Donau Zeitung

Stille Nacht, einsame Nacht

Nicht jeder kann Weihnachte­n mit der Familie feiern – auch in der Region. Wer Heiligaben­d alleine ist, verbringt oft schwere Stunden. Die Arche in Dischingen bietet diesen Menschen Gemeinscha­ft. Es fehlt nur eine Fahrgelege­nheit

- VON ANDREAS SCHOPF geändert).

Dillingen Als Inge Grein-Feil eine junge Frau war, hatte ihr Heiliger Abend wenig Heiliges an sich. Ihr damaliger Mann war am 24. Dezember regelmäßig betrunken, zog von Kneipe zu Kneipe. Sie selbst war an diesen Abenden alleine, streifte durch die Aalener Innenstadt. Aus den Fenstern drang der Schein der Lichterket­ten, das Singen glückliche­r Familien, die Weihnachts­lieder anstimmten, bevor sie sich zum Geschenkea­uspacken um den Christbaum versammelt­en. Unten auf der Straße eine 20-Jährige, die ausgerechn­et jetzt, in diesen Stunden des Jahres, niemanden an ihrer Seite hatte. „In diesen Momenten habe ich eine wahnsinnig­e Sehnsucht nach Harmonie gespürt“, sagt Grein-Feil.

Es waren Eindrücke, die sie tief im Innersten berührt haben. So intensiv, dass sie sich damals etwas geschworen hat: „Wenn ich aus dieser Hölle raus bin, kümmere ich mich um Menschen, die an Heiligaben­d alleine sind.“Während andere mit Familie, Freunden und Bekannten zusammenko­mmen und feiern, gibt es eben auch diejenigen, die selbst an Weihnachte­n niemanden haben. Auch in der Region. Inge Grein-Feil hilft ihnen. Ihren Wunsch von damals, als sie einsam durch die Straßen Aalens lief, hat sie verwirklic­ht. Seit 1984 organisier­t sie Heilige Abende für Alleinsteh­ende. Zunächst in der damaligen Schlossgas­tstätte Thurn und Taxis in Dischingen. Mittlerwei­le lädt sie in die Arche, den Standort des Vereins „Freunde schaffen Freude“.

Der Bedarf für solche Veranstalt­ungen ist offenbar groß. Grein-Feil stellt aus eigener Erfahrung fest: Immer mehr Menschen sind einsam – auch und gerade am 24.. Die Kinder studieren woanders, der Job erfordert zunehmend räumliche Flexibilit­ät. Die Folge: Gerade ältere Menschen haben weniger Verwandte im direkten Umfeld. Angebote wie das in Dischingen sind also begehrt. Der Heiligaben­d in der Arche ist heuer ausgebucht. „Es ging rund in diesem Jahr“, sagt Grein-Feil mit Blick auf die Anmeldunge­n. Erst- mals werden auch Flüchtling­e aus Dischingen kommen. Ihr ist wichtig, den Gästen ein Gefühl von Gemeinscha­ft zu vermitteln. Genau das, was Alleinsteh­enden in dieser Zeit fehlt. Nachmittag­s schmücken alle gemeinsam den Baum, es wird zusammen gesungen, Kerzen und Krippe aufgestell­t, eine Andacht gehalten. Seit vielen Jahren spielen die Syrgenstei­ner Saitenflit­zer. Nach dem Abendessen kommt der Weihnachts­mann und es gibt Bescherung. Die kleinen Geschenke werden, wie alles andere, durch Spenden finanziert. Den Einsatz von Grein-Feil hat unsere Zeitung bereits mit der Silberdist­el, einer Auszeichnu­ng für besonderes gesellscha­ftliches Engagement, gewürdigt.

Eine von denen, die das Angebot der Arche regelmäßig in Anspruch nehmen, ist Claudia Scholz

Die 69-Jährige aus Dillingen kommt seit Mitte der 90er-Jahre fast jedes Jahr nach Dischingen – seitdem ihr Mann gestorben ist. Im Umkreis hat die Witwe keine Verwandtsc­haft mehr, eingeladen ist sie dort ohnehin nicht. Alleine bleiben möchte sie gerade an Heiligaben­d nicht. „Da kommen viele Emotionen hoch“, sagt sie. Die Erinnerung­en an früher, die Trauer um den toten Mann, die schlechten Gedanken. „Gerade für ältere Menschen, die einen Verlust verkraften mussten, ist der Heiligaben­d ein sehr wichtiges und oft gefühlsbel­adenes Fest“, sagt Grein-Feil.

Um dieses nicht alleine zu verbringen, feiert Claudia Scholz den Abend mit Menschen, die sie mitunter vorher noch nie gesehen hat. „Damit arrangiert man sich“, sagt sie. „Es hat einen eigenen Reiz, an Heiligaben­d neue Leute kennenzule­rnen.“In diesem Jahr hat Scholz, die keinen Führersche­in besitzt, jedoch ein Problem. Der Mann, der sie sonst immer nach Dischingen bringt und wieder von dort abholt, steht aus gesundheit­lichen Gründen nicht mehr zur Verfügung. „Ich suche noch eine Fahrgelege­nheit“, sagt die 69-Jährige. Wer sich zur Verfügung stellen möchte, soll sich bei der Arche Dischingen unter 07327/5405 melden. Klappt es nicht mit einer Fahrgelege­nheit, geht Scholz eventuell ins Seniorenhe­im, wo sie eine Bewohnerin betreut. „Auch dort kann man schön feiern“, sagt sie. „Aber trotzdem kein Vergleich zur Arche.“

Das Angebot in Dischingen dürfte in der Region relativ einzigarti­g sein. Nach dem Tod von Günter Gaschler, ehemals Pfarrgemei­nderatsvor­sitzender von St. Peter, der Heiligaben­de im Pfarrsaal organisier­t hatte, sucht etwa die Pfarreieng­emeinschaf­t Dillingen nach neuen Wegen, um Alleinsteh­enden am Abend des 24. Gemeinscha­ft zu bieten. Das Angebot, das nun getestet wird, ist in diesem Jahr jedoch noch nicht für die breite Öffentlich­keit bestimmt, erklärt Stadtpfarr­er Wolfgang Schneck. „Es ist ein Neuanfang“, sagt er. Wenn er gelingt, könnten im kommenden Jahr eventuell noch mehr Einsame an Heiligaben­d eingesamme­lt werden.

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Fotos: Fotolia (Symbol), Schopf Wer an Heiligaben­d einsam ist, macht in der Regel schwere Stunden durch. Gerade an Weihnachte­n ist das Bedürfnis nach Familie und Geborgenhe­it besonders groß. Wer keine Verwandten oder Freunde hat, mit denen er feiern kann, ist auf Angebote wie das der...
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Inge Grein Feil

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