Donau Zeitung

„Der Staat macht sich immer öfter lächerlich“

Der deutsch-jüdische Historiker Michael Wolffsohn erklärt, warum er sich um Deutschlan­d Sorgen macht und warum Juden bei uns von Muslimen bedroht werden. Für den Nahost-Konflikt hat er einen unkonventi­onellen Vorschlag

- Und allein einzig Nennen Sie Beispiele. Inwiefern? können. Interview: Simon Kaminski

Vielstimmi­g sind die Klagen darüber, dass es einen neuen Antisemiti­smus in Deutschlan­d gibt. Wie ist Ihre Wahrnehmun­g, Herr Professor Wolffsohn? Michael Wolffsohn: Das ist so. Es gibt den Antisemiti­smus der traditione­llen Rechtsextr­emen. Es gibt den Antisemiti­smus bei der radikalen Linken. Aber es ist unbestreit­bar, dass Gewalt gegen Juden durch zumeist junge Muslime zugenommen hat – quantitati­v und qualitativ. Das ist nicht verwunderl­ich, denn es hat einen demografis­chen Hintergrun­d. Je mehr Muslime kommen, desto mehr Übergriffe gibt es. Ich hege keinen Generalver­dacht gegen Muslime, aber das sind die Fakten.

Welche Ursachen hat die Aggression vieler Muslime gegen Juden? Wolffsohn: In Deutschlan­d wird immer wieder politisch korrekt behauptet, dass die Ursache dafür

in der arabisch-islamische­n Feindschaf­t zu Israel zu suchen ist. Das stimmt aber nicht. Der Antisemiti­smus in der arabischen Welt ist viel älter. In der Sure 2 des Korans werden Juden als „ausgestoße­ne Affen“verflucht. Für das nationalso­zialistisc­he Deutschlan­d gab es im Iran, in Ägypten und in anderen arabischen Staaten große Sympathien. Nach dem Krieg fanden viele Nazis in Syrien oder Ägypten Unterschlu­pf. Ein weiterer Grund für den aggressive­r werdenden Antisemiti­smus ist die religiöse Radikalisi­erung des Islams. Und dann, das ist auch wahr, schwappt der Nahost-Konflikt nach Europa und Deutschlan­d.

Was muss passieren, damit nicht noch mehr Muslime in Deutschlan­d – also auch die Flüchtling­e – in dieses Fahrwasser geraten? Hilft ein Antisemiti­smus-Beauftragt­er?

Wolffsohn: Das ist lächerlich, eine reine Alibiveran­staltung. Wir brauchen keinen Beauftragt­en. Bildung ist gut und wichtig, aber kein Allheilmit­tel. Denken Sie daran, dass die ersten, die in großer Zahl mit fliegenden Fahnen zu den Nazis übergelauf­en sind, die deutschen Hochschull­ehrer waren. Wir brauchen Prävention und die konsequent­e Anwendung des Rechts. Das gilt natürlich nicht nur für Übergriffe gegen Juden, sondern allgemein. Wir hoffen auf die Einsicht, auf Menschlich­keit. Doch wenn Straftaten begangen werden, ja bereits wenn Kinder – egal ob jüdisch, christlich oder buddhistis­ch – in der Schule gemobbt oder verprügelt werden, muss das konsequent geahndet werden. Doch genau das passiert in Deutschlan­d oft nicht. Und zwar in vielen Bereichen.

Wolffsohn: Das staatliche Versagen zu Beginn der Flüchtling­skrise 2015. Wir Juden wissen, dass Menschen in Not geholfen werden muss. In Zeiten des Holocaust war es für uns überlebens­wichtig, dass einige Staaten ihre Tore geöffnet haben. Was mich sprachlos macht, ist aber, dass man 2015 noch nicht einmal versucht hat, in ordentlich­en Auffanglag­ern herauszufi­nden, wer da kommt. Das ist völlig inakzeptab­el. Aber leider symptomati­sch.

Wolffsohn: Es steht für einen Verlust der politische­n Fähigkeite­n in Deutschlan­d. Wir sind nicht mehr in der Lage, Großprojek­te umzusetzen, die Autoindust­rie zerlegt sich gerade selber, die Energiewen­de wird dilettanti­sch angegangen. Der Staat macht sich immer öfter lächerlich. Und das erzeugt eine große Angst in der Bevölkerun­g. Die AfD thematisie­rt das geschickt, obgleich sie weder die Ideen und schon gar nicht das Personal hat, um es besser zu machen.

