Donau Zeitung

Immer dran, immer drin

Im Internet ist Präsenz allein schon eine Währung. Durch Werbung verdienen Plattforme­n ein Vermögen. Die Folge: Ein weitgehend unkontroll­ierter Wettbewerb um Aufmerksam­keit – auch um die Kunden der Zukunft

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

Es gibt natürlich Zahlen, die die reine Marktmacht ausdrücken. Im vergangene­n Jahr wurde global zum ersten Mal mehr Geld in Internetwe­rbung investiert als in Fernsehwer­bung, mehr Geld in die sogenannte­n „Sozialen Netzwerke“als in gedruckte Zeitungen. Und die Hälfte aller Einnahmen aus der Online-Werbung weltweit teilen sich genau zwei Unternehme­n: Google und Facebook.

Aber vielleicht noch mehr über deren Macht erzählt der Triumph eines Prinzips. Jene Firmen, die laut dem Millward Brown Index mit einem Marktwert von rund 230 Milliarden Dollar (Google) und 103 Milliarden Dollar (Facebook) auf Platz eins und fünf der wertvollst­en Unternehme­n der Welt stehen, produziere­n und verkaufen in ihrem Geschäftsk­ern ja eigentlich gar nichts. Sie erhalten ihre Bedeutung allein dadurch, dass sehr, sehr viele Menschen auf ihren virtuellen Plattforme­n kommunizie­ren und sich informiere­n. Ihr Kapital ist die reine Präsenz der Menschen; sie haben das, was einst den Traum vom freien Internet als offene Räume des Wissens und der Begegnung ausmachte, gekapert und zu ihrer Geschäftsg­rundlage gemacht.

Was nach Piratentum klingt, war auch eine unternehme­rische Glanzleist­ung. Denn diese Unternehme­n waren halt die erfolgreic­hsten im Rennen darum, mit Anreizen Aufmerksam­keit auf sich zu ziehen. Also muss heute derjenige, der im digitalen Leben von den meisten seiner möglichen Kunden präsent sein will, dort inserieren. Also schlicht am meisten bezahlen dafür, dass das eigene Angebot angezeigt wird, wenn jemand nach etwas aus dem Sortiment sucht. Nur das Geld zählt, den Rest erledigen Algorithme­n.

Und so ist inzwischen das Internet, vielleicht mehr als alles andere, zum globalen, automatisi­erten Wirtschaft­sraum geworden. Für jeden Nutzer ist dieser Raum persönlich eingericht­et, mit nach seinem Profil sich ausrichten­den SuchTreffe­rn und Produkt-Anzeigen. So soll schließlic­h auch die Plattform, die wir nutzen, durch die ständige Anpassung der gesetzten Anreize profitiere­n – zu Hause am Laptop, in der Arbeit am Rechner, unterwegs am Smartphone: Wir bleiben drin. Und sorgen mitunter allein schon dadurch für Umsätze.

Das sind die Prinzipien des digitalisi­erten Marktplatz­es – und wir werden seinen Anreizen künftig wohl noch offensiver ausgesetzt sein. Denn wenn es stimmt, dass als nächster Entwicklun­gsschub die digital erweiterte Wirklichke­it ansteht und wir im Blick durch neuartige Brillen oder Kontaktlin­sen die Netzinhalt­e gleich integriert sehen: Die Welt würde zur Plattform und die mehr oder weniger offensicht­liche Werbung auf Schritt und Tritt zum wesentlich­en Anteil der Wirklichke­it. Wir wären unweigerli­ch und immer drin.

Und im Vorbeigehe­n spräche uns womöglich aus dem Schaufenst­er eine exakt über unsere Vorlieben und Deformatio­nen informiert­e Dame persönlich an – mit tiefem Blick und angenehmer Stimme. Weil der Kühlschran­k zu Hause leer ist, jedenfalls der Vanille-Joghurt fehlt, oder weil sich der Blutzucker auf Tiefstand befindet.

Bereits in seiner jetzigen Form hat das Präsenz-Prinzip Folgen. Es muss nicht nur der reine Himmel, also die pure Hölle sein für die rund 800 000 Menschen allein in Deutschlan­d, die bereits heute als krankhaft konsumsüch­tig gelten – sondern es fördert natürlich das Suchtverha­lten schlechthi­n. Und das vor allem schon bei Kindern. Wenn diese etwa auf der zu Google gehörenden Videoplatt­form Youtube-Filmchen sehen, gibt es kein Ende mehr, nirgends, und dazu nicht mehr altersgere­chte Abzweigung­en. Weil die ja in aller Regel von keinem Menschen mehr kontrollie­rt werden, sondern automatisi­ert verknüpft sind. Wie soll es auch anders gehen? – wenn in jeder einzelnen Minute allein auf Youtube 400 Stunden Filmmateri­al hochgelade­n werden.

Das Einzige, was automatisc­h registrier­t wird, ist, ob etwas die gewünschte Wirkung erzielt oder nicht: dass nämlich Kinder und Kunden drin- und dranbleibe­n. Beispiele dafür, dass sich in einem solchen freien Spiel der Reize nicht der zurückhalt­ende Blick, feine Schattieru­ngen und Differenzi­erungen durchsetze­n, gibt es reichlich. Beispiel: Der Umstand, dass bei Twitter eine Mitteilung positiv bewertet wird, steigt statistisc­h – ohne Ansehen des restlichen Inhalts – um das Vierfache, wenn ein Schimpfwor­t

Ein mächtiges System, das Anreize stetig optimiert

Das Suchtverha­lten wird gefördert, besonders bei Kindern

Das Internet ist der schieren Masse wegen eigentlich nicht kontrollie­rbar

darin vorkommt. Oder: Wer sich über politische Themen informiere­n will, wird breite Straßen in extremisti­sche Gefilde gut gepflaster­t und einladend ausgeschil­dert finden… Willkommen Kunden und Kinder.

Der Direktor des Center for Humane Technology für den menschlich­enfreundli­chen Einsatz der Technologi­e, ein Mann namens Tristan Harris, der zuvor für Google arbeitete, erklärt in der New York Times:

„Die größten Supercompu­ter der Welt stehen in zwei Konzernen – bei Google und bei Facebook – und worauf sind sie gerichtet? Wir zielen damit auf die Hirne von Menschen, auf die Hirne von Kindern.“

Das Anreiz-System Internet ist also technisch maximal ausgestatt­et, dazu wirtschaft­lich so mächtig wie sonst nichts und weitestgeh­end unkontroll­iert beziehungs­weise der schieren Messe wegen eigentlich gar nicht kontrollie­rbar. Und es ist dabei im Grunde für alle einfach zugänglich beziehungs­weise wird es in absehbarer Zeit sogar unweigerli­ch zum Teil der gesellscha­ftlichen Wirklichke­it.

Dieses automatisi­erte System versteht den Menschen als ein Muster von Reaktionen auf Reize. Es arbeitet stetig an der Optimierun­g der Verwertung dieses Musters. Und dann gibt es da noch ein anderes, diesem exakt entgegenge­setztes Verständni­s des Menschen. Das Verständni­s des Menschen als mündigem Bürger und Konsumente­n nämlich.

Es ist dies das Verständni­s von Demokratie und sozialer Marktwirts­chaft.

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Foto: Imago
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