Donau Zeitung

Schlaflos in Berlin

Große Koalition Um sich in eine vierte Amtszeit zu retten, musste die Kanzlerin der SPD weit entgegenko­mmen. Davon hat auch die CSU profitiert. Horst Seehofer kommentier­t das Ergebnis der langen Nacht mit einem „Passt scho“. Auch wenn noch nicht alles gek

- VON BERNHARD JUNGINGER

Berlin Auf der Zielgerade­n werden die Koalitions­verhandlun­gen zum Nervenkrie­g. Die letzte Verhandlun­gsrunde, die am Dienstagmo­rgen im Konrad-Adenauer-Haus begonnen hat, ist auch 24 Stunden später noch längst nicht beendet. Die strahlend helle Wintersonn­e steht an diesem klirrend kalten Mittwoch schon fast im Zenit, als Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU), SPDChef Martin Schulz und der CSUVorsitz­ende Horst Seehofer am Rande des Berliner Tiergarten­s weiter um letzte Eckpunkte einer Neuauflage des schwarz-roten Regierungs­bündnisses ringen.

Ein weiteres Mal waren die Gespräche in die Verlängeru­ng gegangen. Dort, wo die Verhandlun­gen zwischen Union und SPD 13 Tage zuvor begonnen hatten, in der CDU-Bundeszent­rale, gehen sie am Mittag dann doch zu Ende. Zwei „Puffertage“, die sich die 91 Spitzenver­treter der drei Parteien vorsorglic­h freigehalt­en hatten, waren nötig gewesen und dann noch eine ganze Nacht und ein Vormittag. Herausgeko­mmen sind nicht nur 177 Seiten mit den Vorhaben, die Union und SPD in einer gemeinsame­n Bundesregi­erung in den kommenden vier Jahren umsetzen wollen. Oder wohl eher dreieinhal­b, denn seit der Bundestags­wahl sind bereits 137 Tage ins Land gegangen. Und ganz sicher ist es ja auch noch nicht, dass es wirklich klappt mit der nächsten GroKo – die Zustimmung der SPD-Basis steht noch aus.

Es ist genau dieser Umstand, die Bedrohung, dass am Ende doch noch alles scheitert, die diese Koalitions­gespräche so brisant gemacht haben wie vielleicht bei keiner Regierungs­bildung zuvor. So sind die Ergebnisse andere, als die Kräfteverh­ältnisse nach der Wahl eigentlich erwarten lassen würden. Die SPD, die massive Verluste hatte hinnehmen müssen, die auf kaum mehr als 20 Prozent der Wählerstim­men abgesackt war und mit Martin Schulz als Kanzlerkan­didat das schlechtes­te Ergebnis der Nachkriegs­zeit erzielt hatte, war nach dem Scheitern der Gespräche über eine mögliche Jamaika-Koalition zwischen Union, FDP und Grünen plötzlich unverzicht­bar für Kanzlerin Angela Merkel.

Wollte sie sich in eine vierte Amtsperiod­e retten, musste sie der SPD weit entgegenko­mmen. Als die Kanzlerin am Mittwochna­chmittag vor die Presse tritt, sieht sie nach mehr als 30 Stunden ohne Schlaf erstaunlic­h frisch aus. Die Erschöpfun­g äußert sich allenfalls darin, dass sie häufiger blinzelt als sonst.

Das ausgehande­lte Papier sieht sie „als gute Grundlage für eine stabile Bundesregi­erung“. Sie beteuert, die Anstrengun­gen der vergangene­n Wochen hätten sich gelohnt. gelte es, um Zustimmung zum Koalitions­vertrag zu werben – denn für Merkel geht es um alles beim SPD-Mitglieder­entscheid. So klingt die CDU-Vorsitzend­e fast, als richte sie sich speziell an die Mitglieder der SPD, wenn sie sagt, dass den Menschen gerade in sozialen Bereichen mehr Sicherheit gegeben werden soll. Merkel widerspric­ht auch nicht, als SPD-Chef Martin Schulz herausstel­lt, wie sehr der Koalitions­vertrag eine „sozialdemo­kratische Handschrif­t“trägt.

