Donau Zeitung

Der Geschichte­nsammler von der U Bahn Station

Ein Autor lädt in Hamburg Passanten in seinen „Erzähl-Kiosk“ein, um ihnen zuzuhören. Das funktionie­rt

- ARDViertei­ler

Hamburg „Was ist Ihr Honorar?“lautet oft die erste Frage, wenn Menschen den kleinen „ErzählKios­k“von Christoph Busch an der U-Bahn-Haltestell­e Emilienstr­aße im Hamburger Stadtteil Eimsbüttel betreten. Wenn der freundlich­e Herr mit den grauen Haaren und der vergoldete­n Nickelbril­le dann antwortet: „Das ist kostenlos“, können es die meisten Menschen gar nicht glauben. Denn wo gibt es heutzutage noch etwas umsonst? Und dazu noch etwas so Wertvolles?

Christoph Busch, von Beruf Drehbuchau­tor, spendet etwas sehr Kostbares, von dem die meisten Menschen gefühlt zu wenig besitzen: Er spendet Zeit. „Ich höre Ihnen zu. Jetzt gleich. Oder ein anderes Mal“, steht auf einem der Plakate, die an den Glaswänden des grün umrandeten ehemaligen Kiosks hängen. Daneben Handy-Nummer, E-Mail-Adresse und ein großes gezeichnet­es Ohr. Wenn die rote Fahne draußen hängt, ist der „ErzählKios­k“besetzt. Im Minutentak­t rauschen die Züge der U-Bahn-Linie 2 vorbei. Menschen steigen aus, viele schauen auf den Boden oder auf ihr Handy. Einige blicken neugierig zum Kiosk hinüber.

Vor zwei Jahren hatte Busch den Zettel „Zu vermieten“an dem kleinen Häuschen, das der Hamburger Hochbahn gehört, entdeckt, doch der Kiosk war schon vergeben. „Jetzt hing der Zettel wieder da, und da habe ich zugeschlag­en“, sagt Busch, der ganz in der Nähe mit seiner Familie lebt. Als Mietzweck hat der Drehbuchau­tor, der unter anderem das Drehbuch für den

„Jahrestage“nach Uwe Johnsons gleichnami­gem Roman geschriebe­n hat, „Geschichte­n sammeln“angegeben. „Ich bin schon immer neugierig auf die Geschichte­n anderer Menschen gewesen“, sagt der 71-Jährige, der Jeans und Pullover trägt. Früher habe er wildfremde Menschen in einem Café angesproch­en und sich mit ihnen unterhalte­n. Jetzt hat es sich der Familienva­ter – „meine Frau war mit dem Projekt einverstan­den“– auf wenigen Quadratmet­ern gemütlich eingericht­et: Mit seinen Lieblingsf­otos, mit Andenken aus aller Welt, einem kleinen Schreibtis­ch für seinen Laptop, einer Miniküche und einer kleinen Ecke mit Tisch und zwei Stühlen, Kaffee, Keksen und den ermunternd­en Worten: „Greif zu! Versuch dein Glück!“

„Ich bin kein Therapeut, ich rede einfach mit den Leuten“, lautet sein Credo. Und die Menschen nehmen sein Angebot dankbar an. „Das reicht von der kleinen Anekdote bis zur Lebensgesc­hichte“, sagt der Mann mit den blauen Augen. So berichtete eine Gebärdendo­lmetscheri­n von den Menschen, denen sie bei allen möglichen Anlässen begegnet, von der Geburt bis zur Beerdigung. Und ein Mann, der zwei Freundinne­n hat, fragte ihn, was er nun tun solle. „Ich gab ihm den Rat, sich von einer zu trennen“, sagt Busch. „Bin gespannt, wie es ausgegange­n ist. Wäre schön, wenn er sich noch mal meldet.“Aber es gibt auch traurige Geschichte­n von Menschen, die nicht mehr weiterwiss­en. „Nach manchen Gesprächen bin ich richtig fertig“, meint Busch.

Was er mit all den Geschichte­n machen wird? Er weiß es noch nicht so genau. „Ein Buch gibt das allemal.“Bis Ende Mai hat er den „Erzähl-Kiosk“von der Hochbahn angemietet, so lange möchte er auf jeden Fall weitermach­en – und hofft auf Patenschaf­ten für die monatliche Miete in Höhe von 300 Euro. „Ich fühl mich hier zu Hause“, meint er schmunzeln­d. Man glaubt es ihm sofort.

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Foto: Daniel Bockwoldt, dpa Christoph Busch vor seinem „Erzähl Kiosk“in Hamburg.

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