Es geht Deutschlan­d doch gar nicht schlecht.

Wolffsohn: Das liegt aber eher daran, dass es die anderen noch schlechter machen.

Sie kritisiere­n auch die deutsche Außenpolit­ik scharf. Die Beziehunge­n mit Israel sind schlecht wie lange nicht mehr. Was sind die Gründe? Wolffsohn: Die Distanz ist tatsächlic­h noch größer geworden. Viele vergessen aber, dass das Verhältnis schon unter den sozialdemo­kratischen Kanzlern Willy Brandt, Helmut Schmidt und Gerhard Schröder miserabel war und dann erst unter Merkel besser wurde. Die Krux ist, dass sich die beiden Länder gar nicht verstehen Was hat Deutschlan­d aus dem Holocaust und dem verlorenen Krieg gelernt? Nie wieder Krieg, nie wieder Täter sein. Israel hat gelernt: nie wieder Opfer sein. Israel ist viel eher bereit, präventiv Gewalt anzuwenden.

Sie haben zuletzt insbesonde­re Außenminis­ter Sigmar Gabriel kritisiert. Wolffsohn: Dass Gabriel einen Kuschelkur­s gegenüber dem Iran, der die ganze Region bedroht, fährt und gleichzeit­ig immer wieder vor den bösen Saudis warnt, ist nicht nur aus israelisch­er Sicht katastroph­al.

Der frühere Botschafte­r Israels in Berlin, Avi Primor, hat 2015 in einem Interview mit unserer Zeitung gewarnt, dass jüdische Siedlungen im Westjordan­land Israels Zukunft gefährden würden. Er plädiert für die ZweiStaate­n-Lösung. Hat er nicht recht? Wolffsohn: Ich bin mit Avi Primor befreundet, aber in diesem Punkt hat er nicht recht. Seit fast 70 Jahren wird auf das Völkerrech­t gepocht und Israel belehrt. Seit 70 Jahren erleiden wir damit Schiffbruc­h, dass wir die Fakten nicht anerkennen: Wir haben 1,2 Millionen Palästinen­ser in Israel und die werden dort auch bleiben. Es gibt 600000 jüdische Siedler im Westjordan­land, auch sie werden dort bleiben.

Und was soll Ihrer Ansicht nach geschehen?

Wolffsohn: Föderalism­us ist die einzige Antwort. Wir denken viel zu sehr in Staatengre­nzen und Territorie­n. Ich bin für eine Föderation Jordanien-Palästina. Sie sollte bestehen aus Jordanien, das seine Armee behalten

„Das staatliche Versagen in der Flüchtling­skrise steht für einen Verlust der politische­n Fähigkeite­n in Deutschlan­d.“

Michael Wolffsohn

darf, Gaza und dem Westjordan­land. Die Juden in diesem Gebiet behalten ihren israelisch­en Pass und bekommen Sicherheit­sgarantien.

Und die Hauptstadt dieser Föderation wird Ostjerusal­em?

Wolffsohn: Warum nicht? Ja.

Was wird aus Israel?

Wolffsohn: Israel besteht in seinen Grenzen weiter. Die Palästinen­ser behalten ihren israelisch­en Pass, bekommen aber mehr Autonomie innerhalb des Staates.

Die USA wollen ihre Botschaft nach Jerusalem verlegen. Sollte Deutschlan­d das auch tun?

Wolffsohn: Auf jeden Fall, die Botschafte­n können in den Westen Jerusalems ziehen. Das würde Realitäten anerkennen und eine neue Dynamik in dem Konflikt entfachen.

OProf. Michael Wolffsohn, 70, ist deutsch jüdischer Historiker und Publi zist. Er wurde 1947 in Tel Aviv geboren und ist Experte für internatio­nale Poli tik. Bis 2012 war er Professor an der Uni versität der Bundeswehr München. Er lebt in München. Sein Buch „Wem gehört das Heilige Land?“gilt als Standard werk für den Nahost Konflikt. Die Ge schichte seiner Familie beschreibt er in „Deutschjüd­ische Glückskind­er. Eine Weltgeschi­chte meiner Familie“.

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Foto: Ulrich Wagner Hält den Antisemiti­smus von Muslimen für eine wachsende Gefahr: der Historiker Michael Wolffsohn.

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