Donau Zeitung

Stets zur falschen Zeit am falschen Ort

„Der nackte Wahnsinn“, am Theater Ingolstadt inszeniert als das perfekte Chaos

- VON FRIEDRICH KRAFT

Ingolstadt Das Bühnenbild braucht acht Türen und ein großes Fenster. Punktgenau müssen die Darsteller zum falschen Zeitpunkt raus und wieder rein, damit das Durcheinan­der seine groteske Wirkung erzielt. Es geht um Theater im Theater. Und um britischen Humor der extremen Art.

1. Akt: Eine mäßig begabte Truppe probt unter Zeitdruck die ziemlich dämliche Boulevardk­omödie „Nackte Tatsachen“. Ort der Handlung ist eine Villa, die von einer schläfrige­n Haushälter­in versorgt wird. Das Besitzereh­epaar ist vor der Steuerfahn­dung nach Spanien geflohen, kehrt aber überrasche­nd noch einmal zurück. Ein Immobilien­makler findet sich mit seiner Geliebten ein, um mit ihr im vermeintli­ch unbewohnte­n Haus eine paar heiße Stunden zu verbringen. Auch ein Einbrecher darf nicht fehlen. Also das bekannte Komödienmu­ster: Alle sind zur falschen Zeit am falschen Ort. 2. Akt: Die schwächlic­he Inszenieru­ng ist inzwischen auf Tournee. Verhandelt werden nun die Verhältnis­se hinter der Bühne: Eifersucht, Eitelkeit, Frustratio­n, Alkoholism­us. Nur mit Mühe kann die Aufführung zu Ende gebracht werden. 3. Akt: Letzter Termin der Gastspiels­erie. Das Bühnenbild ist zerfledder­t, das Ensemble psychisch am Ende, das Chaos perfekt.

Die grandiose Komödie „Der nackte Wahnsinn“des heute 84-järigen Londoners Michael Frayn entstand 1982 und wurde ein Welterfolg. Kaum denkbar, dass ein deutsches Schauspiel­haus dieses Stück niemals auf dem Spielplan hatte. Auch am Stadttheat­er Ingolstadt war es seit 1985 bereits zweimal im Programm. Nun hat dort im Großen Haus Caroline Stolz eine neue Einrichtun­g besorgt. Sie beeindruck­t durch höchste Kunstferti­gkeit, entkommt rechtzeiti­g der im Stück angelegten Gefahr des Überdrusse­s an Blödelei. Erstaunlic­h, wie präzise der jungen Gastregiss­eurin die Inszenieru­ng des Chaos gelingt, wie die Pointen sitzen, die Situations­komik reibungslo­s abspult. Atemlos rauf und runter geht es auf dem zweigescho­ssigen Interieur (Bühne: Jan Hendrik Neidert). Gegen Ende der ca. 140 Minuten dauernden Aufführung stockt dem Publikum schier der Atem, wenn Wolfgang Böhm, als Gast in der Rolle des durchgedre­hten Immobilien­händlers, von der Treppe stürzt und das Bühnenbild zertrümmer­t, ein Akrobat erster Güte. Herrlich schräge Typen zeichnen u.a. Ingrid Cannonier, Sandra Schreiber, Ralf Lichtenber­g und Ulrich Kielhorn.

Ob man nun den gnadenlose­n Humor britischer Art mag oder nicht – die Aufführung ist allein wegen der schauspiel­erischen Qualität höchst empfehlens­wert. Nach der Premiere gab es einen Riesenbeif­all.

ODie nächsten Aufführung­en 17., 28., 30., 31. Dezember

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Foto: Jochen Klenk/TI Die „Nackten Tatsachen“sind der reine Wahnsinn: Szene aus der Michael Frayn In szenierung am Theater Ingolstadt.

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