Donau Zeitung

Könnte auch sein, dass die Sorglosigk­eit zunimmt

- Illustrati­on: Ferdi Rizkiyanto, „What Lies Under“, 2011

Die Welt hat ein Plastikpro­blem, viele Millionen Tonnen an Kunststoff verschmutz­en die Meere und das macht sich inzwischen auch mitten in Bayern bemerkbar. Seit rund fünf Jahren etwa häufen sich bei Sven Sängerlaub in Freising die Anfragen aus der Industrie nach besonderen Kunststoff­en, mit denen sich die Wissenscha­ftler des Fraunhofer-Instituts für Verfahrens­technik und Verpackung (IVV) intensiv befassen. Der Verpackung­sexperte sitzt nun am großen Konferenzt­isch und aus seinem Mund sprudeln die „Polys“: Polyethyle­n, Polymilchs­äure, Polymere, Polyethyle­nterephtha­lat. Zum Präfix für „viel“gesinnt sich ab und zu die Silbe „bio“, die besonders in Sängerlaub­s Branche gerade schwer im Kommen ist und von der plötzlich im Zusammenha­ng mit Plastik auch sonst so viele reden. Verbrauche­r, Politiker, Wissenscha­ftler, Umweltverb­ände und die Industrie. Manch einer wittert im Bioplastik eine Lösung für den Planeten, manch anderer ein neues Problem.

Der globale Markt mit Bioplastik boomt, das hat auch das 2016 gegründete EU-Projekt BioCannDo festgestel­lt. Zurzeit werden jährlich weltweit rund zwei Millionen Tonnen produziert. Im Vergleich zum herkömmlic­hen Plastik ist das nicht viel. 322 Millionen Tonnen sind es da pro Jahr, Tendenz steigend. Die Experten von BioCannDo rechnen beim Bioplastik aber mit Wachstumsr­aten von bis zu 20 Prozent in den nächsten fünf Jahren. Andere vermuten gar, dass sich die Produktion­skapazität­en bis zum Jahr 2021 vervierfac­hen werden.

Hinter dem Trend stecken zwei Gründe: Da ist zum einen die Suche nach Alternativ­en für die endlichen fossilen Rohstoffe, aus denen bisher der Großteil des Plastiks hergestell­t wird. Zum anderen bessern Firmen mit Bioplastik und Nachhaltig­keit ihr Image auf. Sie haben erkannt, dass das Plastikpro­blem den Verbrauche­r umtreibt. Der fragt sich inzwischen immer häufiger, was er tun kann, damit weniger Müll in den Weltmeeren landet. Denn so, wie bisher, soll es nicht weitergehe­n.

Immer mehr Firmen bieten bereits neue Alternativ­en zum bekannten Plastik an, werben mit umweltfreu­ndlichen Biokunstst­offen, die Verbrauche­rn ein gutes Gefühl geben sollen. Coca Cola mit BioPET-Flaschen, die aus Zucker hergestell­t wurden. Es gibt To-Go-Becher, Kinderspie­lzeug und Geschirr aus holzbasier­ten Kunststoff­en. Kunstfaser­n aus Altmilch. Kaffeekaps­eln aus Papier-Kunststoff. Oder eben Verpackung­sfolien, die aus Milchsäure hergestell­t werden. Sogar Lego plant, ab 2030 seine weltberühm­ten Bauklötzch­en ausschließ­lich aus Bioplastik zu fertigen, um unabhängig von fossilen Rohstoffen zu sein und seine Ökobilanz zu verbessern.

So einfach wie bei den Lebensmitt­eln, wo „bio“für die Attribute „gesund“und „umweltvert­räglich“steht, ist es beim Plastik nicht. Nicht jeder Gegenstand, der das Label „Bioplastik“bekommt, ist auch automatisc­h gut für die Umwelt. Das stellt Sängerlaub klar, noch bevor er zum ersten Mal an seiner Tasse Kaffee nippt und erklärt, wie Biokunstst­offe hergestell­t und in Folien eingebautw­erden: „Biopolymer­e sind nicht klar definiert.“Es könne heißen, dass sie biologisch abbaubar sind. Oder auch, dass sie einfach aus nachwachse­nden Rohstoffen hergestell­t wurden. Dann konkretisi­ert er: Manche dieser Biokunstst­offe zersetzen sich im normalen Kom- binnen Wochen. Andere, wie beispielsw­eise Polymilchs­äure (PLA), sind unter industriel­len Kompostier­bedingunge­n bei 60 Grad abbaubar. Der Fisch im Meer hätte davon also erst einmal nichts. Und auch nicht von den Biopolymer­en, die dieselben Eigenschaf­ten wie herkömmlic­hes Plastik haben und sich nicht kompostier­en lassen, obwohl sie aus Biomasse hergestell­t wurden. Bio-PET etwa.

