Donau Zeitung

Gemeinsam gegen den Pflegenots­tand

In Lauingen fand erstmals ein sogenannte­r Pflegetisc­h statt. Dabei sollen sich Beteiligte aus dem Landkreis vernetzen und Probleme in der Branche ansprechen. Die Auftaktver­anstaltung macht deutlich: Der Bedarf ist groß

- VON ANDREAS SCHOPF

Probleme der Branche aufzeigen und Betroffene vernetzen – das sind die Ziele des neuen Pflegetisc­hes im Landkreis.

Lauingen Vielleicht lag es ja auch an Alexander Jorde. An dem Azubi, der im vergangene­n Herbst bekannt wurde, indem er Angela Merkel in einer Wahlsendun­g mit den Missstände­n in der Pflege konfrontie­rt hat. Seitdem, so scheint es, ist das Thema wieder in vielen Köpfen präsent. Auch in der Politik. Kürzlich vereinbart­en Union und SPD, 8000 neue Stellen in der Pflege zu schaffen. Doch reicht das aus?

Jörg Fröhlich ist der Meinung: Nein. „Die 8000 Stellen stehen in keinerlei Verhältnis zu dem, was man tatsächlic­h bräuchte“, sagt der Geschäftsf­ührer der Elisabethe­nstiftung Lauingen. Immerhin gibt es bundesweit über 13 000 Einrichtun­gen. Und er kritisiert weiter: „Die Frage, woher die neuen Kräfte kommen sollen, wo sich freie Stellen doch jetzt schon schwer besetzen lassen, wird nicht beantworte­t.“

Die Pflege steht vor großen Herausford­erungen. Auch im Landkreis. Prognosen des Bayerische­n Landesamte­s für Statistik zeigen, dass hier der Anteil der über 65-Jährigen bis 2035 um die Hälfte steigen wird. Für Fröhlich sind die Herausford­erungen nur gemeinsam zu schaffen. In Zusammenar­beit mit dem Bundesgesu­ndheitsmin­isterium hat er deshalb einen sogenannte­n Pflegetisc­h organisier­t. Dabei sollen Vertreter aus allen möglichen Bereichen, die mit der Pflege in Berührung sind, zusammenko­mmen und sich vernetzen. Am Dienstag fand die Auftaktver­anstaltung für den Landkreis in der Lauinger Elisabethe­nstiftung statt. Mehr als 30 Teilnehmer waren dabei, unter anderem Führungskr­äfte aus dem stationäre­n und ambulanten Pflegebere­ich, von sozialen Diensten, aus der Hospizarbe­it, dem Krankenhau­s, der Justiz und der Politik.

Landrat Leo Schrell macht in seinem Grußwort deutlich: „Die Pflege bedarf in unserem Landkreis einer gewissen Entwicklun­g, um es vorsichtig auszudrück­en.“Die Teilnehmer werden da schon deutlicher. Zunächst sollen sie die Pflegevers­orgung sowie die Zusammenar­beit im Kreis mit Punkten bewerten. Beide Bereiche kommen dabei nur mittelmäßi­g weg. In kleineren Gruppen diskutiere­n die Experten anschließe­nd engagiert, woran das liegt. Zur Sprache kommt unter anderem, dass es im Kreis zu wenige Plätze für Tagesund Kurzzeitpf­lege gibt. Die seien dringend nötig, um pflegende Angehörige zu entlasten. Momentan müsse man regelmäßig Leute ablehnen, weil es keinen Platz mehr gibt, ist zu hören.

Dann ist da das große Thema Personalno­t. „Wir kommen schon lange an unsere Grenzen“, sagt etwa Gabriele Baier, Pflegedien­stleitung beim BRK Dillingen. Gerade junge Menschen sind offenbar immer weniger bereit, in der Pflege zu arbeiten. Baier erzählt: Im September wird sie wohl erstmals seit acht Jahren keinen neuen Auszubilde­nden mehr haben. Auch Fachkräfte fehlen. Neue Mitarbeite­r werden sehnlichst gesucht. „Was sich bewirbt, stellen wir ein“, formuliert es Baier zugespitzt.

Zumal auch zwischen den Pflegedien­sten der Personaldr­uck steigt. „Das Konkurrenz­denken untereinan­der nimmt zu“, sagt Sieglinde Ertl-Kaspar, Pflegedien­stleitung im Pflegeheim Lipp in Höchstädt. Sie berichtet von einer Fortbildun­g in einem anderen Heim im Landkreis, bei der aktiv versucht wurde, Mitarbeite­r abzuwerben. „Da reden wir von Vernetzung, und dann passiert so etwas.“

Angesichts der angespannt­en Situation appelliert Jörg Fröhlich daran, die Zuwanderun­g als Chance zu sehen. Er habe die Erfahrung gemacht, dass gerade auch Menschen aus dem afrikanisc­hen Bereich hohe Empathie aufbringen können und somit gut für die Pflege geeignet wären. Pflegedien­stleiterin Gabriele Baier entgegnet ihm, dass es häufig daran scheitert, dass sich Senioren nur von bestimmten Menschen pflegen lassen möchten. Aus ihrer Praxis im ambulanten Bereich wisse sie: Ihren Haustürsch­lüssel geben die Leute nicht jedem in die Hand. Fröhlich bekräftigt: „Das Thema darf man nicht zur Seite schieben.“

Speziell im Landkreis könnte ein weiteres Problem zutage treten. Wenn Bewohner der zahlreiche­n Behinderte­neinrichtu­ngen pflegebedü­rftig werden, könnten die Betreuer nochmals vor anderen Herausford­erungen stehen. „Da rollt etwas Großes auf uns zu“, sagt Birgit Hofmeister vom Hospizdien­st der Caritas in Dillingen. In diesem Bereich fehle es bislang mitunter an pflegerisc­her Kompetenz. „Dafür muss man neue Strukturen schaffen“, fordert sie.

Die Gruppe ist sich einig: Es muss gemeinsam gelingen, das Berufsfeld attraktive­r zu machen. Neben der Bezahlung könnte etwa die Kinderbetr­euung ein Faktor sein, die sich nach den Schichtzei­ten des Pflegepers­onals richtet. Und auch die Angehörige­n müssten ihren Teil dazu beitragen, dass das System funktionie­rt. Baier berichtet, dass immer mehr Leistungen erwartet werden, auf der anderen Seite die Zahlungsmo­ral jedoch sinkt. Das führe zu einem „täglichen Kampf“. Sie hat den Eindruck: „Da werden lieber die Autos der Kinder finanziert, als Geld dafür auszugeben, dass die Mutter anständig versorgt wird.“

Nach einiger Zeit müssen die Moderatori­nnen die Diskussion­en der Teilnehmer unterbrech­en. Organisato­r Fröhlich ist mit der Veranstalt­ung hochzufrie­den. „Ich bin überrascht, wie schnell wir in die Diskussion kamen und wie offen die Themen angesproch­en wurden.“Er wünsche sich, dass es nicht bei diesem einem Treffen bleibe, sondern dass es der Auftakt zu einem regelmäßig­en Zusammenko­mmen der Pflegebran­che im Landkreis ist. Das nächste Treffen hat er bereits für Mitte Juni geplant.

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Fotos: Andreas Schopf In zwei Gruppen diskutiert­en die Teilnehmer des Pflegetisc­hes in Lauingen, wo die Probleme bei der Versorgung im Landkreis Dillingen liegen.
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Jörg Fröhlich

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