Stille Nacht, einsame Nacht
Nicht jeder kann Weihnachten mit der Familie feiern – auch in der Region. Wer Heiligabend alleine ist, verbringt oft schwere Stunden. Die Arche in Dischingen bietet diesen Menschen Gemeinschaft. Es fehlt nur eine Fahrgelegenheit
Dillingen Als Inge Grein-Feil eine junge Frau war, hatte ihr Heiliger Abend wenig Heiliges an sich. Ihr damaliger Mann war am 24. Dezember regelmäßig betrunken, zog von Kneipe zu Kneipe. Sie selbst war an diesen Abenden alleine, streifte durch die Aalener Innenstadt. Aus den Fenstern drang der Schein der Lichterketten, das Singen glücklicher Familien, die Weihnachtslieder anstimmten, bevor sie sich zum Geschenkeauspacken um den Christbaum versammelten. Unten auf der Straße eine 20-Jährige, die ausgerechnet jetzt, in diesen Stunden des Jahres, niemanden an ihrer Seite hatte. „In diesen Momenten habe ich eine wahnsinnige Sehnsucht nach Harmonie gespürt“, sagt Grein-Feil.
Es waren Eindrücke, die sie tief im Innersten berührt haben. So intensiv, dass sie sich damals etwas geschworen hat: „Wenn ich aus dieser Hölle raus bin, kümmere ich mich um Menschen, die an Heiligabend alleine sind.“Während andere mit Familie, Freunden und Bekannten zusammenkommen und feiern, gibt es eben auch diejenigen, die selbst an Weihnachten niemanden haben. Auch in der Region. Inge Grein-Feil hilft ihnen. Ihren Wunsch von damals, als sie einsam durch die Straßen Aalens lief, hat sie verwirklicht. Seit 1984 organisiert sie Heilige Abende für Alleinstehende. Zunächst in der damaligen Schlossgaststätte Thurn und Taxis in Dischingen. Mittlerweile lädt sie in die Arche, den Standort des Vereins „Freunde schaffen Freude“.
Der Bedarf für solche Veranstaltungen ist offenbar groß. Grein-Feil stellt aus eigener Erfahrung fest: Immer mehr Menschen sind einsam – auch und gerade am 24.. Die Kinder studieren woanders, der Job erfordert zunehmend räumliche Flexibilität. Die Folge: Gerade ältere Menschen haben weniger Verwandte im direkten Umfeld. Angebote wie das in Dischingen sind also begehrt. Der Heiligabend in der Arche ist heuer ausgebucht. „Es ging rund in diesem Jahr“, sagt Grein-Feil mit Blick auf die Anmeldungen. Erst- mals werden auch Flüchtlinge aus Dischingen kommen. Ihr ist wichtig, den Gästen ein Gefühl von Gemeinschaft zu vermitteln. Genau das, was Alleinstehenden in dieser Zeit fehlt. Nachmittags schmücken alle gemeinsam den Baum, es wird zusammen gesungen, Kerzen und Krippe aufgestellt, eine Andacht gehalten. Seit vielen Jahren spielen die Syrgensteiner Saitenflitzer. Nach dem Abendessen kommt der Weihnachtsmann und es gibt Bescherung. Die kleinen Geschenke werden, wie alles andere, durch Spenden finanziert. Den Einsatz von Grein-Feil hat unsere Zeitung bereits mit der Silberdistel, einer Auszeichnung für besonderes gesellschaftliches Engagement, gewürdigt.
Eine von denen, die das Angebot der Arche regelmäßig in Anspruch nehmen, ist Claudia Scholz
Die 69-Jährige aus Dillingen kommt seit Mitte der 90er-Jahre fast jedes Jahr nach Dischingen – seitdem ihr Mann gestorben ist. Im Umkreis hat die Witwe keine Verwandtschaft mehr, eingeladen ist sie dort ohnehin nicht. Alleine bleiben möchte sie gerade an Heiligabend nicht. „Da kommen viele Emotionen hoch“, sagt sie. Die Erinnerungen an früher, die Trauer um den toten Mann, die schlechten Gedanken. „Gerade für ältere Menschen, die einen Verlust verkraften mussten, ist der Heiligabend ein sehr wichtiges und oft gefühlsbeladenes Fest“, sagt Grein-Feil.
Um dieses nicht alleine zu verbringen, feiert Claudia Scholz den Abend mit Menschen, die sie mitunter vorher noch nie gesehen hat. „Damit arrangiert man sich“, sagt sie. „Es hat einen eigenen Reiz, an Heiligabend neue Leute kennenzulernen.“In diesem Jahr hat Scholz, die keinen Führerschein besitzt, jedoch ein Problem. Der Mann, der sie sonst immer nach Dischingen bringt und wieder von dort abholt, steht aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr zur Verfügung. „Ich suche noch eine Fahrgelegenheit“, sagt die 69-Jährige. Wer sich zur Verfügung stellen möchte, soll sich bei der Arche Dischingen unter 07327/5405 melden. Klappt es nicht mit einer Fahrgelegenheit, geht Scholz eventuell ins Seniorenheim, wo sie eine Bewohnerin betreut. „Auch dort kann man schön feiern“, sagt sie. „Aber trotzdem kein Vergleich zur Arche.“
Das Angebot in Dischingen dürfte in der Region relativ einzigartig sein. Nach dem Tod von Günter Gaschler, ehemals Pfarrgemeinderatsvorsitzender von St. Peter, der Heiligabende im Pfarrsaal organisiert hatte, sucht etwa die Pfarreiengemeinschaft Dillingen nach neuen Wegen, um Alleinstehenden am Abend des 24. Gemeinschaft zu bieten. Das Angebot, das nun getestet wird, ist in diesem Jahr jedoch noch nicht für die breite Öffentlichkeit bestimmt, erklärt Stadtpfarrer Wolfgang Schneck. „Es ist ein Neuanfang“, sagt er. Wenn er gelingt, könnten im kommenden Jahr eventuell noch mehr Einsame an Heiligabend eingesammelt werden.