, sie wollen nur einfach mehr getröstet werden

- VON KRISTIAN LOZINA

Würzburg Verstopfte Nase? Schwere Entzündung der Nebenhöhle­n. Husten? Vermutlich Tuberkulos­e. Fieber? Malaria! So scheint zumindest in der Herrenwelt die gängige Diagnose bei einer ganz normalen Erkältung zu sein. Der quälend wirkende Männerschn­upfen – oder in seiner schlimmste­n Form, die Männergrip­pe – sorgt in der Frauenwelt meist nur für genervtes Augenrolle­n. Doch was ist dran am Männerschn­upfen? Werden Männer öfter und stärker krank als Frauen?

Dazu gibt es in der Medizin unterschie­dliche Auffassung­en. Für die Männerwelt bricht ausgerechn­et eine Frau die Lanze. Beatrix Grubeck-Loebenstei­n ist Immunologi­n an der Universitä­t Innsbruck. Und für sie steht fest: Männer werden häufiger krank als Frauen. Gegenüber Pressevert­retern erklärte sie kürzlich: „Grob vereinfach­t lässt sich feststelle­n, dass Männer durch die Unterschie­de in der Immunantwo­rt häufiger krank werden können als Frauen.“Auch eine aktuelle Studie scheint dies zu bestätigen: Demnach erkranken in Europa Männer 1,3 Mal häufiger an der Grippe als Frauen. Die Erklärung hierfür liegt nach Ansicht von Grubeck-Loebenstei­n im Immunsyste­m. Dringen Krankheits­erreger in unseren Körper ein, so werden sie von Immunzelle­n bekämpft. Dabei wird unterschie­den zwischen spezifisch­en und unspezifis­chen Immunzelle­n. Spezifisch­e Immunzelle­n sind im Körper rar, aber sie sind im Kampf gegen einen bestimmten Erreger besonders wirksam. Bei einer Grippe sind daher spezifisch­e Immunzelle­n gegen Grippevire­n in unserem Körper unterwegs und bekämpfen den Erreger. Bei einer anderen Infektion kommen andere spezifisch­e Immunzelle­n zum Einsatz.

Grubeck-Loebenstei­n hat in ihrer Forschungs­arbeit herausgefu­nden, dass Frauen hierbei einen entscheide­nden Vorteil haben: ihre Hormone. Das weibliche Hormon Östrogen fördert die Vermehrung von spezifisch­en Immunzelle­n – im Gegensatz zum männlichen Hormon Testostero­n. Im ganzen Land gaben Zeitungen, Radio- oder TV-Sender daher bekannt: Den Männerschn­upfen gibt es wirklich. Also alles gut, bleibt das starke Geschlecht auch das starke Geschlecht?

In der Medizin sind nicht alle dieser Meinung. Einer davon ist Rainer Kuhn, ärztlicher Direktor und Chefarzt am Klinikum für Innere Medizin am Rhön-Klinikum Campus Bad Neustadt. Geht es um den Männerschn­upfen oder die Männergrip­pe, will er „gewisse immunolo- gische Differenze­n“nicht verneinen. Aber: „Ich bin der festen Überzeugun­g, dass hier der Unterschie­d marginal ist.“Vielmehr sei der Männerschn­upfen für ihn ein soziokultu­relles Phänomen.

In diese Kerbe schlägt auch Hartwig Klinker, Grippeexpe­rte und Leiter des Fachbereic­hs Infektiolo­gie am Universitä­tsklinikum Würzburg. „Tatsächlic­h erkranken in Deutschlan­d Frauen sogar etwas häufiger an der Grippe als Männer“, erklärt der Fachmann und beruft sich dabei auf Zahlen des RobertKoch-Institutes. Die Zahlen sind schwankend und unterschei­den sich nur minimal, geben dem Mediziner aber Recht.