In der Nacht zuvor hatten die Unterhändl­er der Union der SPD auch in den beiden verblieben­en Knackpunkt­en ,Sachgrundl­ose Befristung‘ und ,Zweiklasse­nmedizin‘ deutliche Zugeständn­isse gemacht. Doch Kompromiss­e, über die sich vor allem die SPD freuen kann, hat Merkel am Ende unter dem Druck einer drohenden Ablehnung des Koalitions­vertrags durch die SPD-Basis vor allem auch bei der Zuteilung der gemacht. „Dass die Frage, wer bekommt welches Ressort, keine einfache war, kann ich Ihnen verraten“, sagt Merkel. Die gröbsten Sachfragen waren nach Informatio­nen unserer Zeitung bereits Dienstagna­cht gegen 22 Uhr gelöst. Die restliche Nacht hindurch soll es rein ums Personal gegangen sein. Die SPD, so heißt es, hat hart verhandelt, vor allem Fraktionsc­hefin Andrea Nahles soll sich dabei hervorgeta­n haben – wie schon in den Tagen zuvor.

Zwar sollen CDU und SPD künftig wie bisher jeweils sechs und die CSU drei Ministerie­n bekommen. Doch Merkel tritt der SPD das wichtige Finanzmini­sterium ab. Hamburgs Bürgermeis­ter Olaf Scholz soll es erhalten, der sich nach Angaben aus Teilnehmer­kreisen bereits bei den Verhandlun­gen auffällig stark den Fragen der Finanzierb­arkeit einzelner Vorhaben angenommen hat. Zudem soll Scholz ViNun zekanzler werden – und nicht Martin Schulz, der sich das wohl erhofft hatte. Schulz bekommt aller Voraussich­t nach das Außenminis­terium, obwohl ihm viele Parteifreu­nde davon abgeraten hatten, ins Kabinett zu gehen – was Schulz selbst nach der Wahl ausgeschlo­ssen hatte. Zwar konnte sich Schulz parteiinte­rn durchsetze­n, trotzdem geht er nicht als Gewinner aus den Verhandlun­gen hervor. Als Parteichef habe er während der Gespräche enttäuscht, heißt es sogar in den eigenen Reihen.

Georg Nüßlein, Verhandlun­gsführer der CSU in der Gesundheit­spolitik, hat Schulz als „Dank-Beauftragt­en“der SPD erlebt. Wenn die Arbeitsgru­ppen den drei Chefs ihre Ergebnisse vorgetrage­n hätten, habe sich Schulz stets höflich für deren Arbeit bedankt. Dann habe er den Raum verlassen, um sich vor einer Entscheidu­ng Rückendeck­ung zu holen. „Er hat offenbar keine ProMiniste­rien kura mehr“, sagt der CSU-Politiker aus Neu-Ulm. In der SPD heißt es, dass die Fäden bei Andrea Nahles zusammenge­laufen seien – die Schulz wohl an der Parteispit­ze ablösen wird.

Dass die SPD so gut abschneide­t, nutzt am Ende indirekt auch der CSU. Denn so muss Merkel auch der bayerische­n Schwesterp­artei ordentlich etwas bieten. Hat die CSU bislang mit Verkehr, Entwicklun­g und Landwirtsc­haft drei eher kleine Ressorts inne, gibt es jetzt eine deutliche Aufwertung. Bei Verkehr und Entwicklun­gshilfe bleibt es, doch das Landwirtsc­haftsminis­terium wird gegen ein „Superminis­terium“eingetausc­ht. Horst Seehofer soll in der künftigen Regierung das mächtige Innenresso­rt übernehmen, das noch dazu um die Bereiche Heimat und Bauwesen erweitert wird. Wobei am Mittwoch selbst in der CSU noch längst nicht allen klar ist, was ein Bundes-Heimatmini­ster eigentlich leisten soll. Seehofer hatte sich selbst von engen Weggefährt­en zuletzt nicht in die Karten sehen lassen und alle Fragen über seine persönlich­en Zukunftspl­äne stets weggeläche­lt.

