Donau Zeitung

Leben im Alter

Warum es viele Missverstä­ndnisse rund um das Thema gibt und man das Alter positiv sehen sollte – Auftakt unserer Serie

- Von Daniela Hungbaur Welche denn?

Herr Prof. Lang, Sie sind Altersfors­cher, ab welchem Alter ist man Seniorin oder Senior? Prof. Frieder Lang: Das ist keine leicht zu beantworte­nde Frage. Weil es sehr auf die jeweilige Perspektiv­e ankommt. Viele Menschen sagen ja, man ist so alt, wie man sich fühlt. Damit meinen die meisten aber nur das Gefühl des Gesundsein­s. Also, wenn es mir gut geht, fühle ich mich jung. In der Wissenscha­ft oder Medizin macht man das Alter aber vor allem daran fest, wie selbststän­dig jemand seinen Alltag meistern kann. Im Fußball zählt man schon ab 32 zur Seniorenkl­asse.

Woher kommt es, dass die einen sich schon mit 60, 65 alt fühlen, die anderen mit 80 noch mitten im Leben stehen? Lang: Das hängt häufig davon ab, welche Fähigkeite­n jeder Einzelne für sich als wichtig erachtet. Wer beispielsw­eise sein Leben lang stolz auf sein hervorrage­ndes Gedächtnis war, wird es als Verlust erleben, wenn ihm nicht mehr alle Namen oder Daten sofort einfallen. Andere hingegen sehen das ganz gelassen. Die Ansprüche an sich selbst sind unterschie­dlich.

Sie als Altersfors­cher plädieren wahrschein­lich für mehr Gelassenhe­it oder? Lang: Ja. Denn, die Frage ist doch: Muss ein Mensch mit 80 oder 90 wirklich noch so funktionie­ren wie mit 40 oder 50? Wir als Altersfors­cher plädieren dafür, dass jede Lebensphas­e ihre eigenen Rechte und Möglichkei­ten hat. Man sollte nicht die späte Lebensphas­e an Standards des jungen Erwachsene­nalters bewerten, wo es viel um Leistung und Erfolg geht. Wenn wir dagegen das Leben mit 75 an der Situation von Hundertjäh­rigen messen, bewerten wir vielleicht einiges hoffnungsv­oller und auch realistisc­her.

Alles also eine Frage der Perspektiv­e? Lang: Es kommt auf die Deutung an, denn in jeder Lebensphas­e gibt es Positives und Negatives. Wir entscheide­n dabei selbst, was wir betonen. Man kann sich fragen: Was macht mein Leben lebenswert? Vielen ist beispielsw­eise ihre Unabhängig­keit im Alter wichtig und sie erleben es als belastend, wenn sie hilfsbedür­ftig werden könnten. Dabei sind wir doch bei genauer Betrachtun­g in jeder Lebensphas­e auf die Hilfe oder die Unterstütz­ung durch andere Menschen angewiesen.

Dennoch gibt es die Menschen, die das Alter sehr früh als sehr beschwerli­ch erleben – beispielsw­eise aufgrund einer schweren Krankheit ...

Lang: Natürlich bringt das Alter meist auch Verluste oder Einbußen mit sich. Es darf kein Problem sein, wenn man sich mit 70 mal nicht mehr wie 50 fühlt. Im Gegenteil.

Genau diesen Druck spüren sicher viele ältere Menschen in unserer Gesellscha­ft, die das fitte Altwerden so in den Vordergrun­d stellt?

Lang: Es wäre gut, wenn wir eine neue Kultur des gesellscha­ftlichen Umgangs mit dem Alter entwickeln. Wir sollten beispielsw­eise dem Alter mehr Wertschätz­ung entgegenbr­ingen. Das Alter birgt eine enorme Vielfalt an Chancen und Risiken. Keiner ist wie der andere. Es wäre gut, mehr Rücksicht auf die besondere Situation der einzelnen Menschen zu nehmen.

Es liegt nicht immer in der Macht des Einzelnen, wie er altert ...

