Gemeinsam gegen den Pflegenotstand
In Lauingen fand erstmals ein sogenannter Pflegetisch statt. Dabei sollen sich Beteiligte aus dem Landkreis vernetzen und Probleme in der Branche ansprechen. Die Auftaktveranstaltung macht deutlich: Der Bedarf ist groß
Probleme der Branche aufzeigen und Betroffene vernetzen – das sind die Ziele des neuen Pflegetisches im Landkreis.
Lauingen Vielleicht lag es ja auch an Alexander Jorde. An dem Azubi, der im vergangenen Herbst bekannt wurde, indem er Angela Merkel in einer Wahlsendung mit den Missständen in der Pflege konfrontiert hat. Seitdem, so scheint es, ist das Thema wieder in vielen Köpfen präsent. Auch in der Politik. Kürzlich vereinbarten Union und SPD, 8000 neue Stellen in der Pflege zu schaffen. Doch reicht das aus?
Jörg Fröhlich ist der Meinung: Nein. „Die 8000 Stellen stehen in keinerlei Verhältnis zu dem, was man tatsächlich bräuchte“, sagt der Geschäftsführer der Elisabethenstiftung Lauingen. Immerhin gibt es bundesweit über 13 000 Einrichtungen. Und er kritisiert weiter: „Die Frage, woher die neuen Kräfte kommen sollen, wo sich freie Stellen doch jetzt schon schwer besetzen lassen, wird nicht beantwortet.“
Die Pflege steht vor großen Herausforderungen. Auch im Landkreis. Prognosen des Bayerischen Landesamtes für Statistik zeigen, dass hier der Anteil der über 65-Jährigen bis 2035 um die Hälfte steigen wird. Für Fröhlich sind die Herausforderungen nur gemeinsam zu schaffen. In Zusammenarbeit mit dem Bundesgesundheitsministerium hat er deshalb einen sogenannten Pflegetisch organisiert. Dabei sollen Vertreter aus allen möglichen Bereichen, die mit der Pflege in Berührung sind, zusammenkommen und sich vernetzen. Am Dienstag fand die Auftaktveranstaltung für den Landkreis in der Lauinger Elisabethenstiftung statt. Mehr als 30 Teilnehmer waren dabei, unter anderem Führungskräfte aus dem stationären und ambulanten Pflegebereich, von sozialen Diensten, aus der Hospizarbeit, dem Krankenhaus, der Justiz und der Politik.
Landrat Leo Schrell macht in seinem Grußwort deutlich: „Die Pflege bedarf in unserem Landkreis einer gewissen Entwicklung, um es vorsichtig auszudrücken.“Die Teilnehmer werden da schon deutlicher. Zunächst sollen sie die Pflegeversorgung sowie die Zusammenarbeit im Kreis mit Punkten bewerten. Beide Bereiche kommen dabei nur mittelmäßig weg. In kleineren Gruppen diskutieren die Experten anschließend engagiert, woran das liegt. Zur Sprache kommt unter anderem, dass es im Kreis zu wenige Plätze für Tagesund Kurzzeitpflege gibt. Die seien dringend nötig, um pflegende Angehörige zu entlasten. Momentan müsse man regelmäßig Leute ablehnen, weil es keinen Platz mehr gibt, ist zu hören.
Dann ist da das große Thema Personalnot. „Wir kommen schon lange an unsere Grenzen“, sagt etwa Gabriele Baier, Pflegedienstleitung beim BRK Dillingen. Gerade junge Menschen sind offenbar immer weniger bereit, in der Pflege zu arbeiten. Baier erzählt: Im September wird sie wohl erstmals seit acht Jahren keinen neuen Auszubildenden mehr haben. Auch Fachkräfte fehlen. Neue Mitarbeiter werden sehnlichst gesucht. „Was sich bewirbt, stellen wir ein“, formuliert es Baier zugespitzt.
Zumal auch zwischen den Pflegediensten der Personaldruck steigt. „Das Konkurrenzdenken untereinander nimmt zu“, sagt Sieglinde Ertl-Kaspar, Pflegedienstleitung im Pflegeheim Lipp in Höchstädt. Sie berichtet von einer Fortbildung in einem anderen Heim im Landkreis, bei der aktiv versucht wurde, Mitarbeiter abzuwerben. „Da reden wir von Vernetzung, und dann passiert so etwas.“
Angesichts der angespannten Situation appelliert Jörg Fröhlich daran, die Zuwanderung als Chance zu sehen. Er habe die Erfahrung gemacht, dass gerade auch Menschen aus dem afrikanischen Bereich hohe Empathie aufbringen können und somit gut für die Pflege geeignet wären. Pflegedienstleiterin Gabriele Baier entgegnet ihm, dass es häufig daran scheitert, dass sich Senioren nur von bestimmten Menschen pflegen lassen möchten. Aus ihrer Praxis im ambulanten Bereich wisse sie: Ihren Haustürschlüssel geben die Leute nicht jedem in die Hand. Fröhlich bekräftigt: „Das Thema darf man nicht zur Seite schieben.“
Speziell im Landkreis könnte ein weiteres Problem zutage treten. Wenn Bewohner der zahlreichen Behinderteneinrichtungen pflegebedürftig werden, könnten die Betreuer nochmals vor anderen Herausforderungen stehen. „Da rollt etwas Großes auf uns zu“, sagt Birgit Hofmeister vom Hospizdienst der Caritas in Dillingen. In diesem Bereich fehle es bislang mitunter an pflegerischer Kompetenz. „Dafür muss man neue Strukturen schaffen“, fordert sie.
Die Gruppe ist sich einig: Es muss gemeinsam gelingen, das Berufsfeld attraktiver zu machen. Neben der Bezahlung könnte etwa die Kinderbetreuung ein Faktor sein, die sich nach den Schichtzeiten des Pflegepersonals richtet. Und auch die Angehörigen müssten ihren Teil dazu beitragen, dass das System funktioniert. Baier berichtet, dass immer mehr Leistungen erwartet werden, auf der anderen Seite die Zahlungsmoral jedoch sinkt. Das führe zu einem „täglichen Kampf“. Sie hat den Eindruck: „Da werden lieber die Autos der Kinder finanziert, als Geld dafür auszugeben, dass die Mutter anständig versorgt wird.“
Nach einiger Zeit müssen die Moderatorinnen die Diskussionen der Teilnehmer unterbrechen. Organisator Fröhlich ist mit der Veranstaltung hochzufrieden. „Ich bin überrascht, wie schnell wir in die Diskussion kamen und wie offen die Themen angesprochen wurden.“Er wünsche sich, dass es nicht bei diesem einem Treffen bleibe, sondern dass es der Auftakt zu einem regelmäßigen Zusammenkommen der Pflegebranche im Landkreis ist. Das nächste Treffen hat er bereits für Mitte Juni geplant.