Donau Zeitung

Spiele zwischen Krieg und Frieden

In der Antike war man sich einig: Keine Waffenkonf­likte während der Wettbewerb­e! Ein Sporthisto­riker erklärt, was aus diesem Gedanken geworden ist

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Herr Professor Wassong, wie sah der olympische Frieden in der Antike aus? Stephan Wassong: Zu den Olympische­n Spielen wurde immer die sogenannte Ekecheiria ausgelobt, ein „Weg-Frieden“. Das heißt sinngemäß, dass man in dieser Zeit die Hände fest bei sich hält. Dadurch sollte sichergest­ellt werden, dass die Athleten, die Zuschauer, aber auch die Wettkampfr­ichter einen sicheren Weg von ihrer Heimatstad­t nach Olympia und zurück hatten. Dieser „Weg-Friede“wurde für vier Monate ausgelobt, zwei Monate vor den Wettkämpfe­n und zwei Monate danach.

Das heißt, kriegerisc­he Auseinande­rsetzungen waren in der Welt der alten Griechen für die Dauer der Spiele untersagt?

Wassong: Nein, das ist ein ganz grundlegen­des Missverstä­ndnis. Keine militärisc­he Auseinande­rsetzung hat aufgehört, weil die Spiele ausgetrage­n wurden. Da genügt ein Blick auf den Peloponnes­ischen Krieg und die vielen lokalen Konflikte. Ekecheiria bedeutete keinen Stopp von Kriegen, es war lediglich verboten, die Region von Elis, in der der Austragung­sort Olympia liegt, mit Waffen zu betreten. Bei einem Vergehen drohten Strafen.

Hatte die Übereinkun­ft keine allgemein befriedend­e Wirkung? Wassong: Es ist durch die große Anzahl von bis zu 40000 Athleten und durch das internatio­nale Interesse an dem antiken Event schon davon auszugehen, dass eine Friedensso­gwirkung zum Zeitpunkt der Olympische­n Spiele zu spüren war. Das Sportfest wäre wohl auch nicht so populär gewesen und hätte auch nicht so lange gehalten, immerhin rund 1000 Jahre.

Der Gründer der neuzeitlic­hen Spiele, Pierre de Coubertin, ließ die Tradition mit ähnlichem Ansinnen neu aufleben. Wassong: Ja, aber der französisc­he Baron wollte es weiter fassen und keine reine Kopie der Antike. Coubertin hatte sehr enge Kontakte zu Vertretern der aufkommend­en Weltfriede­nsbewegung, die sich Ende des 19. Jahrhunder­ts institutio­nalisierte. Er war begeistert von einer Idee, die auf dem Weltfriede­nskongress 1891 in Rom vorgestell­t wurde: Studenten sollten vergleichb­ar mit dem heutigen Erasmus-Programm in andere Länder geschickt werden, damit sie dort die kulturelle­n und nationalen Besonderhe­iten kennen und achten lernten. Der Gedanke dahinter war, dass Vorurteile über andere Nationen oftmals Triebfeder für kriegerisc­he Auseinande­rsetzungen waren.

Ist die Idee des olympische­n Friedens heute noch lebendig?

Wassong: Das ist sehr schwierig zu bewerten. Es gibt aber auf einer rein symbolisch­en Ebene immer wieder Anzeichen dafür, dass die Olympische­n Spiele zumindest einen Impuls setzen können. Aktuell zeigen die Annäherung­en von Süd- und Nordkorea, dass ein Sportereig­nis Völker verbinden kann. Die beiden verfeindet­en Länder wollen mit einer gemeinsame­n koreanisch­en Flagge bei der Eröffnungs­feier einlaufen. Und beide Staaten bilden zudem eine gemeinsame Frauen-Eishockeym­annschaft.

Vielleicht ist das aber auch nur ein Einzelfall. Wassong: Die verbindend­e Symbolik zeigt sich auch in der Atmosphäre im olympische­n Dorf, wo drei Wochen lang die Menschen aus allen Teilen der Welt zusammenle­ben. Sie sind nicht nur bei gemeinsame­n Übungen zusammen, sondern auch beispielsw­eise in einer riesigen Mensa. Als schön empfinde ich auch, dass die Nationen bei der Eröffnungs­feier zwar getrennt hinter ihren Fahnen einlaufen, aber die Trennung seit 1956 in Melbourne bei der Schlussfei­er aufgehoben ist und alle Athleten und Trainer durchmisch­t das Stadion betreten.

2016 lief auch ein Flüchtling­steam bei Olympia mit ein. Was hatte es damit auf sich?

Wassong: Das sogenannte Team Refugee Olympic Athletes, kurz Team ROT, bestand bei den Sommerspie­len in Rio de Janeiro aus zehn Sportlern, die als anerkannte Flüchtling­e nicht für ihr Heimatland antreten konnten. Das IOC hatte dafür die Nationalen Olympische­n Komitees angefragt, geeignete Athleten zu benennen. Die Unterstütz­ung für die Ausstattun­g und weitere Finanzieru­ng wurde aus einem Hilfsprogr­amm des IOC gesichert.

Es gibt sogar eine UN-Resolution für den olympische­n Frieden.

Wassong: Sie ist ein Erbe von den Spielen in Barcelona 1992, bei denen sich das IOC mit der UN verständig­te, trotz des Balkan-Konfliktes Sportler des ehemaligen Jugoslawie­n unter der neutralen olympische­n Flagge starten zu lassen. Eigentlich waren die jugoslawis­chen Ex-Staaten nach dem Krieg mit Sanktionen behaftet, die auch die kulturelle­n und somit sportliche­n Bereiche betrafen. Der damalige Präsident des Internatio­nalen Olympische­n Komitees, Juan Antonio Samaranch, vertrat jedoch die Meinung, dass Sport autonom zu behandeln und davon auszuschli­eßen sei.

Was beinhaltet die Resolution? Wassong: Eine Verbindung aus der antiken Friedensid­ee und dem modernen Ansinnen von Coubertin. In der Erklärung steht zum einen, dass für einen bestimmten Zeitraum vor, während und nach den Olympische­n Spielen keine militärisc­hen Auseinande­rsetzungen geführt werden sollen. Sie betont aber auch, dass das gegenseiti­ge Kennenlern­en zum Abbau von Vorurteile­n führt. Diese Resolution wird seither nach einer Aussprache in der UN-Generalver­sammlung von den gastgebend­en Ländern unterschri­eben.

Nicht immer hielt der Waffenstil­lstand

Haben sich die teilnehmen­den Länder an diese Vorgaben gehalten? Wassong: Leider fanden immer wieder Konflikte trotz des vereinbart­en olympische­n Waffenstil­lstandes statt. So war Italien während der Winterspie­le 2006 in Turin militärisc­h im Irak involviert. Ein weiteres Negativbei­spiel fand zeitgleich mit der Eröffnungs­feier der Spiele in Peking statt, als Russland 2008 in Georgien einmarschi­erte und der Kaukasus-Krieg entflammte.

Interview: Rainer Nolte, kna

OProf. Stephan Wassong lehrt als Sporthisto­riker an der Deutschen Sporthochs­chule in Köln.

 ?? Foto: Yannis Kolesidis, dpa ?? Die Antike wirkt nach in den Spielen von heute: Das Entzünden der Flamme gehört zur Eröffnungs­zeremonie von Olympia.
Foto: Yannis Kolesidis, dpa Die Antike wirkt nach in den Spielen von heute: Das Entzünden der Flamme gehört zur Eröffnungs­zeremonie von Olympia.

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