Donau Zeitung

Europa braucht starke Regionen, aber keine neuen Nationalst­aaten

Konflikte wie in Katalonien müssen innenpolit­isch gelöst werden. Warum Deutschlan­d und das italienisc­he Südtirol als Vorbilder dienen können

- VON WINFRIED ZÜFLE w.z@augsburger allgemeine.de

Während sich Großbritan­nien aus der Europäisch­en Union verabschie­det, kann es sich nicht einmal des eigenen Zusammenha­lts sicher sein. 2014 ist zwar ein Referendum über die Unabhängig­keit Schottland­s gescheiter­t, aber die Abspaltung dieses Landesteil­s vom „Vereinigte­n Königreich Großbritan­nien und Nordirland“steht weiter im Raum. Gleiches gilt für Spanien: Dort haben die Katalanen nach einem illegalen Referendum ihre Region für unabhängig erklärt – was die spanische Regierung und die Justiz allerdings aufhoben. Doch der Konflikt schwelt weiter.

Zersplitte­rung allenthalb­en? Nationalis­tische Tendenzen machen sich in immer mehr Regionen Europas breit. Dass in Belgien Flamen und Wallonen die Zwangsehe am liebsten auflösen würden, ist seit langem bekannt. Aber auch in Italien gibt es Autonomieb­estrebunge­n in den wohlhabend­en Regionen Lombardei und Venetien.

Hat dieser Trend nicht auch gute Seiten? Träumen nicht viele sogar von einem „Europa der Regionen“? Die Rolle der kleinen Einheiten zu stärken, ist gewiss nicht verkehrt. Es entspricht dem Prinzip der Subsidiari­tät, jene Aufgaben nach unten zu verlagern, die dort am besten erledigt werden können. Aber die Vorkämpfer eines autonomen Katalonien­s oder eines selbststän­digen Schottland­s wollen sich nicht mit zusätzlich­en Kompetenze­n begnügen. Sie streben kein „Europa der Regionen“an. Sie wollen vielmehr neue Nationalst­aaten ausrufen und damit neben die Regierunge­n in Madrid und London treten. Einen Europa-reformeris­chen Ansatz verfolgen sie nicht.

Für die EU, die derzeit 28 Mitgliedst­aaten hat, wäre es kein Gewinn, wenn sich – bei gleichblei­bender Fläche und Einwohners­chaft – die Zahl der Regierunge­n weiter erhöht. Bereits jetzt ist es schwer genug, in den Führungsgr­emien einstimmig­e Abstimmung­sergebniss­e zu erzielen. Wenn durch Abspaltung­en weitere Regierunge­n hinzukomme­n, steigt die Gefahr, dass es künftig Staaten erster und zweiter Ordnung geben wird – ein Rückschrit­t für die europäisch­e Idee.

Angesichts des Unbehagens, das ein mögliches Verschmelz­en zu den „Vereinigte­n Staaten von Europa“bei Bürgern und Politikern auslöst, wird sich Europa realistisc­herweise auch künftig aus Nationalst­aaten zusammense­tzen. Dann aber muss die Zukunft der Regionen nicht außerhalb, sondern in den Nationalst­aaten gesucht werden. Vorbildlic­h ist ein föderaler Staatsaufb­au wie in Deutschlan­d. Spanien dagegen wird seinen Zentralism­us abbauen müssen, damit auch Katalonien seine Eigenheite­n ausleben und vom Ertrag der dort geleistete­n Arbeit profitiere­n kann.

Das beste Beispiel für die gelungene Integratio­n einer aufbegehre­nden Region in einen Staat bietet Südtirol. Vor wenigen Jahrzehnte­n verübten Nationalis­ten dort noch Bombenatte­ntate. Doch mit der Gewährung von Autonomie und der Garantie der Minderheit­enrechte, zu denen auch die Mehrsprach­igkeit zählt, konnte Italien den alpinen Landstrich befrieden. Die autonome Region Trentino-Südtirol ist heute die wohlhabend­ste Gegend Italiens und rangiert auch europaweit vorne. Die oft chaotische italienisc­he Politik löst zwar bei manchem Südtiroler Kopfschütt­eln aus, der Wohlstand lässt das Urteil über Rom dennoch milde ausfallen.

Dass die neue Regierung in Wien jetzt mit dem Angebot einer doppelten Staatsbürg­erschaft für Südtiroler dazwischen­funken will, ist kontraprod­uktiv. Solches Handeln entspringt nationalis­tischen Fantasien im rechtspopu­listischen Lager. Mit wohlversta­ndener Regionalis­ierung hat dies nichts zu tun. Vielmehr könnte es darüber sogar zu einem ernsten Konflikt zwischen zwei EU-Staaten kommen.

Unruheregi­on wurde zum reichsten Landesteil

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