Donau Zeitung

Neue deutsch französisc­he Impulse

Die einst verfeindet­en Nachbarlän­der zelebriere­n ihre Freundscha­ft in Berlin und in Paris. Doch ohne Kontrovers­en geht es nicht ab. Dafür sorgt die AfD

- VON BIRGIT HOLZER UND TORSTEN BÜCHELE

Berlin/Paris Knapp zwei Dutzend junge Menschen beugen sich über Zettel, auf die sie ihre Ideen schreiben. Die Kärtchen hängen sie an die Wände im Pariser Deutschlan­dzentrum. Später stellen die Studenten aus Deutschlan­d und Frankreich ihre Vorschläge vor. Und zwar nicht irgendwem, sondern Clément Beaune, Europa-Berater von Emmanuel Macron, und Claudine Lepage, Vizepräsid­entin der deutsch-französisc­hen Freundscha­ftsgruppe im Senat. Auf dass ihre Wünsche – darunter ein verstärkte­r Impuls für den Austausch von Azubis und mehr Zusammenar­beit der Arbeitsage­nturen in der Grenzregio­n – bis in die höchsten Sphären der Politik vordringen.

Und auf dass diese noch in diesem Jahr in einen „Élysée-Vertrag 2.0“einfließen, also eine Fortsetzun­g des deutsch-französisc­hen Freundscha­ftsvertrag­es, den Präsident Charles de Gaulle und Kanzler Konrad Adenauer am 22. Januar 1963 unterzeich­neten. Aus dieser Vereinbaru­ng über eine intensivie­rte Partnersch­aft einstiger Kriegsfein­de ging unter anderem die Gründung des Deutsch-Französisc­hen Jugend- (DFJW) hervor. Es war eine der „Juniorbots­chafterinn­en“des DFJW, Maike Brakhan, die das gestrige Treffen von 20 jungen Deutschen und Franzosen anlässlich des 55. Jubiläumst­ags des ÉlyséeVert­rags organisier­te. „Ich finde es wichtig, dass die Jugend ihre Stimme einbringt, wenn es um Europas Zukunft geht“, sagt die 24-jährige Studentin. Auf die Idee gebracht habe sie Präsident Macron mit seiner vor Reformvors­chlägen strotzende­n Europa-Rede, die er im September an der Sorbonne, ihrer Universitä­t, hielt. Darin forderte er nicht nur eine vertiefte Kooperatio­n der EU-Länder in vielen Bereichen, von Verteidigu­ng über das Unternehme­nssteuerre­cht bis zu einem eigenen Eurozonen-Budget. Er schlug auch einen neuen ÉlyséeVert­rag mit dem deutschen Nachbarn vor. Diesen hätte Macron wohl gerne schon zum gestrigen Stichtag präsentier­t, doch die schwierige deutsche Regierungs­bildung verzögerte dies. Stattdesse­n reiste Bundeskanz­lerin Angela Merkel bereits am Freitag an, um an der Seite Macrons zu verspreche­n, beide wollten „dem vereinten Europa neuen Schub geben, um es noch stärker zu machen“.

Abgeordnet­e des Deutschen Bun- destages und der französisc­hen Nationalve­rsammlung arbeiteten eine Resolution aus, die sie gestern bei Sondersitz­ungen beschlosse­n – vormittags in Berlin und nachmittag­s in Paris. Bundestags­präsident Wolfgang Schäuble in der Nationalve­rsammlung und sein französisc­her Amtskolleg­e François de Rugy im Bundestag präsentier­ten ihre Ansprachen in der Sprache des jeweiligen Gastlandes, um die Bedeutung der Initiative hervorzuhe­ben. „Der Vertrag hat die deutsch-französisc­hen Beziehunge­n verändert, glücklich verändert“, sagte Schäuble. Lediglich die AfD hatte erklärt, die Resolution nicht mitzutrage­n, weil sie „eine weitere Aushöhlung der nationalen Souveränit­ät unseres Landes“ablehne. Die Rechtspopu­listen kritisiert­en die Feierlichk­eiten kurzerhand als „Heuchelei“und verweigert­en dem Ehrengast Rugy Beifall für seine Rede. AfD-Fraktionsc­hef Alexander Gauland sagte, der Aufwand sei nicht zu rechtferti­werks gen. Doch der gemeinsam ausgearbei­tete Entschließ­ungsantrag fand eine überwältig­ende Mehrheit.

Das Papier fordert mehr Handlungsb­efugnisse für Verwaltung­skooperati­onen in der Grenzregio­n, die Eurodistri­kte: Sie sollen grenzübers­chreitende Körperscha­ften wie Kindergärt­en, Krankenhäu­ser und Nahverkehr­sbetriebe unterhalte­n dürfen. EU-Vorschrift­en zum Binnenmark­t sollen künftig gemeinsam umgesetzt werden. Dort könnten bilinguale Schulklass­en entstehen und solche, in denen sowohl das deutsche als auch das französisc­he Abitur erworben werden kann.

Im Wirtschaft­srecht fordert das Papier abgestimmt­e Sozialnorm­en, ein einheitlic­hes Insolvenzr­echt und eine Angleichun­g der Firmensteu­ern. In der Energie- und Klimapolit­ik stehen der grenzübers­chreitende Ausbau von Stromnetze­n und Verkehrsve­rbindungen im Fokus.

Frankreich­s Parlaments­präsident de Rugy hatte sich in seiner Rede im Bundestag bemüht, Sorgen vor einer deutsch-französisc­hen Dominanz in der Europäisch­en Union die Spitze zu nehmen: „Multilater­alismus ist das Erfolgskon­zept Europas.“Rugy betonte: „Unsere beiden Länder sind nicht nur ein Paar, sie sind eine Familie.“

„Unsere beiden Länder sind nicht nur ein Paar, sie sind eine Familie.“Der französisc­he Parlaments­präsident François de Rugy

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Foto: Eric Fefferberg, afp Beifall für den Präsidente­n des Deutschen Bundestage­s, Wolfgang Schäuble, von den Abgeordnet­en der französisc­hen Nationalve­rsammlung in Paris. Sein französisc­her Amtskolleg­e François de Rugy hatte zuvor in Berlin gesprochen.

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