Früher filmte er den Krieg, jetzt Fußball
Der Syrer Hussein Hamdoun lebt mit Frau und Kind in Dillingen. Von hier aus arbeitet er für ein Filmer-Netzwerk
Dillingen Porträts berühmter Sänger und Schauspieler aus der arabischen Welt hängen über dem Sofa: Fairuz, Umm Kulthum, Abdel Halim Hafez, Kazim Al Sahir. „Damit ich Syrien nie vergesse“, sagt Hussein Hamdoun. Auf seinen Unterarm hat sich der 28-Jährige den Schriftzug „Damascus“tätowieren lassen. So wie auch seine gleichaltrige Frau
Reham. Auf den
Körper tätowieren, was schon in der
Seele steht. Der junge Mann ringt nach Worten für eine Erklärung. Aber es fällt ihm schwer, die Bedeutung des Schriftzuges auszudrücken. Erst nach einer langen Pause kann er die Frage beantworten. Der 28-jährige Syrer schaut auf den Namen „Damascus“und lächelt traurig: „Jetzt ist gerade ein Film vor meinem inneren Auge abgelaufen.“
Er handelt von grausamen Szenen des Krieges und von Geschehnissen auf der Flucht. Bis 2011 hatte der junge Syrer vier Jahre lang in Da- maskus für den staatlichen Fernsehsender gearbeitet – zunächst als Beleuchtungstechniker, später als Cutter und nach einer Weiterbildung als Regieassistent. Doch mit den zunehmenden politischen Unruhen wuchsen die Probleme des Syrers. Verhängnisvoll waren privat gedrehte Beiträge über Demonstrationen. „Ich wusste, dass das verboten war“, so Hussein Hamdoun. Aber er habe sich in seiner Freiheit nicht beschneiden lassen wollen. Mit seinen Dokumentationen wollte er ein Zeichen für die Demokratie setzen. Dafür landete er eines Tages im Gefängnis. Weil er Videofilme an andere arabische Fernsehsender verkauft hatte, wo sie zum Teil auch ausgestrahlt worden waren, wurde er eines Tages von Kollegen bei der Geheimpolizei angezeigt. „Auf meinem Laptop wurde belastendes Videomaterial gefunden“, erinnert sich Hussein Hamdoun an seine Verhaftung zurück. Drei Monate saß er ohne offizielle Anklage im Gefängnis. Nach der Freilassung kratzte die Familie ihre gesamten Ersparnisse zusammen und floh in die Türkei.
Im Nachbarland setzte Hamdoun seine Arbeit fort. Werbefilme sicherten ihm ein bescheidenes Einkommen. Doch nach zwei Monaten zog es ihn wieder zurück in sein Heimatland, ausgerechnet nach Aleppo, dem damals gefährlichsten Krisengebiet. „Ich wollte der Welt zeigen, was in meinem Land vor sich geht, erzählt er und fährt sichtlich bewegt fort: „Vielleicht hätte ich etwas bewegen oder jemandem helfen können.“Ganz nach dem Vorbild der „Weißhelme“. Hussein Hamdoun bewundert bis heute deren Mut und die Hilfsbereitschaft. Die Weißhelme waren immer die ersten, die ausrückten, um Verschüttete aus den Trümmern zu retten, wenn die Luftwaffe des Assad-Regimes oder seines russischen Verbündeten Wohngebiete und Krankenhäuser bombardiert hatten. Seine Bewunderung gilt auch dem Berufskollegen Khaled Khatib. Dieser hatte im vergangenen Jahr für seine Reportage über die „White Helmets“sogar den Oscar erhalten.
Hamdoun selbst entging einmal nur knapp einem Angriff. Wenige hundert Meter entfernt hatte eine Bombe einen Bus zerfetzt und viele Menschen in den Tod gerissen. Ein Jahr lang verbrachte der syrische Kameramann in Aleppo. In dieser Zeit sind zahlreiche Filme entstanden. Der Überfall von Terroristen des IS auf das Journalisten-Büro setzte der Arbeit von Hamdoun ein jähes Ende. Nachdem er miterleben musste, wie ein Kollege entführt und technische Geräte entwendet wurden, habe er beschlossen, wieder in den Norden der Türkei zu fliehen.
Im Medienbüro der syrischen Interimsregierung fand er schnell eine Anstellung: „Ich habe eine Menge Filme und Reportagen für verschiedene arabische TV-Sender wie Al Arabiya oder Al Jazeera erstellt“, berichtet er. Doch das Leben und Arbeiten wurde auch in der Türkei zunehmend schwieriger: „Weil wir keine gültigen Pässe besaßen“, erklärt Hamdoun. Zurück nach Syrien traute sich der Kameramann nicht mehr. 2016 floh er deshalb zusammen mit seiner Frau nach Deutschland.
Inzwischen konnte er im Landkreis Dillingen Fuß fassen: Nach Aufenthalten in Passau, Donauwörth und Lauingen wohnt die Familie seit einem Jahr in einer Wohnung zu Miete. Und auch beruflich gibt es Perspektiven: Für das Netzwerk „die-ligen.net“filmt Hussein Hamdoun an den Wochenende Fußballspiele in vielen Orten von Bayern und Baden-Württemberg.