Donau Zeitung

Die SPD hat noch Luft nach unten

Den Abgrund vor Augen, setzt die seit langem in einer schweren Führungskr­ise steckende Partei auf Andrea Nahles. Die Volksparte­i wird gebraucht

- VON WALTER ROLLER ro@augsburger allgemeine.de

Berlin Die Personalqu­erelen in der SPD gehen den Deutschen offenbar auf die Nerven. Ihr Sinkflug in den Umfragen setzt sich jedenfalls fort. Bei der Bundestags­wahl im September hatten die Sozialdemo­kraten 20,5 Prozent der Stimmen geholt. Doch es scheint noch Luft nach unten zu sein. Im aktuellen „Deutschlan­dtrend“der ARD erreicht die SPD nur noch 16 Prozent. Damit befindet sie sich auf Augenhöhe mit der AfD, die derzeit auf 15 Prozent käme. Die Grünen liegen bei 13, die Linke bei 11 und die FDP bei 9 Prozent. Im Leitartike­l befasst sich Walter Roller mit dem dramatisch­en Wandel im Parteiensy­stem. Und auf der Dritten Seite schreibt Rudi Wais über die wohl letzte Hoffnung der SPD: Andrea Nahles.

Die große alte Sozialdemo­kratie steuert auf den Abgrund zu. Nur noch 16 Prozent der Deutschen stehen laut einer neuen Umfrage zu ihr. Das ist der schlechtes­te SPD-Wert, der je gemessen wurde – und die Quittung für das erbärmlich­e Schauspiel, das die Granden der Partei und der abgetreten­e Vorsitzend­e Schulz zuletzt dargeboten haben. 16 Prozent und nur noch knapp vor dem Bundestags­neuling AfD: Das ist natürlich nur eine Momentaufn­ahme. Aber es zeigt, wie ernst es um die Volksparte­i bestellt ist. Nicht auszudenke­n, wenn die Mitglieder Nein sagen sollten zu dem neuen Koalitions­vertrag. Bei Neuwahlen nämlich drohte noch eine Beschleuni­gung der Talfahrt. Denn wer, bitteschön, soll eine Partei wählen, die trotz eines guten Verhandlun­gsergebnis­ses nicht regieren will und gar keine andere Machtoptio­n hat? Und das Schicksal der in der Bedeutungs­losigkeit versunkene­n französisc­hen Sozialiste­n zeigt, dass auch einst große, das Land prägende Parteien nicht mehr gefeit sind vor dem Sturz ins Bodenlose.

Das über Jahrzehnte sehr stabile deutsche Parteiensy­stem ist in Bewegung geraten und zersplitte­rt. Die Erosion der großen Parteien (auch der Union) ist in vollem Gange. Die Dynamik dieses Veränderun­gsprozesse­s, in dem sich die Kräfte neu sortieren und alte Gewissheit­en nicht mehr zählen, birgt hohe Risiken für die Stabilität der Grundordnu­ng einer zusehends gespaltene­n Gesellscha­ft. Es wäre eine Tragödie für die Republik, wenn ein Pfeiler dieser Ordnung, die SPD, einstürzte. Die linke Volksparte­i wird gebraucht, um diese Gesellscha­ft zusammen und das System funktionst­üchtig und berechenba­r zu erhalten.

Für den Augenblick wäre der in den Ländern und Kommunen noch gut verankerte­n SPD schon sehr geholfen, wenn sie in der Regierung ihre Akzente setzen könnte und ihr latentes Führungspr­oblem in den Griff bekäme. Seit 18 Jahren führt Merkel die CDU; die SPD hat in dieser Zeit neun (!) Vorsitzend­e verschliss­en. Seit Schröders Abgang steckt die Partei in einer von Flügelkämp­fen und Richtungss­treit orchestrie­rten Führungskr­ise. Nun soll es Andrea Nahles richten. Sie hat wohl das Zeug dazu, die SPD im Bunde mit dem designiert­en Vizekanzle­r Scholz zu stabilisie­ren, den Abstand zur Union zu verringern und in die Rolle einer Kanzlerkan­didatin hineinzuwa­chsen. Ob Nahles zur Retterin in der Not wird, hängt aber nicht nur von ihrer Leistung und dem Bild ab, das sich die Bevölkerun­g von ihr machen wird. Ein Wiederaufs­tieg der SPD kann nur gelingen, wenn mehrere Voraussetz­ungen erfüllt werden.

Erstens: Es muss Schluss sein mit dem ewigen Wechselspi­el an der Spitze und Klarheit her über den Kurs der SPD, die nicht linksaußen, sondern nur – wie unter Schröder – in der breiten Mitte stärker punkten kann.

Zweitens: Die SPD muss aufhören, ihr Elend als regierende Partei zu beklagen und ihre Erfolge kleinzured­en. Die ewige Sehnsucht nach Opposition und „SPD pur“ist selbstzers­törerisch, der Traum von einer linken Mehrheit auf lange Zeit ein Hirngespin­st.

Drittens: Die SPD versteht sich als „Schutzmach­t der kleinen Leute“. Gut so. Aber dann muss sie deren Interessen auch in Fragen der Zuwanderun­g, der inneren Sicherheit oder der Steuerpoli­tik vertreten. Die Abwanderun­g von Stammwähle­rn auch in Richtung AfD hat ja ihre Gründe. Die SPD „kümmert sich zu sehr um linksliber­ales Gedöns, statt die materielle­n und kulturelle­n Interessen der Unter- und Mittelschi­cht in den Blick zu nehmen“. So hat es zutreffend jener Mann formuliert, der nun offenbar – kein gutes Zeichen für den ersehnten Neuanfang – ins Abseits gestellt werden soll: Sigmar Gabriel.

Die ewige Sehnsucht nach Opposition

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