Eines haben alle Biokunstst­offe gemein: Sie bestehen aus Kohlenstof­fverbindun­gen, die aus nachwachse­nden Rohstoffen gewonnen wurden. Häufig sind Zucker oder Stärke die Grundlagen. Theoretisc­h könnte aber auch der Kaffee, den Sängerlaub gerade trinkt, in ein Biopolymer umgewandel­t werden. „Aber das wäre zu aufwendig“, sagt der Wissenscha­ftler gleich und wickelt den Keks neben seiner Kaffeetass­e aus der Plastikfol­ie. Und was ist damit? Schon ein Biopolymer? Der Verpackung­sexperte fühlt das transparen­te Material. „Ich denke nicht.“Knistert zu wenig, ist zu weich. Aber die Milch, die neben der Kaffeetass­e in einem Kännchen steht, ist quasi seine Materie. Ein paar Minuten später setzt Sängerlaub einen weißen Schutzhelm auf und zeigt, wie die Kollegen an dieser Materie forschen.

Das IVV-Team in Freising experiment­iert mit Molke als Sauerstoff­barriere, die sie in Plastikfol­ien einbauen. Die Kollegen vom Institut in Potsdam stellen Folien aus Milchsäure her, die aus altem Brot gewonnen wurde. „Wir verwenden Reststoffe, die sonst im Müll landen würden“, betont Sängerlaub. Die Wissenscha­ftler erforschen, welche besonderen Anforderun­gen die Folien erfüllen. Das heißt in der Praxis: Sängerlaub und Kollegen experiment­ieren mit Molekülen, die sie mithilfe von Maschinen zu langen Polymerket­ten verbinden, erhitzen, zu mehrschich­tigen Folien aussprühen und wieder abkühlen. Je nach Anordnung der Moleküle verändern sich die Eigenschaf­ten dieser Kunststoff­e. Wie komplex die Materie der Plastik-Alchemiste­n ist, lassen die Aufnahmen erahnen, die in manchen IVV-Laboren hängen. Sie zeigen starke Vergrößeru­ngen von in natura haardicken Folienquer­schnitten. Jede Schicht besteht aus einem anderen Material, das unterschie­dliche Eigenschaf­ten hat: Schutz, Wasserbarr­iere, Sauerstoff­barriere, Stabilität

Vieles in der Welt der Biopolymer­e ist noch unerforsch­t. Dabei sind Biokunstst­offe kein neues Phänomen. Sie erleben genau genommen eine Renaissanc­e. Die ersten menschenge­machten Polymere wurden aus nachwachse­nden Rohstoffen gewonnen. 1839 erfand Charles Goodyear zum Beispiel Gummi, das er aus Kautschuk herstellte. 1856 produziert­e Alexander Parkes das erste Zelluloid aus Zellulose und entdeckte damit einen Kunststoff, aus dem später Puppen, Tischtenni­sbälle und auch Filme waren. Vier Jahre später war die Geburtsstu­nde des Linoleums, das aus Leinöl, Korkmehl und Jutegewebe gewonnen wurde.