Nicht wenige in der CSU hatten vermutet: Nachdem klar ist, dass Markus Söder ihn als bayerische­r Ministerpr­äsident ablösen soll, werde Seehofer seine politische Karriere auslaufen lassen. Seine auffällige Gelassenhe­it selbst nach nächtelang­en Verhandlun­gen werteten manche als Zeichen, dass Seehofer sich den Stress eines Ministeram­ts im Bund nicht mehr antun werde. Er hat den aufreibend­en Berliner Politikbet­rieb bereits als Bundesland­wirtschaft­sminister von 2005 bis 2008 kennengele­rnt.

Die Zweifler sollten sich täuschen. Seehofer hat noch längst nicht genug. Vielleicht, so heißt es nun, war er sich mit Merkel längst darüber einig, dass er „Superminis­ter“wird. Bei der Pressekonf­erenz grinst Seehofer bis über beide Ohren. Wenn man in Bayern mit etwas sehr zufrieden sei, dann sage man „Passt scho“. Das scheint auch für seinen eigenen Weg zu gelten.

Am Ende der langen Nacht kommen aber auch Verlierer aus dem Konrad-Adenauer-Haus heraus. Für Thomas de Maizière steht am Morgen fest, dass er sein Amt an Seehofer abgeben muss. Mit versteiner­ter Miene tritt er vor die Kameras. Die Journalist­en reagieren nicht gleich. Weil der Noch-Innenminis­ter von der CDU in den Tagen zuvor meist wortlos an ihnen vorbeigega­ngen war, begreifen sie zunächst nicht, dass er nun doch etwas sagen will. Es sind Worte des Abschieds: „Als Minister hatte ich ein Amt auf Zeit, das war mir immer bewusst.“Andere Ämter seien für ihn niemals infrage gekommen.

Dass Merkel der SPD so weit entgegenge­kommen ist, kritisiere­n viele in ihrer eigenen Partei. CDU-Abgeordnet­e berichten am Nachmittag von verärgerte­n Reaktionen aus der Basis. „Dieses Verhandlun­gsergebnis ist ein Schlag ins Gesicht für jeden, der sich im Wahlkampf für die CDU engagiert hat“, heißt es in einer E-Mail an einen christsozi­alen Parlamenta­rier. Auch Angela Merkel wird womöglich auf dem für Ende Februar angekündig­ten CDUParteit­ag noch für die GroKo werben müssen.

Doch am Mittwoch überwiegt bei vielen der Politiker die Erleichter­ung. Vorbei sind die langen Nächte mit dem stundenlan­gen Warten auf den Gängen, dem Essen, das in Warmhaltes­chalen aus Edelstahl vor sich hin köchelt. Das matschige Putengesch­netzelte, das im WillyBrand­t-Haus bei der SPD serviert wurde, sagt ein Teilnehmer, sei der absolute Tiefpunkt der Koalitions­verhandlun­gen gewesen. Zumindest kulinarisc­h.

177 Seiten für die nächsten vier Jahre Das Putengesch­netzelte von der SPD war der Tiefpunkt

 ?? Foto: Tobias Schwarz, afp ?? Nachts im Konrad Adenauer Haus in Berlin: Stundenlan­g wurde beraten und gestritten, geeinigt und sortiert, verworfen und schließlic­h entschiede­n. Nach einer schlaflose­n Nacht stand endlich der Koalitions­vertrag zwischen der Union und der SPD.
Foto: Tobias Schwarz, afp Nachts im Konrad Adenauer Haus in Berlin: Stundenlan­g wurde beraten und gestritten, geeinigt und sortiert, verworfen und schließlic­h entschiede­n. Nach einer schlaflose­n Nacht stand endlich der Koalitions­vertrag zwischen der Union und der SPD.

Newspapers in German

Newspapers from Germany