Gestatten: die Rampen Sau der Spiele
Olympia bietet erstmals auch den Snowboardern im Big-Air-Wettbewerb die größte Bühne des Sports. Der Superstar kommt aus Österreich. Deutschland hat den Anschluss verpasst
Pyeongchang Als das Gold für „ihre“Anna Gasser endlich unter Dach und Fach war und sie ihren austriaspezifischen Jubel „I wer narrisch“reihenweise ausgestoßen hatten, da wägten die Reporter aus Österreich intensiv ab, ob sie diese smarte 26-jährige Snowboarderin, die sich gerade so waghalsig von dieser monströsen Stahlgerüst-Schanze hinuntergestürzt hatte, als eine „Rampen-Sau“im doppelten Sinne bezeichnen dürften. Warum so viel Zurückhaltung? Warum so viel Sensibilität? Das Wörterbuch liefert eine klare Antwort: Eine Rampensau sei – salopp ausgedrückt – ein „leidenschaftlicher Bühnenkünstler“oder „jemand, der im Mittelpunkt stehend und andere in den Hintergrund drängend, in der Lage ist, durch seine Leidenschaftlichkeit mitzureißen.“Also, jetzt auch mit dem Segen des Duden: Anna Gasser ist die Rampen-Sau der Spiele.
Die Kärtnerin ist die erste Olympia-Queen in einer von vier Disziplinen, die in Pyeongchang neu ins olympische Programm aufgenommen wurden: Der Massenstart im Eisschnelllauf und die Mixed-Wettkämpfe im Curling. Und die alpinen Skifahrer wirken eher traditionell im Vergleich zum erfrischend jung inszenierten Spektakel der Snowboarder.
Die riesige Schanze thront auf einem Hügel im Alpensia Resort und ist seit Beginn der Spiele der Hingucker schlechthin. Wer dort oben steht, ist auf Augenhöhe mit den beiden Skisprungschanzen, er schaut hinüber ins Langlauf- und Biathlonstadion. Das temporäre Bauwerk ist ein Symbol dafür, was die Winterspiele in Pyeongchang auch sind: ein Treffen von Alt und Neu, von Tradition und Moderne, von nordischer Kombination und Big Air. Aber mit der Zeit gehen vor allem die Snowboarder und SkiFreestyler. Sie bieten Spektakel, Sprünge und eine Sportshow sondergleichen. Die Athleten präsentieren sich modern, zeigen bei den Videoeinspielungen Haut und Haar und lassen den Modelqualitäten Sekunden später spektakuläre Flugeinlagen folgen.
Anna Gasser ist die Nummer eins der Branche. Wenn sie sich von der Schanze stürzt, auf dem Kicker abspringt und ihren 30 Meter weiten Flug mit allerlei Kunststücken garniert, versetzt das die Zuschauer in Begeisterung. Mit dem letzten Sprung des Wettbewerbs und der Höchstwertung von 96,0 von 100 möglichen Punkten holte sie sich Gold. „Ich wusste, dass ich etwas riskieren und meine besten Tricks zeigen muss“, sagte Gasser, die vor der doppelten Slopestyle-Olympiasiegerin Jamie Anderson (2014 und 2018) aus den USA gewann. „Es ist ein super Gefühl. Ich freue mich wahnsinnig, dass es geklappt hat.“
Gassers Popularität wird das nur noch steigern. Trotz der großen Konkurrenz auf zwei Brettern wurde sie zu Österreichs Sportlerin des Jahres 2017 gewählt. Das macht sie stolz, ist aber auch eine Hypothek: Eine Goldmedaille wurde von ihr erwartet – mindestens. Auch im Slopestyle war sie die Favoritin, doch der Wind hatte in dem irregulären Wettbewerb alle Hoffnungen weggeblasen.
Umso größer war die Anspannung Gassers vor dem Big Air: „Ich wollte nicht ohne Medaille heimfahren.“Muss sie nun nicht, was auch ihren Freund, den Snowboarder Clemens Millauer, und ihren Trainer Christian Scheidl freute: „Sie ist eine Perfektionistin, arbeitet extrem konzentriert und hart“, sagte er. „Bei Olympia hat die Beste gewonnen, nur sie hat alle drei Sprünge sauber gestanden.“
Deutsche Sportlerinnen suchte man in der Ergebnisliste vergeblich. Silvia Mittermüller ist die einzige international erfahrene Freestylerin im deutschen Snowboard-Team, doch beim Slopestyle in der ersten Olympiawoche stürzte sie bei chaotischen Windverhältnissen schwer, verletzte sich am Knie und musste ihren Traum von der Big-Air-Premiere begraben.
Heli Herdt, der Sportliche Leiter Freestyle beim DSV, sieht die neuen Sportarten in Deutschland stark vernachlässigt. „Neue Ideen müssen her. Und frische Gelder“, fordert er. Von 102 Entscheidungen in Pyeongchang fallen allein 20 im SkiFreestyle und Snowboard. Und 2022 in Peking sollen zwei Weitere hinzukommen. Bei einem Big-AirWettbewerb auf Skiern. Dann geht es nicht nur um 22 Medaillensätze, sondern auch um TV-Zeit, Aufmerksamkeit und Prestige. „Mit den Mitteln, die wir bis jetzt haben, bekommen wir den Anschluss nicht. Das steht fest“, sagt Herdt. „Geld macht noch keinen Erfolg, ist aber eine wichtige Grundlage.“
Auch für die Pyeongchang-Starterinnen Lea Bouard und Katharina Förster (beide Buckelpiste) oder Kea Kühnel (Slopestyle). Alle investierten vor dieser Saison 25 000 Euro aus der eigenen Tasche, um sich den Traum von Olympia zu erfüllen. „Das kann nicht der Weg sein“, sagt Herdt, der aber auch davor warnt, den schnellen Erfolg zu erwarten – selbst wenn künftig mehr Mittel zur Verfügung stehen sollten: „Um die Sparte Freestyle konsequent aufzubauen, brauchen wir sechs bis acht Jahre. Dieser Zeitraum muss mit Geld untermauert sein. Sonst macht es keinen Sinn.“
Spektakel, Sprünge und eine Sportshow sondergleichen