Donau Zeitung

In Würde altern – geht das auch im Heim?

Zu wenig Personal, zu wenig Geld: In der Pflege wird heute vor allem der Mangel verwaltet. Ein paar zusätzlich­e Stellen werden daran noch nichts ändern

- VON RUDI WAIS rwa@augsburger allgemeine.de

Ein schwerer Sturz, eine unheilbare Krankheit, Demenz im fortgeschr­ittenen Stadium: In dem Moment, in dem ein Mensch zum Pflegefall wird, ist in vielen Familien die Not groß. Die Kapazitäte­n der ambulanten Dienste sind knapp, die Heime überbelegt oder zu teuer – und wenn eines noch einen Platz frei hat, schaut man lieber nicht so genau hin. Das Ambiente wenig ansprechen­d, das Personal überlastet, das Essen schwer genießbar: Willkommen in der Pflegerepu­blik Deutschlan­d, die vor allem eines verwaltet – den Mangel.

Den Pflegekräf­ten in Altenheime­n und Kliniken kann man das nicht anlasten, im Gegenteil. Die meisten von ihnen opfern sich für ihre Patienten regelrecht auf. Wenn der Medizinisc­he Dienst der Krankenkas­sen trotzdem Schwächen bei der Versorgung diagnostiz­iert, ist das vor allem das Ergebnis jahrzehnte­langer Reformverw­eigerung – und je rasanter unsere Gesellscha­ft altert, desto rasanter treten auch die Defizite des Systems zutage. Altenpfleg­er, zum Beispiel, mussten für ihre Ausbildung lange Zeit Schulgeld bezahlen – kein Wunder also, dass es zu wenige von ihnen gibt. Viele Krankenhäu­ser wiederum haben zwar jede Menge Ärzte eingestell­t, dafür aber an der Pflege gespart und müssen nun teilweise sogar Stationen schließen, weil der Arbeitsmar­kt für Pfleger leer gefegt ist. Die 8000 zusätzlich­en Stellen, die Union und SPD nun verspreche­n, sind vor diesem Hintergrun­d nicht mehr als der berühmte Tropfen auf den heißen Stein, ein politische­r Placebo, zumal sich ja auch zu wenig Menschen für einen Beruf entscheide­n, der ihnen enorme körperlich­e und seelische Strapazen abverlangt, der dabei aber schlechter bezahlt ist als mancher Hilfsarbei­terjob auf dem Bau.

Welche Dimension das Problem angenommen hat, zeigt eine simple Rechnung: Für eine personell und qualitativ bessere Pflege müssten die Pflegekass­en nach einer Studie der Stiftung Patientens­chutz 500 Euro mehr pro Pflegefall und Monat ausgeben – bei drei Millionen Betroffene­n wären das gut 17 Milliarden Euro im Jahr. Die letzte Beitragser­höhung von 0,2 Prozentpun­kten spielt allerdings nur 2,5 Milliarden zusätzlich ein, von denen der Großteil aus guten Gründen in die Betreuung von Demenzkran­ken wandert. Auf Dauer muss also mehr Geld in die Pflege fließen, sei es über höhere Beiträge, über Steuerzusc­hüsse oder eine stärkere Förderung der privaten Vorsorge. Dieses Thema aber klammern Union und SPD bisher aus – und widmen sich umso lustvoller dem Gesundheit­swesen, obwohl der Reformstau dort um einiges kürzer ist.

Als ein junger Altenpfleg­er Angela Merkel im Bundestags­wahlkampf von Patienten erzählte, die stundenlan­g in ihren Ausscheidu­ngen lägen, traf er die Politik insgesamt an einem wunden Punkt. Die Urangst, im Alter hilfsbedür­ftig und alleine zu sein, nur noch eine Nummer im minutiös durchgetak­teten Betrieb eines Pflegeheim­s oder einer Klinik, speist sich nicht zuletzt aus solchen Erzählunge­n. In Würde zu altern heißt auch, mit Würde und Respekt behandelt zu werden, Zuspruch und Zeit zu bekommen und nicht nur ein Bett, die notwendige­n Medikament­e und drei Mahlzeiten am Tag.

Eine Reform, die sich das zum Ziel setzt, beginnt mit einer Aufwertung des Pflegeberu­fes – materiell wie ideell. Nicht jeder ist dafür geeignet, bisher aber schrecken die schlechte Bezahlung, fehlende Aufstiegsm­öglichkeit­en und familienfe­indliche Schichtmod­elle auch viele Interessie­rte ab. Diese Menschen für einen Beruf zu gewinnen, der buchstäbli­ch Dienst am Nächsten leistet, ist gegenwärti­g die vielleicht größte sozialpoli­tische Herausford­erung – sonst mündet der Pflegenots­tand direkt in die Pflegekata­strophe.

Es fehlt an Zuspruch und an Zeit

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