Nach dem Zweiten Weltkrieg dann wurden viele Biopolymer­e der ersten Generation durch Kunststoff­e ersetzt, die aus dem günstigen und plötzlich reichlich vorhandene­n Erdöl entwickelt wurden und den Markt überschwem­mten. Tausende Arbeitsstu­nden steckten Wissenscha­ftler in die Plastikfor­schung, um Herstellun­gsverfahre­n zu optimieren. Wohingegen die Biopolymer­e in Vergessenh­eit gerieten. „Hier haben wir noch viel nachzuhole­n“, sagt Sängerlaub, „aber in den letzten zehn Jahren haben wir große Fortschrit­te gemacht.“Die Forscher am IVV versuchen für Verpackung­sstoffe passende Lösunpost gen zu finden – im Auftrag von Hersteller von Lebensmitt­eln, Polymeren und Folien und im Rahmen der EU-Richtlinie­n für Verpackung­sstoffe. Polymere aus nachwachse­nden Rohstoffen zu gewinnen, sei ein Schritt in die richtige Richtung, so Sängerlaub. Im Prinzip sei es schon möglich, Verpackung­smaterial aus Kunststoff herstellen, der zu 100 Prozent biologisch abbaubar wäre. „Das ist nur eine Frage der Kosten“, sagt Sängerlaub. Besser sei es natürlich Polymere zu recyceln. Noch sei der Einsatz von Biokunstst­offen teurer als normale Kunststoff­e, aber das könne sich ändern, wenn die Produktion­sabläufe optimiert seien und der Bedarf steige. Das hänge auch vom Verbrauche­r ab, ob er neue Verpackung­en annehme. Aber wäre der Welt damit geholfen?

Es gibt noch einige „Aber“in Sachen Biokunstst­offe. Zum Beispiel von Franziska Krüger. „Bei diesem Thema muss man sehr aufpassen“, sagt die Recyclinge­xpertin des Umweltbund­esamtes (UBA) nicht nur ihm Hinblick auf die unterschie­dlichen Zerfallbed­ingungen der Biokunstst­offe. Entscheide­nd sei auch: Aus welchen Quellen stammen zum Beispiel die Rohstoffe, aus denen die Biopolymer­e gewonnen werden? Werden Lebensmitt­el extra zur Kunststoff­gewinnung hergestell­t? Oder werden Reststoffe verwendet, die an einem anderen weggenomme­n werden? Eine ähnliche Diskussion hat es bereits bei Biogas und Biosprit gegeben. Hinzu komme die Ökobilanz, die bei den Biokunstst­offen nicht CO2-neutral sei. Die beim Anbau der Rohstoffe verwendete­n Dünger und Pestizide müssten ebenso in die Rechnung aufgenomme­n werden wie die Kraftstoff­e

„Bio“heißt nicht automatisc­h „gut für die Umwelt“

der Erntemasch­inen. Alles nicht gesund für den Planeten.

Dass Bioplastik auch nicht gesünder für den Menschen ist, darauf weisen Wissenscha­ftler hin. In Spielzeug oder Geschirr aus Biopolymer­en würden sich Zusatzstof­fe befinden, über die es kaum Untersuchu­ngen gebe, sagte jüngst Martin Wagner von der Uni Trondheim. Weltweite Richtlinie­n für die Herstellun­g von Bioplastik gibt es nicht, betont auch UBA-Expertin Franziska Krüger. Einen globalen Bioplastik-Plan, den jüngst ein Expertenko­nsortium der Ellen-MacArthurS­tiftung forderte, ebenso wenig.

Was es aber gibt: Recyclingp­robleme. Plastik, das in Kompostier­ungsanlage­n biologisch abbaubar sei, lande in der Gelben Tonne und werde zur Verbrennun­g aussortier­t, sagt Franziska Krüger. Noch seien die Mengen zu gering, als dass sich eine eigene Recyclings­traße lohne. Zudem komme es vor, dass Mischmater­ialien nicht aufgespalt­en werden können und die anderen Kunststoff­e beim Recycling verunreini­gen. Das kritisiert auch Thomas Reiner, Vorstandsv­orsitzende­r des Deutschen Verpackung­sinstitute­s. Es sei zwar sinnvoll, Alternativ­en zu erdölbasie­rtem Plastik zu suchen, aber das Thema Mehrweg bleibe wichtig. Das sieht Franziska König ähnlich. Sie warnt davor, dass Plastik nun ein grünes Mäntelchen verpasst bekommt und dadurch sorgloser mit dem Plastikmül­l umgegangen wird. Nach dem Motto: Ist doch bio, verrottet schon, weg damit. Das wäre falsch wie fatal. Denn eigentlich ist es ganz einfach: Das beste Plastik, ob bio oder nicht, ist immer noch das, das gar nicht erst als Abfall in der Umwelt landet.

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