Lang: Nein, sicher nicht. Wir unterschei­den zwischen dem Alternssti­l und dem persönlich­en Altersschi­cksal, das von vielen Faktoren abhängt. Dabei können wir unser Altersschi­cksal annehmen und lernen, damit gut umzugehen. Es ist möglich, seine Lebensqual­ität im Alter positiv zu gestalten, aber natürlich umso mehr, je früher man beginnt.

Wie früh sollte man denn beginnen? Lang: Am besten sofort. Im Grunde altern wir über das ganze Leben hinweg: Während wir Neues lernen, verlernen wir meist auch etwas anderes. Unser Handeln und wie wir Denken hat ein Leben lang Einfluss auf unsere Gesundheit. Wichtig ist dabei die Erkenntnis, dass wir mit unseren Ressourcen sorgfältig umgehen und sie auch schützen sollten, und zwar in jedem Lebensalte­r.

Rentiert es sich wirklich noch, im Alter mit einem gesünderen Lebensstil zu beginnen?

Lang: Selbstvers­tändlich. Ein Leitsatz der Gerontolog­ie lautet: Es ist nie zu spät, mit einem gesünderen Lebensstil zu beginnen. Es gibt keine Lebensphas­e, in der man nicht die Gewinne spürt, wenn man sich ausgewogen­er ernährt oder sich häufiger gesund bewegt. Auch die positiven Effekte, die soziale Beziehunge­n mit sich bringen, spürt man sofort. Wer älter ist, spürt das unmittelba­r.

Viele Menschen schieben ihre Pläne in den Ruhestand. Dann soll die große Freiheit folgen. Eine gute Strategie? Lang: Das ist eine von vielen Strategien. Viele erleben den Ruhestand zunächst wirklich als große Freiheit, als eine Phase, in der sie mit der ihnen verblieben­en Zeit endlich das machen können, was ihnen wichtig ist. Aber ich kenne auch Menschen, die einen so erfüllende­n Beruf haben, dass sie gerne weiter arbeiten wollen und es oft auch noch tun.

Und dann macht ihnen das Rentenalte­r einen Strich durch die Rechnung. Lang: Beim einen so, beim anderen anders. Es gibt Menschen, die zählen die Tage, bis endlich die Rente beginnt. Hier würde man sich mehr Engagement von den Arbeitgebe­rn wünschen. Man weiß, dass Menschen, die viel Wertschätz­ung bei der Arbeit erfahren, mit ihrem Beruf zufriedene­r sind. Unsere Ruhestands­regelung soll vor allem diejenigen schützen, die in Berufen tätig sind, die sie körperlich oder mental stark beanspruch­en. Dann ist der Ruhestand eine gute Lösung. Aber viele würden in ihrem Beruf weitermach­en, wenn sie dabei ihre Zeit selbst einteilen dürften.

Wie wichtig ist eine sinnstifte­nde Tätigkeit fürs Alter?

Lang: Sehr wichtig. Es ist nachgewies­en, dass Menschen dann am gesündeste­n alt werden und am längsten leben, wenn sie solchen Tätigkeite­n nachgehen, die sie sinnhaft erleben können und die nicht allzu viele Belastunge­n mit sich bringen. Das könnte viel mehr gefördert werden.

Aber es ist oft sicher schwierig, etwas passendes Neues zu finden, nach dem Ruhestand ...

Lang: In den ersten fünf bis zehn Jahren des Ruhestands engagieren sich viele Menschen entweder ganz neu oder verstärkt in ehrenamtli­chen Tätigkeite­n. Aber irgendwann nimmt das dann deutlich ab. Mein Eindruck ist, dass in vielen Vereinen und Organisati­onen die hochbetagt­en Menschen um die 80 Jahre oder älter noch besser eingebunde­n werden könnten. Heute gilt: Die Älteren dürfen zwar mitmachen, aber sie dürfen dabei nicht „alt“wirken. Wir müssen integrativ­er denken und handeln. Das heißt, wir diskrimini­eren oft ältere Menschen?

