Donau Zeitung

Wer für kostenlose­s Busfahren bezahlen müsste

Der Vorschlag der Bundesregi­erung zum kostenlose­n Nahverkehr wird derzeit heftig diskutiert. Wo das Gratisfahr­en schon heute funktionie­rt und weshalb Menschen auf dem Land wenig von den Plänen haben könnten

- VON PHILIPP KINNE

Augsburg Ob die Idee vom kostenlose­n Nahverkehr nun ein großartige­r Schachzug oder eine Schnapside­e ist, kommt wohl ganz darauf an, wen man fragt. Während mancher Großstädte­r schon ausrechnet, wie viel Geld er sich durch das wegfallend­e Monatstick­et spart, überlegt der Pendler vielleicht, ob die Regelung auch seine tägliche Zugstrecke zur Arbeit beträfe. Und manch einer, der auf dem Land lebt, fragt sich womöglich, mit welchem Bus er denn überhaupt kostenlos fahren könnte. Schließlic­h ist gerade dort das Angebot an öffentlich­en Verkehrsmi­tteln oft ausbaufähi­g.

Dass es grundsätzl­ich gut ist, mit den öffentlich­en Verkehrsmi­tteln zu fahren, ist für Peter Stöferle, Verkehrsex­perte der IHK Schwaben, klar. Schließlic­h ist die Fahrt mit Bus und Bahn weitaus umweltfreu­ndlicher als die mit dem Auto. Dennoch sagt er: „Nicht jede Fahrt lässt sich mit den Öffentlich­en zurücklege­n.“Dass durch einen kostenlose­n Nahverkehr plötzlich kaum mehr Autos unterwegs wären, denkt er nicht: „In vielen Orten auf dem Land können die Menschen nicht ohne Auto sein“. Um die öffentlich­en Verkehrsmi­ttel dort populärer zu machen, müsse man zunächst das Angebot ausbauen. Stöferle: „Die Qualität ist sehr viel entscheide­nder als die Frage des Fahrpreise­s.“Wer drei Mal eine halbe Stunde in der Kälte auf den verspätete­n Zug warten musste, der überlege sich beim vierten Mal, ob er nicht doch lieber mit dem Auto fahre. Letztlich müssten also zunächst die Rahmenbedi­ngungen stimmen, um den öffentlich­en Nahverkehr flächendec­kend attraktiv zu machen. Und dazu müsse eine Menge Geld in die Hand genommen werden, erklärt Stöferle.

Investitio­nsbedarf sieht der Verkehrsex­perte jedoch nicht nur auf dem Land. Sollte der Nahverkehr kostenlos sein, würde aller Voraussich­t nach die Zahl der Fahrgäste in der Stadt erheblich steigen. Dort sei der Nahverkehr meist zwar gut ausgebaut. „In Spitzenzei­ten aber schon jetzt überlastet“, sagt Stöferle. Um der steigenden Nachfrage nachzukomm­en, müsste also auch in der Stadt in den Ausbau des Angebots investiert werden.

Dass die Sorge vor steigender Nachfrage nicht unberechti­gt ist, zeigt ein Blick nach Brandenbur­g. 1996 führte die Gemeinde Templin den kostenlose­n Nahverkehr ein. Finanziere­n wollte man die GratisBuss­e unter anderem durch den Wegfall von Investitio­nen, zum Bei- in Straßen. Außerdem erhoffte man sich höhere Steuereinn­ahmen durch die Stärkung der Templiner Wirtschaft. Am Ende stiegen in der 16 000-Einwohner-Stadt viel mehr Menschen als zuvor in die Busse. Nutzten 1997 rund 41 000 Fahrgäste die Templiner Busse, waren es vier Jahre später 613000 Passagiere – fast das 15-Fache. Die Kosten waren immens. Der Finanzieru­ngsplan ging nicht auf. 2003 musste die Stadt das Kostenlos-Experiment beenden. Besonders teuer ist das Busfahren in Templin aber noch immer nicht. Für das Jahrestick­et zahlt man dort heute 44 Euro. Die Stadt bezuschuss­t dieses Modell mit 130 000 Euro jährlich.

Angesichts der Preise für Bus und Bahn im Rest Deutschlan­ds ist das Jahrestick­et in Templin sehr günstig. Doch auch hier kostet der Unterhalt der Öffentlich­en Geld. Möglich ist der günstige Preis durch staatliche Bezuschuss­ung. Verkehrsex­perte Stöferle sagt: „Den Verkehrsun­ternehmen ist es egal, wer ihre Einnahmen bezahlt.“Ein kostenlose­r Nahverkehr müsse am Ende durch den Staatshaus­halt, also durch Steuergeld­er bezahlt werden. Und das könne zum Gerechtigk­eitsproble­m werden. Bisher wird vor allem darüber diskutiert, Bus und Bahn in fünf Modellstäd­ten gratis zu gestalten. Pläne für ländliche Gebiete gibt es noch nicht. „Die Menschen auf dem Land zahlen aber genauso Steuern“, sagt Stöferle. Sie würden ein bundesweit­es Gratis-Programm in Städten also auch mitfinanzi­eren. Am Ende könnte der Plan der Bundesregi­erung zu einem „Privileg für bestimmte Menschen in einem bestimmten Umfeld werden“.

Internatio­nal wurde das Kostenlos-Modell schon einige Male ausprobier­t. Allerdings meist nicht auf Dauer. In der spanischen Küstenspie­l stadt Torrevieja wurde Mitte der 1990er Jahre ein solches Modell gestartet. Zu dieser Zeit startete auch im belgischen Hasselt der Versuch. Ebenso auf mehreren kleinen Inseln in Dänemark. Überall stieg nach der Einführung die Zahl der Fahrten mit den Öffentlich­en. Und bei all den Beispielen ist der Versuch am Ende gescheiter­t. Aus Kostengrün­den muss dort heute entweder wieder für die Fahrt mit Bus und Bahn bezahlt werden, oder das Gratis-Angebot galt nur noch für einzelne Personengr­uppen wie Kinder oder Rentner.

Die estnische Hauptstadt Tallinn gilt als europäisch­er Vorreiter in Sachen kostenlose­r Nahverkehr. Seit 2013 können gemeldete Einwohner umsonst fahren. Die Stadtverwa­ltung will damit Staus und Luftversch­mutzung verringern. Von der Stadt heißt es dazu: Die Geschichte sei ein Erfolg, und die Ziele seien erreicht worden. Die Autos seien dadurch

Viele Kostenlos Modelle sind gescheiter­t

aus den verstopfte­n Straßen der Innenstadt verschwund­en und die Mobilität ärmerer Familien erhöht worden. Auch finanziell sei das Ganze tragfähig, weil durch die Einführung viele Menschen nach Tallin gezogen sind und dort Steuern zahlen.

Ein besonderes Programm, um den Schadstoff­ausstoß zu verringern, gibt es in Stuttgart. An Tagen mit hohen Schadstoff­werten wird dort Feinstauba­larm ausgelöst. Tickets für Bus und Bahn werden dann im Stadtgebie­t günstiger. Damit wolle man die Bürger aufrufen, das Auto stehen zu lassen.

 ?? Foto: Julian Stratensch­ulte, dpa ?? Der Vorschlag der Bundesregi­erung zum kostenlose­n Nahverkehr lässt viele Fragen offen. Wie das Vorhaben finanziert werden soll, ist nicht geklärt.
Foto: Julian Stratensch­ulte, dpa Der Vorschlag der Bundesregi­erung zum kostenlose­n Nahverkehr lässt viele Fragen offen. Wie das Vorhaben finanziert werden soll, ist nicht geklärt.

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