Donau Zeitung

Nur der liebe Gott und die Kanzlerin

Mohammad lebt mit seinem Vater in Unterthürh­eim. Seit drei Jahren hat der Elfjährige seine Mutter nicht gesehen. Er schreibt einen Brief, in dem steht, wer ihm helfen kann

- VON ULRIKE WALBURG

Unterthürh­eim Die drei Jahre der Trennung von seiner Mutter erscheinen dem afghanisch­en Jungen unerträgli­ch. In großer Verzweiflu­ng schreibt der Elfjährige an die Bundeskanz­lerin Angela Merkel einen Brief, bittet um Hilfe: „Nur der liebe Gott kann helfen – und dann Sie“, schreibt Mohammad an die Kanzlerin und fleht, „bitte, bitte helfen Sie mir, ich vermisse meine Mama, meine kleine Schwester und meinen kleinen Bruder so sehr.“Vor drei Jahren hat Mohammad seine Mutter Fatima, die Schwester Yasaman, damals fünf Jahre alt, und seinen kleinen Bruder Amir, damals zwei Jahre alt, zum letzten Mal gesehen. Die junge afghanisch­e Familie war auf der Flucht und wurde dabei gewaltsam getrennt. „Ich vermisse meine Mama und meine Geschwiste­r so sehr“, klagt der Elfjährige und sagt: „Ich will mit meinen Geschwiste­rn spielen.“

Seit drei Jahren lebt er mit seinem Vater Jafar Mahmoudi in Unterthürh­eim in einer Unterkunft und wartet, bisher ergebnislo­s, auf den Rest der Familie. Ein komplizier­ter Rechtsstat­us machte bisher den Familienna­chzug unmöglich. Seit drei Jahren bleibt der Familie nur das Internet als einzige Möglichkei­t, miteinande­r im Kontakt zu stehen. „Fünfmal und mehr telefonier­en wir am Tag miteinande­r“, berichtet Mohammad.

Jeden Morgen um sieben Uhr greift seine Mutter Fatima in einem kleinen Dorf im Iran zum Telefon. In den Morgenstun­den will sie ihren Ältesten aufwecken. „Sie weckt mich über das Internet auf, damit ich rechtzeiti­g zum Unterricht in die Ulrich von Thürheim-Schule komme“, berichtet der Elfjährige. Mehr kann sie für ihren Ältesten nicht tun. Ein Pausenbrot kann Mutter Fatima ihrem Kind nicht schmieren. Sie lebt seit ihrer misslungen­en Flucht vor drei Jahren Tausende von Kilometern von ihrem Mann Jafar und ihrem Sohn getrennt.

Bis vor drei Jahren lebte die junge afghanisch­e Familie gemeinsam im Iran. „Afghanista­n habe ich noch nie gesehen“, erzählt Jafar. „Seit meiner frühesten Kindheit lebte ich als afghanisch­er Kriegsflüc­htling im Iran“, sagt er. „Ich habe dort als Afghane weder einen gesicherte­n rechtliche­n Status noch Sicherheit erlebt.“

Vor drei Jahren wurde Jafar Mahmoudi zum Kampf gegen den Islamische­n Staat einberufen. Er sah sich als „Kanonenfut­ter“missbrauch­t. Notgedrung­en wagten Jafar und Fatima mit ihren drei kleinen Kindern die Flucht. „In einer Gruppe von dreihunder­t Flüchtling­en sind wir mehr als 24 Stunden über die Berge gelaufen“, berichtet der Vater. „Es war sehr gefährlich“, erinnert er sich, „nachts um halb drei wurden wir an der türkischen Grenze von der Spezialpol­izei entdeckt.“

„Sie haben Stop, Stop, Stop geschrien“, sagt der elfjährige Sohn und gibt in seinen Schilderun­gen dem Wort Spezialpol­izei besonderen Nachdruck. Panik habe sich damals unter den Flüchtling­en ausgebreit­et. „Die Leute rannten hin und her und versuchten sich zu verstecken“, weiß das Kind noch. Dabei wurde die Familie gewaltsam auseinande­rgerissen. Fatima fand sich mit zwei Kindern auf syrischem Boden wieder, während Jafar mit Mohammad auf türkischen Boden gelangte. „Wir haben noch drei Tage auf meine Frau und auf meine Kinder gewartet“, berichtet Jafar mit Trauer in den Augen. Seine Frau musste in den Iran zurück. Ihm und seinem Sohn blieb nur die weitere Flucht.

Der lebensgefä­hrliche und anstrengen­de Weg führte weiter durch viele Länder. In einem maßlos überfüllte­n Schlauchbo­ot gelang Vater und Sohn die Flucht über das stürmische Meer. „Im Boot waren viele kleine Kinder, die haben alle laut vor Angst geschrien“, erzählt der Elfjährige. Beide erinnern sich auch an schlimme Tage im Budapester Ostbahnhof.

„Dann hieß es, ihr seid frei“, sagt Jafar. Für Vater und Sohn endete die Flucht in Unterthürh­eim. Hier fühlt sich der Elfjährige zu Hause und geht gerne in die Ulrich-vonThürhei­m-Schule. „Mohammad ist integriert, spricht perfekt Deutsch und hat hier im Ort viele Freunde gefunden“, lässt Elisabeth Blanke vom Helferkrei­s Asyl wissen. Auch sein Vater Jafar besuche regelmäßig den Deutschunt­erricht. Er hofft auf die Genehmigun­g eines Familienna­chzugs. „Vater und Sohn sind begeistert­e Fußballspi­eler und sind im TSV Unterthürh­eim aktiv“, sagt Blanke. Mohammad spielt als Stürmer und hat schon viele Pokale gewonnen. Seine Sammlung steht aufgereiht in der Vitrine. Stolz zeigt der Elfjährige seine Trophäen: „Wenn wir wieder zusammen sind, will ich sie meiner Mama zeigen.“

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Foto: Ulrike Walburg Oben in der Asylunterk­unft Unterthürh­eim hängt die Weltkarte: Tausende von Kilometern trennen Jafar Mahmoudi und seinen elf jährigen Sohn Mohammad von Mutter Fatima und zwei Geschwiste­rn, die als Flüchtling­e im Iran leben. Seit drei Jahren gibt es nur...

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