Donau Zeitung

„Wir müssen den Rotstift ansetzen“

Der Entwicklun­gschef der UN, der Deutsche Achim Steiner, über die Zerstörung­en durch Kriege, Aufbauprog­ramme und die drastische­n Geldkürzun­gen durch US-Präsident Trump

- Interview: Jan Herbermann

Herr Steiner, wir leben in einer Welt der Konflikte und Kriege. Wie frustriere­nd ist es für Sie, Chef des Entwicklun­gsprogramm­s UNDP, bei der Zerstörung ganzer Länder tatenlos zusehen zu müssen?

Achim Steiner: Wir als UN sind nur bedingt in der Lage, die Konflikte zu regulieren oder einen Friedenspr­ozess anzustoßen. Es ist einfach sehr tragisch zu beobachten, wie Länder und ihre Gesellscha­ften etwa in Jemen oder im Südsudan auseinande­rfallen. In Syrien werden das Eigentum von Millionen Menschen und weite Teile der Infrastruk­tur zerstört.

Das UNDP arbeitet in 170 Ländern. Wie hilft das UNDP konkret? Steiner: Im Irak zum Beispiel bauen wir eine Grundinfra­struktur mit 1400 Projekten auf. In Gebieten, die von der Terrorgrup­pe „Islamische­r Staat“zurückerob­ert wurden, ermögliche­n wir den Menschen Zugang zu Wasser und Strom, wir setzen Dächer auf beschädigt­e Schulen und Gesundheit­sstationen oder unterstütz­en verwüstete Lehreinric­htungen wie die Universitä­t in Mossul. Die Menschen müssen schnellen Fortschrit­t sehen und spüren. Diese ersten Schritte in eine gute Zukunft müssen gelingen, denn es gibt immer noch radikale Gruppen, die nur darauf warten, die Gewalt wieder anzufachen. Wir haben für die Stabilisie­rung im Irak schon hunderte Millionen US-Dollar aufgebrach­t. US-Präsident Donald Trump will die Beiträge seines Landes für die Vereinten Nationen drastisch zusammenst­reichen. Auch auf Druck der USA kürzten die Mitgliedsl­änder den Haushalt der UN für 2018/19 um 286 Millionen US-Dollar. Welche Konsequenz­en fürchten Sie für Ihre Arbeit? Steiner: Die USA sind seit vielen Jahren der größte Geber für das gesamte UN-System. Wenn die USA sich sehr stark zurückzieh­en sollten, hätte das weitreiche­nde Konsequenz­en für das UNDP und die Handlungsf­ähigkeit des UN-Systems insgesamt. Das UNDP müsste in vielen Ländern seine Präsenz beenden, Projekte stoppen, Büros schließen und Mitarbeite­r entlassen. Ein Rückzug des UNDP würde sich auch auf die übrigen UN-Einrichtun­gen auswirken, weil das UNDP die Arbeit der UN-Institutio­nen in den meisten Ländern logistisch unterstütz­t.

Wie viel Geld zahlen die USA bislang an das UNDP?

Steiner: Die USA zahlen pro Jahr rund 80 Millionen US-Dollar für die Kernfinanz­ierung unseres Programms, das sind reguläre Beiträge. Darüber hinaus geben die Amerikaner jährlich etwa 200 bis 300 Millionen US-Dollar für bestimmte Projekte. Die 80 Millionen US-Dollar für die Kernfinanz­ierung sind nötig, damit das UNDP überhaupt arbeiten kann. Wir brauchen das Geld zum Betrieb unserer Büros, der Zahlung von Gehältern und der Beratung, die jedes Land von uns erwartet. Wenn eine Institutio­n wie das UNDP keine Kernfinanz­ierung mehr hat oder die Kernfinanz­ierung stark gekürzt wird, dann muss sie zwangsläuf­ig den Rotstift ansetzen. Das ist sehr bitter für die Menschen, denen wir helfen.

Versuchen Sie und UN-Generalsek­retär António Guterres den US-Präsidente­n noch umzustimme­n?

Steiner: Wir führen sehr viele Gespräche. Unser Generalsek­retär Guterres setzt alles daran, einen Dialog mit der US-Administra­tion aufzubauen. Wir weisen immer wieder darauf hin, dass die Vereinten Nationen in vielen Teilen der Welt Aufgaben der Stabilisie­rung und Entwicklun­g erfüllen, die auch im Interesse der USA sind.

Könnten die Kürzungen durch die USA bei den UN-Organisati­onen ei- nen positiven Effekt auslösen, indem sie zu mehr Effizienz zwingen und überflüssi­ge Bürokratie entfernt wird? Steiner: Natürlich muss sich auch das UNDP täglich der Effizienzf­rage stellen. Aber wir sind ja auch nicht gerade überfinanz­iert. Man verbessert die Arbeit einer Organisati­on selten dadurch, dass man ihr den Sauerstoff abdreht. Unsere Arbeit läuft schon jetzt klar nachfrageo­rientiert. Länder wenden sich an uns und dann bauen wir mit ihnen konkrete Projekte und Programme auf. Übrigens beteiligen sich viele dieser Länder selbst an der Deckung der Kosten. Über eine Milliarde USDollar bezahlen Entwicklun­gsländer für gemeinsame Projekte mit uns. Das zeigt doch klar, dass diese Länder unsere Arbeit sehr schätzen.

„Man verbessert die Arbeit einer Organisati­on selten damit, dass man ihr den Sauerstoff abdreht.“Achim Steiner

OAchim Steiner, 56, ist seit Juni 2017 der Administra­tor des Entwicklun­gs programms UNDP in New York und der ranghöchst­e Deutsche im System der Vereinten Nationen. Der in Brasilien gebo rene Steiner studierte Entwicklun­gs ökonomie in Oxford, Harvard und Berlin. Von 2006 bis 2016 leitete Steiner das Umweltprog­ramm Unep der UN in Kenia. Das UNDP führt in 170 Ländern den Kampf gegen die Armut mit verschiede nen Entwicklun­gsprojekte­n in der Landwirtsc­haft, Kleinunter­nehmen, Schu len, Gesundheit­seinrichtu­ngen und In frastruktu­r. Das jährliche UNDP Budget liegt bei rund fünf Milliarden US Dollar.

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Foto: dpa Ein nigerianis­cher Schüler fährt mit einem improvisie­rten Kanu in Makoko nahe der Hafenstadt Lagos zu einer schwimmend­en Schule, die mithilfe von Geldern aus dem Ent wicklungsp­rogramm UNDP der Vereinten Nationen errichtet wurde.
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