In Deutschland angekommen?!
In Dillingen erklärt Charlotte Knobloch, warum sie inzwischen eher ein Frage- als ein Ausrufezeichen hinter den Satz in der Überschrift setzen würde
Dillingen „In Deutschland angekommen“, mit dieser Neugier weckenden Parole war der Vortrag des Katholischen Akademikerkreises angekündigt, der „jüdisches Leben in der Gegenwart“unseres Landes darzustellen versprach. In Dillingen angekommen war, um dieses Versprechen einzulösen, die viel gefragte Referentin Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München. Und dann auch anzukommen beim Publikum im Festsaal des Schlosses, war für sie ein Leichtes, dank der Authentizität und Autorität, die sie ausstrahlt.
Landrat Leo Schrell zeichnete in seinem Grußwort die jahrhundertelange Historie und das unheilvolle Ende der jüdischen Gemeinden Binswangen und Buttenwiesen nach und verwies auf die Persönlichkeiten, die sich um deren Erkundung verdient gemacht haben. Auch schilderte er die Bemühungen der vergangenen Jahrzehnte, die Spuren jüdischen Lebens im Landkreis dauerhaft zu erhalten und eine in die Zukunft gerichtete Erinnerungskultur einzuleiten und zu pflegen.
Dr. Walter Ansbacher, Vorsitzender des Akademikerkreises, skizzierte, wie sich Charlotte Knobloch gegen die Lebensbedrohung durch den Holocaust in der Kindheit und die Unsicherheiten der Nachkriegsjahre zu jener beeindruckend starken Persönlichkeit bildete, die sich in außerordentlichem Engagement für die Münchner Kultusgemeinde bewährte, in immer umfassendere Ämter und zu höchsten nationalen und internationalen Ehren gelangte.
In ihrem Referat kam Charlotte Knobloch zunächst darauf zurück, wie sie mit erfundener Biografie und Identität auf einem mittelfränkischen Bauernhof der Shoah entging, danach aber nicht in die Gesellschaft der Verfolger zurückzukehren gedachte. Mit ihrer 1951 gegründeten Familie verwarf sie dann doch die ursprünglichen Auswanderungspläne und entschied sich für die Mitarbeit an einer neuen deutschen Republik und, ganz naheliegend, für den Wiederaufbau der Kultusgemeinde München zu Beginn mit 64 von den einstmals etwa 1200 verbliebenen Mitgliedern. Zuwachs erhielt die Gemeinde laufend, deutlich vermehrt aus dem zerfallenen Ostblock, und das heißt: zumeist aus dem orthodoxen, nicht dem westlichen liberalen Judentum.
Die „Erfolgsgeschichte“des Nachkriegs-Judentums in der Bundesrepublik belegte die Referentin mit einer imponierenden Liste von neuen und wiedererstandenen religiösen und kulturellen Einrichtungen: 1979 private jüdische Hochschule in Heidelberg, 2015 und 2017 Lehrstühle an der Münchner und der Frankfurter Universität; 1999 und 2009 Rabbinerseminare in Potsdam und Berlin; jüdische Verlage, Film und Kulturtage; nicht zuletzt, sondern bereits 1965 konstituiert, „Makkabi“, der Dachverband jüdischer Turn- und Sportvereine. Alles Einrichtungen, die grundsätzlich offen sind für Interessenten jeglicher Konfession und Nation. Beispielhaft für die selbstbewusste jüdische Präsenz im heutigen Deutschland steht das 2006 eingeweihte Zentrum am Münchner Jakobsplatz mit Synagoge, Gemeindehaus, Museum und Restaurant. Die Münchner Ehrenbürgerin Knobloch lud ihr Dillinger Publikum ausdrücklich an diesen Ort ein, der dem Dialog „Raum und Rahmen“bietet.
„In Deutschland angekommen“, dahinter hätte die Vortragende, so bekannte sie, noch vor einigen Jahren ein Ausrufezeichen gesetzt, inzwischen dränge sich ihr stattdessen das Fragezeichen auf. Man vermeinte zu spüren, wie sich das aufmerksame Schweigen der Zuhörer ins beklommene verwandelte, als sie auf den Antisemitismus zu sprechen kam, der sich seit Längerem immer ungenierter im Internet, auf der Straße und im politischen Parteienspektrum artikuliert und der nicht selten auch tätlich wird. Von seinen Spielarten benannte sie unter anderen: die anerzogene Judenfeindschaft eingewanderter Muslime; eine undifferenzierte Kritik am Staat Israel bei gleichzeitiger Verharmlosung arabischer Verlautbarungen und Unternehmungen; die Unterstellung, Juden seien selbst (mit)schuld an der Shoa oder instrumentalisierten die Erinnerung daran, um finanzielle Vorteile herauszuschlagen. Für den Kampf gegen extremistische Tendenzen hätten die demokratischen Kräfte leider noch keine wirksamen Rezepte gefunden. In ihrem eigenen wohlverstandenen Interesse dürften sie jedoch nicht nachlassen, für Aufklärung und Wahrhaftigkeit zu sorgen. Und stolz sollten sie sein auf das, was sie eben doch erreicht haben. Solche ernst gestimmten Töne wollte Maria Fey vom Klavier aus gewiss nicht überspielen, wenn sie mit ihren gut gewählten und eindringlich gestalteten Klavierstücken die Wortbeiträge umrahmte und das Publikum in den Abend und in seine fortdauernde gesellschaftliche und politische Verantwortung entließ.