Zum Frieden – oder gleich zur Erlösung
Im Alltag diktiert die Not den Menschen ein kärgliches, strenges Leben. Die „Zentralstelle für freiwillige Liebestätigkeit“des Deutschen Reiches bietet kostenlose Sonderkurse im Kunststopfen, um dem größten Mangel in jenem kalten Winter-Februar 1918 abzuhelfen: „Jetzt, wo die Stoffknappheit sich täglich fühlbarer macht und jedes alte Läppchen wiederholt auf seine Brauchbarkeit hin geprüft werden muss…“In Städten wir Düsseldorf ergeht ein Aufruf zur „Vernichtung der Spatzen“samt einer Prämie von zehn Pfennigen je Spatzenkopf, weil bei zunehmender Nahrungsmittelnot jedes Samenkorn wichtig sei. Als Waschmittel wird wegen der Seifenknappheit nun Holzaschenlauge anempfohlen. Und das Generalkommando des 7. Armeekorps veröffentlicht am 14. Februar eine an die Bevölkerung gerichtete Warnung vor bettelnden kriegsbeschädigten Soldaten: „…unliebsame Bilder bieten sich dem Auge dar, wenn Leute auf öffentlichen Wegen herumstehen oder -liegen, durch Vorschützen von aufsehenerregenden Gebrechen das Mitleid der Öffentlichkeit hervorzurufen und den Anschein zu erwecken, als wenn von Seiten des Staates nicht genügen für sie getan würde …“Die seien bloß arbeitsscheu.
Verlässlichstes Zeichen der Not aber: Auch oben traut man sich nicht mehr aus dem Vollen zu schöpfen. Die Feier zur Goldenen Hochzeit des Bayerischen Königspaars Ludwig III. und Marie Theres am 20. Februar fällt sehr bescheiden aus – und gnädig. Reichlich Haftund Geldstrafen werden gesenkt oder erlassen. Es wird nichts nützen. Die Tage des letzten bayerischen Königs sind gezählt. Aber auch die Tage des Krieges. Zumindest an der Ostfront. Bereits am 9. Februar 1918 wird der erste Friedensvertrag unterzeichnet, zwischen den Mittelmächten und der Ukraine. Tags darauf erklärt Trotzki auch für Russland den Krieg beendet, ohne aber die bei den Verhandlungen in Brest-Litowsk gestellten Bedingungen zu akzeptieren. Das wird also noch knapp einen Monat dauern. Aber wem das Warten auf den Frieden auf Erden zu lange wird, dem verheißen Zeitungsannoncen ab 12. Februar Zuflucht. Sie verkünden die Aufhebung des Verbots eines bahnbrechenden Werkes, für drei Mark direkt beim Verfasser in Dresden zu beziehen: Friedrich Eduard Bilz mit „Erlösung von allem heutigen Erdenelend“. Und zwar durch ein neues, unfehlbares Staatssystem, ohne Hunger und Not, mit nur drei Stunden Arbeit täglich, allgemeiner Gesundheitsfürsorge und freier Liebe … Es war 1918. Nicht 1968.