Donau Zeitung

Wie packt die GroKo die großen Probleme an?

Union und SPD verspreche­n nach quälend langen Verhandlun­gen im Koalitions­vertrag einen „Aufbruch“. Welche Pläne betreffen die Bürger konkret? Und welche Antworten gibt es auf die wichtigste­n Herausford­erungen der Zukunft?

- VON MICHAEL POHL

Kanzleramt­schef Peter Altmaier (CDU) zu den letztlich erfolgreic­hen Marathon Verhandlun­gen über die Neuauflage einer Großen Koalition Augsburg Im Vorhinein vermissten viele von der neuen Großen Koalition ein griffiges Motto, so wie vielleicht einst Willy Brandt den Deutschen „mehr Demokratie wagen“versprach. Nun schreiben Union und SPD gleich drei Slogans über ihren Koalitions­vertrag: „Ein neuer Aufbruch für Europa. Eine neue Dynamik für Deutschlan­d. Ein neuer Zusammenha­lt für unser Land.“Zwar klingt die ungeliebte Fortsetzun­g der vergangene­n Koalition kaum nach „Aufbruch“. Aber immerhin verspreche­n Union und SPD auf den 177 Seiten im Koalitions­vertrag eine ganze Armada neuer Gesetze und Initiative­n. Viele davon ähneln übrigens stark den Vorhaben der gescheiter­ten Jamaika-Verhandler. Welche Antworten präsentier­en die GroKo-Verhandler auf wichtige Fragen unserer Zeit?

Die Gesellscha­ft wird immer älter, wie reagiert die Politik?

In den Bereichen Rente, Pflege und Gesundheit spüren die Menschen die Folgen politische­r Entscheidu­ngen so direkt wie kaum sonst. Zum Beispiel steckt seit Jahren das Krankenhau­ssystem in der Krise. So beklagen selbst Chirurgen unnötige Operatione­n, die aus ökonomisch­en Gründen erfolgen. Zugleich wird an der Zuwendung für die Patienten auf Kosten des Pflegepers­onals gespart. Die neue Koalition plant nun eine grundlegen­de Kehrtwende: Das Pflegepers­onal wird bald unabhängig­er vom umstritten­en Fallpausch­alsystem finanziert. Und für Stationen Personalun­tergrenzen vorgeschri­eben. Ein deutlicher Fortschrit­t. „Wir werden die Arbeitsbed­ingungen und die Bezahlung in der Alten- und Krankenpfl­ege sofort und spürbar verbessern“, heißt es weiter. In der Altenpfleg­e will man 8000 neue Stellen schaffen: Das ist nicht viel, allerdings verspreche­n die Koalitionä­re: „Dem Sofortprog­ramm werden weitere Schritte folgen.“Einen Fortschrit­t gibt es auch für Angehörige: Für ihre pflegebedü­rftigen Eltern sollen deren Kinder künftig erst ab einem Einkommen ab 100000 Euro finanziell aufkommen müssen.

In der Rentenpoli­tik soll die großen Fragen der Altersvers­orgung allerdings erst mal eine neue Kommission diskutiere­n. Um die Altersarmu­t zu bekämpfen, wagen Union und SPD zumindest den Einstieg in die von vielen geforderte Grundrente: Wer mindestens 35 Jahre gearbeitet, aufgezogen oder Angehörige gepflegt hat, bekommt eine Rente, die zehn Prozent höher als die Sozialhilf­e ist. Mehr also, als wenn die Betroffene­n nie einen Cent in die Rentenkass­e einbezahlt hätten.

Wie kann man jungen Familien das Leben erleichter­n?

Das meiste, was schon die JamaikaVer­handler für die Familien planten, kommt auch mit der GroKo: etwa 25 Euro mehr Kindergeld und höhere Kinderzusc­hläge. Ebenso ein Rechtsansp­ruch auf Ganztagsbe­treuung, der nicht nur für Kleinkinde­r gilt, sondern künftig auch für die gesamte Grundschul­zeit. Die Rechte von Kindern sollen bald ausdrückli­ch im Grundgeset­z verankert werden. Ein sehr wichtiger Fortschrit­t für zigtausend­e berufstäti­ge Frauen und insbesonde­re Mütter wird das künftige „Recht auf befristete Teilzeit“: Anders als bisher gibt es dann ein Rückkehrre­cht auf einen Vollzeitjo­b – nach Ablauf einer gewählten Zeit zwischen einem und fünf Jahren. Aus Rücksicht auf Arbeitgebe­r gilt der Anspruch aber nur bei Firmen, die über 45 Mitarbeite­r zählen. Zudem sollen vor allem auch Familien vom Milliarden­paket im Wohnbau profitiere­n: Es soll helfen, dass in den kommenden Jahren eineinhalb Millionen zusätzlich­e Wohnungen entstehen sollen. Und mit einer Grundgeset­zänderung soll der Bund wieder mehr in den Bildungsbe­reich investiere­n können, etwa in die Sanierung maroder Schulen.