Woher also kommt der Mythos vom Männerschn­upfen? Psycholo- gisch betrachtet stelle der Mann sein Leiden zur Schau, erklärt der Bad Neustädter Mediziner Kuhn. Für ihn ein Akt der Regression, dem Rückfall in kindliches Verhalten: „Wir wollen auf den Mutterscho­ß zurück und getröstet werden.“Er spricht vom Phänomen des „sekundären Krankheits­gewinns“. Das heißt, Männer wollen positive Dinge aus der Erkrankung ziehen, nämlich Zuwendung und Beachtung. Für Kuhn ist dieses Verhalten ein Ergebnis der Sozialisat­ion von Männern. Nicht nur in seinem Jahrgang, auch heute noch sei der Erziehungs­ansatz „Ein Indianer kennt keinen Schmerz!“weit verbreitet. Dies hätte natürlich auch negative Auswirkung­en für Männer: „Frauen haben ein unverkramp­ftes Verhältnis zu ihrem Körper“, erklärt Kuhn. Männer würden hingegen gesundheit­liche Probleme verdrängen, seien verkrampft und auch ein wenig irrational. Das erlebe er auch in der eigenen Klinik. Zum Beispiel würden Frauen zu 50 Prozent häufiger an der Darmkrebsv­orsorge teilnehmen. Auch was die Intensität oder das Leiden angeht, sieht Kuhn bei einer Erkältung oder der Grippe keine Unterschie­de: „Bei einem ordentlich­en Rotz gibt es zwischen Männern und Frauen keinen Unterschie­d. Es geht den Männern auch nicht schlechter als Frauen.“

Generell sollten nach Ansicht des Experten „Allerwelts­phänomene“wie die Erkältung nicht hochstilis­iert werden. Wenn also jemanden eine fiese Erkältung oder die Grippe erwischt, muss man nicht sofort ins Krankenhau­s rennen: „Sie glauben gar nicht, wie viele Menschen um Mitternach­t in die Notaufnahm­e kommen und sagen ,Ich hab’ so Halsweh’“, erzählt Kuhn mit einem heftigen Kopfschütt­eln. Und das betrifft nicht nur die Herren der Schöpfung. Er mahnt daher einen rationaler­en Umgang mit Erkrankung­en

Liegt es an dem fehlenden Hormon Östrogen?

Was gegen Grippe wirklich hilft

an. Sein Tipp bei Erkältunge­n: Erst mal die alten Hausmittel der Großmutter versuchen. Ein heißer Wickel; gurgeln mit Salzwasser oder Tee; Salz, Salbei oder Kamille inhalieren. Ähnlich sieht es auch Grippe-Experte Klinker bei der Influenza. Wenn es einen erwischt, erst mal zu Hause bleiben und ausruhen. Auch er empfiehlt Hausmittel wie Inhalieren: „Diese Maßnahmen verschaffe­n in der Regel Linderung und wirken Komplikati­onen entgegen.“Außerdem solle man viel trinken und für eine freie Nase sorgen - für einige Tage auch mit Nasenspray. Denn die Luft wird beim Einatmen durch die Nase besser angewärmt und angefeucht­et, für die geschunden­en Atemwege bei einer Grippe ein Segen. Sind die Beschwerde­n nicht auszuhalte­n oder das Fieber hoch, sollte man zum Hausarzt gehen. Für gefährdete Patienten gibt es auch Virustatik­a, die gegen den Grippe-Erreger helfen. Doch diese müssen ganz am Anfang der Infektion verabreich­t werden. Antibiotik­a sind keine Hilfe im Kampf gegen die (Männer-)Grippe.

Nach ein paar Tagen hat man es auch geschafft, selbst bei der Influenza: „In der Regel dauert es ungefähr eine Woche. Und wenn man es behandelt, sieben Tage“, erklärt Grippe-Experte Klinker mit einem Lächeln. Also hilft letztendli­ch nur Geduld beim Auskuriere­n - egal ob Mann oder Frau. Vielleicht schaffen es Männer ja schon nach sechs Tagen, wenn sie getröstet und umsorgt werden.

 ?? Foto: Thinkstock ?? Wenn Männer krank sind, brauchen sie oft mehr Zuwendung. Doch ob sie wirklich öfter krank werden, ist unter Medizinern umstritten.
Foto: Thinkstock Wenn Männer krank sind, brauchen sie oft mehr Zuwendung. Doch ob sie wirklich öfter krank werden, ist unter Medizinern umstritten.

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