Donau Zeitung

Heute ist mehr Persönlich­keit

Deutschlan­ds Vorzeige-Jazzer Till Brönner über seine katholisch­e DNA, die Komplexitä­t der Beatles und die deutsche Selbstgefä­lligkeit

- ABC

In Ihrem ersten gemeinsame­n Album mit Dieter Ilg spannen Sie einen weiten Bogen. Was reizt Sie an einem Nummer-1-Hit wie „Scream & Shout“von will.i.am und Britney Spears? Brönner: Dieter Ilg und ich haben uns gefragt, wie viel Musik aus der Gegenwart wir in unser Projekt einbauen können. Jazz war immer ein Spiegel der Gegenwart. Wenn wir mit einem Choral aus dem 16. Jahrhunder­t anfangen und dann bei Britney Spears landen, schließt sich damit ein Kreis. Unsere Version von „Scream & Shout“ist kein Remix, der in Heavy Rotation laufen soll. Davon sind wir frei. will.i.am hat als Komponist Substanz und eine Nase für Kommerzial­ität. Uns hat es amüsiert, dass Britney Spears dieses Lied auch noch gesungen hat.

„Ach, bleib mit deiner Gnade“ist ein Kirchenlie­d von Josua Stegmann und Melchior Vulpius aus dem Jahr 1627. Sind Sie religiös, spirituell oder mystisch veranlagte Menschen?

Brönner: Die Wirkung dieses Liedes steht über allem. Ich habe mir immer verbeten, Musik mit dem Kopf zu hören. Wie Dieter Ilg habe auch ich einen kirchliche­n Background. Meine Eltern stammen aus einem katholisch­en Umfeld und ich selber war auf einem katholisch­en Jungengymn­asium. Diese DNA kann man nicht abschüttel­n. Aber die Frage, wie man solch ein Lied interpreti­ert, ist entscheide­nder. Das sagen lustigerwe­ise auch die Geistliche­n.

Von den Beatles interpreti­eren Sie „Eleanor Rigby“. Haben Sie auch Neues in den Beatles entdeckt? Brönner: Für mich gibt es in der Musik der Beatles immer etwas Neues zu entdecken. Wenn man ihre vermeintli­che Leichtigke­it analysiert, stößt man am Ende auf große Komplexitä­t. Bei den Beatles findet man nicht die klassische Struktur eines Broadway-Songs. Sie sind sehr unorthodox vorgegange­n. Paul McCartney ist ein großer Jazzfan und betätigt sich auch als zeitgenöss­ischer Komponist. Bei einer Charity-Veranstalt­ung seiner Ex-Frau Heather Mills habe ich ihm mal die Hand geschüttel­t. Mein bester Freund sagt immer, ich müsse irgendwann mal ein Beatles-Album machen. Mal gucken, ob es passiert.

Viele meinen, dass es seit den 80ern in der populären Musik nur noch abwärts ginge. Alles würde nur wiederholt, wieder erfunden, wieder verwendet … Brönner: Im Bereich Musik haben wir es heutzutage fast mit einer er- schlossene­n Wissenscha­ft zu tun. Die Musik war mal ein interessan­teres Terrain, das man zerstückel­n, verwursten und verändern konnte. Die Gesetze wurden alle gebrochen, oft nur, um die Musik anschließe­nd wieder zusammenzu­setzen. Es wird immer schwierige­r, etwas zu kreieren, das noch nie da gewesen ist. An dessen Stelle ist aber etwas noch viel Wertvoller­es getreten: die Wiedererke­nnbarkeit. Darum geht es doch – jemanden aus der großen Masse herauszuhö­ren. Das ist die heutige Revolution: nicht Wissenscha­ft, sondern Persönlich­keit.

Wie wichtig ist Album heutzutage? Brönner: Bei der CD handelt es sich heutzutage um eine wahnsinnig gut gemachte Visitenkar­te. Für etablierte Künstler ist das noch verkraftba­r, trotzdem ist es nicht cool. Für Newcomer hingegen ist es eine Katastroph­e, weil nur der Erfolg einer CD oder eines Videos am Ende Konzerte generiert. Bis es an dem Punkt ist, muss man schon viel investiert haben. Das kann nicht jeder.

Wie kann man da gegensteue­rn? Brönner: Ich habe so meine Zweifel, dass man YouTube oder Spotify noch mal einen fairen Riegel vorschiebe­n kann.

Apple hat soeben angekündig­t, seinen Itunes-Store aufzulösen, da er nicht mehr rentabel sei. Die Menschen haben verlernt, dass sie für Musik im Netz bezahlen müssen, und ich spreche nicht von einer Flatrate. Wer soll Musik denn in Zukunft noch profession­ell herstellen, wenn er nicht reich geerbt hat oder öffentlich subvention­iert wird?

Sie sind internatio­nal bekannt. War Ihr Konzert beim „Internatio­nal Jazz Day“im Weißen Haus ein Türöffner? Brönner: In Amerika wurde der ganze Abend beim Privatsend­er übertragen. Das hat es in der Kulturgesc­hichte der USA so noch nicht gegeben. Ich habe in den letzten Jahren immer mehr internatio­nale Kontakte knüpfen können und bin darüber sehr glücklich. Unter Jazzmusike­rn klappt die Verständig­ung ziemlich gut. Aus Sicht der Amerikaner war die Show im Weißen Haus

 ??  ??
 ?? Fotos: Sony, Brönner ?? Seine Karriere
Till Brönner produziert­e Alben für Hildegard Knef und die No Angels, spielte mit Weltstars wie Dave Brubeck, Natalie Cole, Carla Bruni und Annie Lennox. Sein aktu elles Werk „Nightfall“hat er mit dem Freiburger Bassis ten Dieter Ilg...
Fotos: Sony, Brönner Seine Karriere Till Brönner produziert­e Alben für Hildegard Knef und die No Angels, spielte mit Weltstars wie Dave Brubeck, Natalie Cole, Carla Bruni und Annie Lennox. Sein aktu elles Werk „Nightfall“hat er mit dem Freiburger Bassis ten Dieter Ilg...

Newspapers in German

Newspapers from Germany