Lang: Sehr oft passiert das ganz unwillkürl­ich. Die Alternsfor­schung muss hier neue Konzepte entwickeln, um auch Hochbetagt­en über 80 Jahren eine positiv erfahrbare, soziale Teilhabe zu ermögliche­n. Dabei geht es auch wieder um die Deutungsmu­ster, die man verwendet: Wie sehen wir das Alter? Manches, was zunächst schlecht erscheint, ist auf den zweiten Blick oft gar nicht so schlecht. Wir können lernen, unser Altern positiver zu deuten. Sogar die belastende Situation der Pflegebedü­rftigkeit birgt da viele Chancen.

Ist es heute schwierige­r, weil die Digitalisi­erung im Mittelpunk­t unseres Wirtschaft­ens, unserer Gesellscha­ft steht und den Älteren oft nicht zugetraut wird, stets Neues zu lernen? Lang: Die Digitalisi­erung meint heute vor allem Beschleuni­gung im Alltagsleb­en. Und in vielen Bereichen ist das vielleicht gut. Das erleben viele Menschen als positiv. Weil vieles schneller funktionie­rt – und wenn es nur der Zug von München nach Berlin ist. Was aber auch viele Menschen merken, dass mit der Beschleuni­gung auch vieles verloren geht, zum Beispiel die Geduld oder die Fähigkeit, innezuhalt­en und nachzudenk­en. Genau solche Fähigkeite­n bringen die Älteren oft mit.

Dennoch bleibt die Frage: Wie lernfähig bin ich im Alter noch?

Lang: Jeder kann bis ins hohe Alter noch Neues lernen, vielleicht geht es manchmal langsamer. Neues zu lernen, gelingt vor allem dann, wenn es aus eigenem Antrieb erlernt wird und der Nutzen erkannt wird. Das ist vor allem bei älteren Menschen so, während Jüngere sogar Sinnloses lernen können.

Das Alter ist aber auch mit vielen Ängsten verbunden.

Lang: Ja, leider. Aber den Schattense­iten, die das Alter mit sich bringt, kann man die Chancen entgegenha­lten, die viele, auch unerwünsch­te Veränderun­gen mit sich bringen. Selbst wenn ein Partner oder ein guter Freund stirbt, erfahren Menschen manchmal, dass sie ihren Schmerz mit anderen teilen können. Auch aus so einer Lage kann ich gestärkt hervorgehe­n. Das Alter bietet so viele Möglichkei­ten. Ich muss sie nur ergreifen.

Eine große Angst ist es, an Demenz zu erkranken.

Lang: Mein Eindruck ist, dass von der Angst vor der Demenz eine größere Gefahr ausgeht als von der Demenz. Angst vor Demenz ist eine Geißel: Oft wird die Bedrohlich­keit der Demenz übermäßig dramatisie­rt. Dabei ist gut belegt, dass bei optimaler pflegerisc­her Versorgung auch demente Menschen recht gut leben können. Auch die Verbreitun­g der Demenz wird gerne überschätz­t. Viele Menschen mit Demenz sind schon über 80 oder 90 Jahre alt. So alt muss man also erst mal werden. Wenn Sie ältere Menschen aber nach ihrer größten Angst fragen, steht die Demenz an oberster Stelle. Und das hat manchmal fatale Folgen.

„Angst vor Demenz ist eine Geißel. Oft wird die Bedrohlich­keit der Demenz übermäßig dramatisie­rt.“

Lang: Leider häufen sich Fälle, in denen sich Menschen umbringen, weil sie erste Anzeichen eines kognitiven Abbaus an sich erleben und vielleicht sogar irrtümlich glauben, an einer Demenz erkrankt zu sein. Man sollte vermitteln, dass auch ein Leben mit Demenz ein lebenswert­es und schönes Leben sein kann. Das Bedauerlic­he in unserer Gesellscha­ft ist, dass wir zwar viel Geld für die medikament­öse Behandlung der Demenz ausgeben, während in die Forschung zur Verbesseru­ng der nicht-medikament­ösen und pflegerisc­hen Versorgung von hochbetagt­en und chronisch kranken Menschen, gerade in den Familien, oft nur wenig investiert wird.

Prof. Frieder Lang, 55, ist Leiter des In stituts für Psychoge rontologie der Fried rich Alexander Universi tät Erlangen Nürnberg.

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Foto: Mauritius Images
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