In Würde altern – geht das auch im Heim?
Zu wenig Personal, zu wenig Geld: In der Pflege wird heute vor allem der Mangel verwaltet. Ein paar zusätzliche Stellen werden daran noch nichts ändern
Ein schwerer Sturz, eine unheilbare Krankheit, Demenz im fortgeschrittenen Stadium: In dem Moment, in dem ein Mensch zum Pflegefall wird, ist in vielen Familien die Not groß. Die Kapazitäten der ambulanten Dienste sind knapp, die Heime überbelegt oder zu teuer – und wenn eines noch einen Platz frei hat, schaut man lieber nicht so genau hin. Das Ambiente wenig ansprechend, das Personal überlastet, das Essen schwer genießbar: Willkommen in der Pflegerepublik Deutschland, die vor allem eines verwaltet – den Mangel.
Den Pflegekräften in Altenheimen und Kliniken kann man das nicht anlasten, im Gegenteil. Die meisten von ihnen opfern sich für ihre Patienten regelrecht auf. Wenn der Medizinische Dienst der Krankenkassen trotzdem Schwächen bei der Versorgung diagnostiziert, ist das vor allem das Ergebnis jahrzehntelanger Reformverweigerung – und je rasanter unsere Gesellschaft altert, desto rasanter treten auch die Defizite des Systems zutage. Altenpfleger, zum Beispiel, mussten für ihre Ausbildung lange Zeit Schulgeld bezahlen – kein Wunder also, dass es zu wenige von ihnen gibt. Viele Krankenhäuser wiederum haben zwar jede Menge Ärzte eingestellt, dafür aber an der Pflege gespart und müssen nun teilweise sogar Stationen schließen, weil der Arbeitsmarkt für Pfleger leer gefegt ist. Die 8000 zusätzlichen Stellen, die Union und SPD nun versprechen, sind vor diesem Hintergrund nicht mehr als der berühmte Tropfen auf den heißen Stein, ein politischer Placebo, zumal sich ja auch zu wenig Menschen für einen Beruf entscheiden, der ihnen enorme körperliche und seelische Strapazen abverlangt, der dabei aber schlechter bezahlt ist als mancher Hilfsarbeiterjob auf dem Bau.
Welche Dimension das Problem angenommen hat, zeigt eine simple Rechnung: Für eine personell und qualitativ bessere Pflege müssten die Pflegekassen nach einer Studie der Stiftung Patientenschutz 500 Euro mehr pro Pflegefall und Monat ausgeben – bei drei Millionen Betroffenen wären das gut 17 Milliarden Euro im Jahr. Die letzte Beitragserhöhung von 0,2 Prozentpunkten spielt allerdings nur 2,5 Milliarden zusätzlich ein, von denen der Großteil aus guten Gründen in die Betreuung von Demenzkranken wandert. Auf Dauer muss also mehr Geld in die Pflege fließen, sei es über höhere Beiträge, über Steuerzuschüsse oder eine stärkere Förderung der privaten Vorsorge. Dieses Thema aber klammern Union und SPD bisher aus – und widmen sich umso lustvoller dem Gesundheitswesen, obwohl der Reformstau dort um einiges kürzer ist.
Als ein junger Altenpfleger Angela Merkel im Bundestagswahlkampf von Patienten erzählte, die stundenlang in ihren Ausscheidungen lägen, traf er die Politik insgesamt an einem wunden Punkt. Die Urangst, im Alter hilfsbedürftig und alleine zu sein, nur noch eine Nummer im minutiös durchgetakteten Betrieb eines Pflegeheims oder einer Klinik, speist sich nicht zuletzt aus solchen Erzählungen. In Würde zu altern heißt auch, mit Würde und Respekt behandelt zu werden, Zuspruch und Zeit zu bekommen und nicht nur ein Bett, die notwendigen Medikamente und drei Mahlzeiten am Tag.
Eine Reform, die sich das zum Ziel setzt, beginnt mit einer Aufwertung des Pflegeberufes – materiell wie ideell. Nicht jeder ist dafür geeignet, bisher aber schrecken die schlechte Bezahlung, fehlende Aufstiegsmöglichkeiten und familienfeindliche Schichtmodelle auch viele Interessierte ab. Diese Menschen für einen Beruf zu gewinnen, der buchstäblich Dienst am Nächsten leistet, ist gegenwärtig die vielleicht größte sozialpolitische Herausforderung – sonst mündet der Pflegenotstand direkt in die Pflegekatastrophe.
Es fehlt an Zuspruch und an Zeit