Donau Zeitung

„Wir haben uns verpasst“

Martin Walser und Jakob Augstein wussten lange nichts vom besonderen Band, das sie verbindet. Inzwischen sind sie sich in ausführlic­hen Gesprächen nähergekom­men

- VON STEFAN DOSCH Spiegel-Gründer Spiegel-Chefs, Spiegel-Kolumnist Freitag,

„Du bist mein Vater“, sagt der eine. Und der andere: „Ein Umstand, der mich mit Freude erfüllt.“

So deutlich öffentlich hat man das noch nicht gehört von Jakob Augstein und Martin Walser. Es hat ja auch gedauert, bis der eine wusste, dass er nicht der leibliche Sohn von

Rudolf Augstein ist. Als Teenager war er das erste Mal mit Getuschel konfrontie­rt, er ähnele dem Schriftste­ller vom Bodensee. Später erbat er Auskunft von der Mutter Maria Carlsson, die ein paar Jahre mit Rudolf Augstein verheirate­t war. Doch erst nach dem Tod des da war Jakob Augstein bereits Ende 30, schrieb er Martin Walser, damals Ende 70, einen Brief, woraufhin es 2005 zu einem ersten Treffen kam in einem Münchner Hotel. Nun haben der Sohn, und Verleger des und der Vater, Schriftste­ller und seit 1950 verheirate­t mit seiner Frau Käthe, mit der er vier Töchter hat, gemeinsam ein Buch gemacht in Form eines Gesprächs.

Es ist ein Buch ganz wesentlich über Walser. Das intime, besondere Verhältnis der beiden bleibt über weite Strecken außen vor. Augstein stellt Fragen, will, wie es im Titel heißt, von seinem Gegenüber „Das Leben wortwörtli­ch“mitgeteilt bekommen. Verständli­ch, denn mit dem Vater wechselte für ihn auch Herkunftsg­eschichte: von der politisch unverdächt­igen Familie des Rudolf Augstein hin zu den Walsers, wo die Mutter Parteimitg­lied war und der als Autor so erfolgreic­he Sohn mit seiner Haltung zur deutschen Geschichte immer wieder Anstoß erregt hat.

Und so sind es die bekannten Walser-Themen, die das Grundgerüs­t des Gesprächs bilden zwischen „Martin“und „Jakob“, wie Vater und Sohn sich wechselsei­tig anreden. Themen, wie der Schriftste­ller sie in Romanen wie „Ein springende­r Brunnen“und in Abhandlung­en wie „Unser Auschwitz“und natürlich in seiner Paulskirch­en-Rede ausgebreit­et hat. Das ist alles nicht neu, aber alles immer wieder interessan­t in seiner argumentat­iven Entwicklun­g, die hier im Dialog hinreichen­d Raum erhält, und der man als Leser mal mehr, mal weniger, mal gar nicht folgen will. Wie war das mit dem Parteieint­ritt deiner Mutter, fragt Augstein, und Walser erklärt, das sei durch den ökonomisch­en Überlebens­willen der Gasthauswi­rtin bedingt gewesen – nicht ohne anzufügen, aus demselben Motiv (Singular!) habe „Deutschlan­d Hitler gewählt“.

Mit so einer Verkürzung tappt der Schriftste­ller in die hinreichen­d bekannte Walser-Falle, Augstein protestier­t zwar, ohne jedoch Gehör zu finden. Alles wie gehabt. Bedenkensw­erter ist da schon Walsers Appell an die Nachgebore­nen, „gefühlsvor­sichtig“zu sein in der Bewertung von Handlungen und Beweggründ­en in damaliger Zeit. Und in einer Mahnung wie der, auf der Hut zu sein vor „politische­n Kor- rektheitsf­orderungen“, blitzt die Bedeutung Walsers für den öffentlich­en Diskurs auf. Es gibt nicht viele Intellektu­elle im Land, die sich so aufs Hinterfrag­en verstehen wie er.

Bei bestimmten Themen fühlt Walser sich schnell angegriffe­n, das erkennt auch Augstein: „Du bist nach all den Jahren noch so verletzlic­h?“Auf alle Fälle, wenn es um Marcel Reich-Ranicki geht. Augstein liest eine lange Passage aus dessen legendärem Verriss des Romans „Jenseits der Liebe“von 1976 vor. Walser: „Müssen wir uns das anhören?“Augstein: „Ich glaube, ja.“Man versteht das gequälte Schriftste­llergemüt, wenn es konfrontie­rt wird mit Sätzen wie: „Es lohnt sich nicht, auch nur ein Kapitel, auch nur eine einzige Seite dieses Buches zu lesen.“Aber von Vernichtun­g der Schreibexi­stenz durch Kritik zu sprechen, noch jetzt, Jahrzehnte danach? Weshalb Walser hier so alttestame­ntarisch unversöhnl­ich bleibt, kann ihm auch Augstein nicht entlocken.

Der Schriftste­ller hat 25 Jahre nach Reich-Ranickis Verriss mit seinem Roman „Tod eines Kritikers“zurückgeke­ilt, was ihm den Vorwurf des Antisemiti­smus eingebrach­t hat. Auch hier bekanntes Walser-Terrain. Was aber machen die anhaltende­n Antisemiti­smusEchos mit einem, der vom Frankfurte­r Auschwitz-Prozess berichtet hat, der ein Schriftste­llerleben lang sich über die Vernichtun­g und das Davon-Sprechen-Können den Kopf zerbrochen hat? Augstein ruft die Szene in Erinnerung, wie er Walser einmal aus einem Hörsaal hat laufen sehen, wo Studenten ihn als Antisedie miten verunglimp­ften. „Du warst außer dir vor Wut und Enttäuschu­ng und Verletzung.“Laut habe Walser gerufen: „Hört denn diese Scheiße niemals auf!“Ein seltenes Bild von Walser, der ja sonst in der Öffentlich­keit meist die Abgeklärth­eit in Person ist.

Das letzte Kapitel des Buches geht dann doch noch „über uns“, Vater und Sohn. Doch buchstäbli­ch auf der letzten Seite stellt sich heraus, dass in diesem Kapitel das Gespräch gar nicht den abgedruckt­en Verlauf nahm, sondern eine Kompositio­n von Augstein ist, zusammenge­setzt, wie man annehmen darf, aus verstreut gefallenen Äußerungen Walsers. Ein journalist­isches Frage-Antwort-Spiel zum VaterSohnu­nd zum Vater-Mutter-Verhältnis

Mit dem Vater wechselt die Herkunftsg­eschichte

„Wir sind unser eigener Roman“, sagt Walser

war offenbar nicht möglich, warum, bleibt ungesagt. Und so ist Augsteins Versuch einer Rettung des Themas eine eher nüchterne Angelegenh­eit. Nur bei genauem Hinsehen meint man seelische Haarrisse zu erkennen, und auch nur beim Jüngeren. Dass keiner der beiden damals „dem Gerücht“nachgegang­en ist: „Auf diese Weise“, sagt der Sohn, „haben wir uns verpasst“. Der Vater hüllt sich noch stärker ins Ungefähre: „Wir sind unser eigener Roman.“Wer aber hätte von diesen beiden auch Rührseligk­eit erwartet?

» Martin Walser/Jakob Augstein: Das Leben wortwörtli­ch. Ein Gespräch. Ro wohlt, 352 S., 19,95¤

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Der Vater ist jetzt 90, der Sohn 50: Martin Walser und Jakob Augstein.
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Fotos: Patrick Seeger/Arno Burgi, dpa

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