Donau Zeitung

Die SPD hat ihre Haut teuer verkauft

Die neue Große Koalition unter Angela Merkel gibt sehr viel Geld aus und drückt sich um strukturel­le Reformen. Die sogenannte Steuerentl­astung ist ein Witz

- VON WALTER ROLLER ro@augsburger allgemeine.de

Das neue schwarz-rote Bündnis ist geschmiede­t, das nervige Schauspiel um die Bildung einer neuen Bundesregi­erung beendet. Am Tag 137 (!) nach der Bundestags­wahl haben sich CDU, CSU und SPD noch einmal zusammenge­rauft. Den Verlierern der Wahl, die gemeinsam nur noch 53 Prozent auf die Waage bringen, blieb am Ende keine andere Wahl als diese Zwangsheir­at.

Warum? Erstens braucht Deutschlan­d endlich wieder eine handlungsf­ähige Regierung. Zweitens hatten alle Angst davor, bei Neuwahlen abgestraft zu werden. Drittens hat das Vertrauen der Bürger in das parlamenta­rische System schon zu sehr gelitten, als dass sich die staatstrag­enden Volksparte­ien ein Scheitern der Verhandlun­gen hätten leisten können. Noch ist die Regierung Merkel IV nicht unter Dach und Fach. Doch das Risiko, dass die Mitglieder der SPD die kleine GroKo noch platzen lassen, ist ziemlich gering. Denn die SPD kann mit dem Verhandlun­gsergebnis zufrieden sein. Der Koalitions­vertrag trägt nicht durchgängi­g ihre „Handschrif­t“. Aber gemessen an dem mickrigen Wahlergebn­is von 20,5 Prozent hat die SPD eine Menge herausgeho­lt und ihre Haut teuer verkauft.

Alles in allem besehen ist die Union der SPD weit entgegenge­kommen – bis hin zur Dreingabe des Finanzmini­steriums, das unter Schäuble für einen Markenkern der CDU/CSU stand. Der Preis, den Angela Merkel für die Fortführun­g ihrer Kanzlersch­aft zahlt, ist recht hoch, das inhaltlich­e Profil der CDU noch diffuser und schwammige­r geworden. Merkel geht geschwächt in ihre vierte Amtszeit, die Debatte über die Zeit nach ihr wird bald beginnen. Warum also sollte die Basis der SPD Nein sagen? Zumal die Partei bei der Gelegenhei­t auch den überforder­ten Vorsitzend­en Martin Schulz vergleichs­weise elegant loswird. Schulz rettet sich – auf Kosten des kühl abserviert­en Sigmar Gabriel – ins Außenamt und macht Platz für Andrea Nahles, die neue starke Frau und mutmaßlich­e nächste Kanzlerkan­didatin.

Die Opposition lässt erwartungs­gemäß kein gutes Haar am Koalitions­vertrag. Richtig daran ist, dass sich Schwarz-Rot überwiegen­d auf eingefahre­nen Gleisen bewegt und keine zündende Botschaft von der Zukunft Deutschlan­ds hat. Man sieht nicht, worin genau der viel beschworen­e „Aufbruch“besteht. Das nach dem Prinzip des Gebens und Nehmens entstanden­e Arbeitspro­gramm enthält allerdings eine Vielzahl sozial- und familienpo­litischer Verbesseru­ngen sowie dringend notwendige­r Milliarden-Investitio­nen insbesonde­re in Bildung und Digitalisi­erung. Man hat viel Geld zur Verfügung und gibt es aus, ohne freilich auch nur einen Gedanken ans Sparen an anderen Stellen zu verschwend­en. Vorsorge für schlechter­e Zeiten kommt zu kurz; strukturel­le Reformen sind Fehlanzeig­e. In der Rentenpoli­tik etwa wird kräftig draufgesat­telt, die Frage nach der langfristi­gen Finanzierb­arkeit des Systems jedoch ausgeklamm­ert. Oder: Steuerrefo­rm bleibt ein Fremdwort. Die Entlastung in Höhe von zehn Milliarden Euro ist angesichts der Einnahmere­korde ein schlechter Witz. „Spielraum“für mehr wäre vorhanden gewesen – trotz der immensen Kosten der Massenzuwa­nderung, die von den Großkoalit­ionären gerne verschwieg­en werden.

Hält diese aus der Not geborene Koalition bis 2021? Wer weiß das schon. An möglichen Bruchstell­en jedenfalls ist kein Mangel. Sowohl in der Flüchtling­s- als auch in der Europapoli­tik liegen CDU, CSU und SPD weiter auseinande­r, als die Vertragspr­osa vermuten lässt. Im Ernstfall kommt es auf das gegenseiti­ge Vertrauen und den Willen zur Zusammenar­beit an. Und um beides war es zwischen Union und SPD schon einmal besser bestellt.

Bruchstell­en in der Flüchtling­s- und Europapoli­tik

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