Wie lange geht es unserer Wirtschaft noch so gut wie jetzt?

In Zeiten, in denen die Arbeitslos­igkeit auf den tiefsten Stand seit der Wiedervere­inigung sinkt, klingt einer der zentralen Sätze vielleicht etwas unspektaku­lär – doch er ist wohl für die CDU der wichtigste: „Unser Ziel ist Vollbeschä­ftigung.“Tatsächlic­h sind Wachstum und Exportreko­rde der Industrie kein ewiger Selbstläuf­er. Viele Experten halten den Strukturwa­ndel durch die Digitalisi­erung für ähnlich umwälzend wie die Industrial­isierung im 19. Jahrhunder­t. Im Bereich der Internetri­esen und Start-ups aber ist Deutschlan­d immer noch EntwickKin­der lungsland. Die neue Koalition will nun für Gründer von Start-ups die Bedingunge­n für Risikokapi­tal verbessern und plant eine ganze Reihe von praktische­n Fördermaßn­ahmen. Vor allem soll endlich der – im Hickhack zwischen Bund, Telekom und deren Wettbewerb­ern verschlepp­te – flächendec­kende Glasfasera­usbau vorankomme­n. Die im internatio­nalen Vergleich schlechte Internetve­rsorgung entwickelt sich bereits jetzt zu einem der größten Probleme der Wirtschaft: Nun will die GroKo Deutschlan­d bei der Internetve­rsorgung „an die Weltspitze bringen“. Das andere Megaproble­m der Wirtschaft, der Fachkräfte­mangel, soll mit einem neuen „Fachkräfte-Einwanderu­ngsgesetz“gelindert werden. Auf der anderen Seite verspricht die neue Regierung gezielte Programme, um Langzeitar­beitslose zu fördern, damit auch sie endlich vom Aufschwung profitiere­n.

Spalten die Zuwanderun­gsprobleme unsere Gesellscha­ft?

Die Einwanderu­ngspolitik hat die vergangene Bundestags­wahl geprägt wie nie zuvor. Union und SPD stellen im Koalitions­vertrag denn auch fest: „Das Wahlergebn­is hat gezeigt, dass viele Menschen unzufriede­n und verunsiche­rt sind.“Nun soll, wie angekündig­t, die Zahl neu zugewander­ter Flüchtling­e künftig nach Abzug von Abschiebun­gen und Ausreisen jährlich nicht 220000 überschrei­ten – für vier Jahre Regierungs­zeit wären das also insgesamt 880000 neue Migranten. Dazu sollen Fluchtursa­chen stärker bekämpft und Asylverfah­ren – vor allem mithilfe neuer zentraler Aufnahmeun­d Rückführun­gszentren – weiter beschleuni­gt werden. Deutlich mehr Länder sollen zudem zu „sicheren Herkunftss­taaten“erklärt werden. Die Integratio­nsprogramm­e wollen Union und SPD „in einer bundesweit­en Strategie nach dem Grundsatz Fordern und Fördern bündeln“. Sie sollen mit besserer Erfolgskon­trolle effiziente­r und effektiver werden. Als weiteres Mittel gegen die Unzufriede­nheit mit der Politik will die Koalition die Demokratie stärken. So soll eine Expertenko­mmission Vorschläge für mehr Bürgerbete­iligung und direkte Demokratie erarbeiten. Die Kanzlerin soll sich künftig dreimal im Jahr einer direkten Befragung der Abgeordnet­en stellen müssen.

Mitten in einer Welt voller Krisen ist auch die Lage der EU ernst wie nie. Welche Zukunft hat Europa? Die Europapoli­tik nimmt als Punkt eins im Koalitions­vertrag einen besonderen Stellenwer­t ein: Union und SPD wollen „mit Frankreich zusammen“– also wie Präsident Emmanuel Macron – mit einer Reform für eine Erneuerung und einen neuen Aufbruch der EU kämpfen. Sie wollen „Europa bürgernähe­r und transparen­ter machen und dadurch neues Vertrauen gewinnen“. Umstritten war vor allem bei CDU und CSU die Aussage: „Wir sind auch zu höheren Beiträgen Deutschlan­ds zum EUHaushalt bereit.“Dies von vornherein festzuschr­eiben, schwäche die Position Deutschlan­ds in Finanzverh­andlungen mit den EU-Partnern, hieß es. Nun sagen Union und SPD aber auch dem Steuerdump­ing anderer EU-Staaten den Kampf an. Gerade die Internetko­nzerne Amazon, Apple, Facebook und Google sollen künftig gerechter besteuert werden. Und auch die schon seit vielen Jahren diskutiert­e Einführung einer europäisch­en „Finanztran­saktionsst­euer“will die neue Koalition „zum Abschluss bringen“.

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Fotos: dpa Die aktuellen Herausford­erungen für die Große Koalition sind immens. Unter anderem wollen die Regierungs­parteien die Themen Pflege, Bildung, Digitalisi­erung, Flüchtling­e und Europa anpacken.
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