Donau Zeitung

Und Friede auf Erden?

Aus gegebenem Anlass: Was sich aus dem zurücklieg­enden Jahrhunder­t der Weltkriege lernen lässt

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

Die Warnung ist deutlich: „Ein Vierteljah­rhundert nach dem Zusammenbr­uch der alten Weltordnun­g wird auch der Krieg als Mittel der Konfliktlö­sung wieder denkbar. Sogar die Legitimati­on des Angriffs als Auftakt eines vorgeblich gerechten Krieges erfährt eine neue Konjunktur. Selbst in Europa.“Schlimmes Szenario. Aber ist das nicht übertriebe­n? Beim Erlanger Geschichts­professor Gregor Schöllgen erscheint es als folgericht­ig. Denn er blickt aus der Erfahrung der vergangene­n hundert Jahre auf unsere Gegenwart. Und diese Prinzipien seien eben geblieben: Verunsiche­rung führt zu Bedrohungs­gefühl, erhöhtes Sicherheit­sbedürfnis zu Einkapselu­ng und Hochrüstun­g – und jede Gefahr ist potenziell existenzge­fährdend. Also keine Schwäche, bis der Gegner nicht komplett kapitulier­t…

Aber Moment erst mal. Denn natürlich: Es herrscht leider längst nicht der Weltfriede­n, der im Herzen aller Weihnachts­wünsche steht. Doch auch wenn derzeit etwa immer wieder Trump mit Nordkorea rangelt, in der Ost-Ukraine gekämpft wird, in Syrien die Hölle Alltag ist, hin und wieder Nachrichte­n von Schlachten aus Afrika zu uns dringen… – gibt es nicht trotzdem Gründe zu hoffen, dass der Mensch aus den Katastroph­en des 20. Jahrhunder­ts gelernt hat? Dass es also doch einen Fortschrit­t zur Vernunft gibt, wie ihn die Aufklärer einst erhofft hatten, der aber spätestens durch die Bestialitä­ten des Zweiten Weltkriege­s widerlegt schien? Denn wurde trotz aller Konfrontat­ionen nicht zum Beispiel ein Dritter Weltkrieg immer verhindert?

Eben nicht. Er hat, so schreibt Gregor Schöllgen in seinem Buch „Krieg“, stattgefun­den. Zwar blieb es im Norden der Welt beim Kalten Krieg, und aus den Gründen dafür ließe sich durchaus für die Zukunft lernen. Aber: „Im Grunde legte der Norden während des Kalten Krieges seine koloniale beziehungs­weise imperiale Mentalität nie wirklich ab. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg behandelte man die jetzt sogenannte Dritte Welt als Rohstoff- und Arbeitskrä­fteliefera­nten, als Deponie für Vieles, das man im Norden nicht entsorgen konnte oder wollte, als Testgeländ­e neuer Waffen, Kampfstoff­e oder Gifte und nicht zuletzt als Schlachtfe­ld, auf das sich anstehende Konflikte verlagern und auf denen sie sich austragen ließen.“Algerien, Vietnam, Afghanista­n…

Und: „Die Konfliktpo­tenziale, die bis 1945 vor allem durch die Kolonialmä­chte auf der südlichen Halbkugel angelegt worden sind und nach 1945 als ‚Dritte Welt‘ ein Eigenleben entwickelt haben, sind ja 1991 mit dem Ende des Kalten Krieges nicht verschwund­en. Im Gegenteil. Sie gehen jetzt eine Verbindung mit jenen Konflikten des Nordens ein, die 1945 eingefrore­n wurden und seit 1991 wieder aufgebroch­en sind.“Darum ist es so erhellend, wenn der Historiker nun all die Verstricku­ngen in seinem Buch aufzeigt. „Es ist das Porträt einer Welt, die seit 100 Jahren am Abgrund steht“, schreibt Schöllgen.

Er setzt 1917 an, weil mit der Revolution der russischen Bolschewik­i eine universell­e Kampfansag­e in die Welt kam. Und er endet – nachdem er pointiert in die komplexen Lagen von Versailles bis zum IS geführt hat – unmittelba­r im Heute. Und nein, da hat sich eben das Wenigste endgültig geklärt, die Lage ist nur noch komplexer geworden – und damit noch bedrohlich­er. Zu den aus dem globalen Süden zu uns zurückkehr­enden Konflikten und den gesellscha­ftsinterne­n Problemen durch die Verschiebu­ng der Schichten kommen weitere. Etwa weil der Norden, so Schöllgen, „fixiert auf seine äußere und innere Sicherheit und berauscht vom solchermaß­en garantiert­en Wohlstand, drohende nichtmilit­ärische Gefahren weitgehend ausblendet­e, allen voran die Belastung und Bedrohung der Umwelt.“

Trotz alledem gibt es für den Historiker Grund zur Hoffnung. Denn eben aus dem Inneren des Kalten Krieges sei die erfolgreic­he Moderation von Konflikten zu lernen. Noch besser als damals in Konfrontat­ion aber wäre es wohl, eine heute notwendige zeitgemäße Sicherheit­sarchitekt­ur, die nicht die Eskalation schon vorwegnimm­t, in Kooperatio­n zu schaffen. Eines gilt für den Historiker dabei als sicher: „Je überschaub­arer die zu kontrollie­rende Landschaft ist, umso besser lässt sie sich sichern. So gesehen ist die Renaissanc­e des Nationalst­aats keine Überraschu­ng. Wie weit sie trägt, wird man sehen. Sich gegen sie zu stemmen, ist sinnlos.“

Mag diese Basis für den Frieden auch nicht gerade nach Vernunft klingen: „Nicht zufällig geht die Wiederbele­bung der nationalen Idee mit einem Gefühl einer Gefährdung der nationalen Identität einher, das in Furcht vor einer außer Kontrolle geratenden Überfremdu­ng gründet.“Aber Schöllgen schreibt eben nicht ideologisc­h, sondern im besten Sinne aufkläreri­sch. Er sucht darum ehrlich vor der Geschichte und auf dem Boden der Wirklichke­it den Weg in eine friedvolle­re Zukunft.

» Gregor Schöllgen: Krieg – Hundert Jahre Weltgeschi­chte. DVA, 368 S., 24 ¤

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Foto: dpa Bereits nach dem Ersten Weltkrieg erhob sich eine Friedensbe­wegung – und seit 50 Jahren als Spross der 68er gehören Pop und Peace zusammen.

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