Weisheitslehren des Judentums
Heute von Pfarrer Josef Kühn, Pfarreiengemeinschaft Aschberg
Liebe Leserinnen und Leser,
„in der kommenden Welt wird man mich nicht fragen: ‚Warum bist du nicht Mose gewesen?’ Man wird mich fragen: ‚Warum bist du nicht Sussja gewesen?’“Diese Äußerung des Rabbi Sussja von Hanipol überliefert der jüdische Religionsphilosoph Martin Buber in seinen „Erzählungen der Chassidim“.
Darin hält Buber Worte und Taten von Weisheitslehrern aus dem osteuropäischen Judentum für die Nachwelt fest.
Rabbi Sussja sagt mit wenigen Worten: Jeder Mensch soll ganz er selbst sein, es macht keinen Sinn, einen anderen zu kopieren. Er soll ein Original sein und das eigene Ich, die Persönlichkeit entfalten. Der sein, der gemeint war, als Gott ihn ins Leben gerufen hat. Jesus begegnet Menschen, von denen es heißt: Sie waren „von einem unreinen Geist besessen“(z. B. Mk 1,23). Sie finden nicht zum eigenen Ich, weil sie fremdbestimmt sind.
Sie können nicht über sich selbst verfügen, weil sie von außen gesteuert werden. Das fesselt, bindet und knebelt sie; sie sind nicht frei. In ihrem Inneren, von ihrem Wesen her aber sind sie anders. Im Kern sind sie gut.
Sie wollen leben. Das Gute, das Gott in ihnen angelegt hat, will zur Entfaltung kommen, aber es gelingt nicht, nicht im gewünschten Maß. Immer wieder sind wir mit menschlichen Abgründen konfrontiert. Sofern sie den Menschen persönlich betreffen, kann man vermuten: Dieses Böse hält die Person davon ab, den Zugang zu sich selbst zu finden und zum Guten vorzudringen.
Ich frage mich: Was besetzt mich? Wo kann ich nicht ich sein? Welchen Zwängen bin ich unterworfen? Jesus spricht das befreiende Wort. Und die Leute stellen fest: „Sogar die unreinen Geister gehorchen seinem Befehl“(Mk 1,27).
Die Fesseln fallen ab. Das Ich kann sich entfalten, weil es mit dem Guten und mit Gott, dem absolut Guten, in Berührung gekommen ist. Mit Jesus kann ich die Verunsicherung aushalten, die sich in mir auslöst, wenn ich über Folgendes nachdenke: In der kommenden Welt wird man mich fragen: Warum bist du nicht Josef gewesen?
Ihr Josef Kühn, Pfarrer der Pfarreiengemeinschaft Aschberg, Holzheim