Donau Zeitung

Wie werden wir im Alter wohnen und wer pflegt uns?

Bei einem Besuch im Benevit in Wittisling­en nehmen Bürgermeis­ter und Landrat einen dringenden Appell mit

- VON CORDULA HOMANN

Wittisling­en So ein bisschen neidisch war der ein oder andere Bürgermeis­ter schon, nachdem er vom Rundgang durch das Pflegeheim Benevit in Wittisling­en zurückkam. Dort traf sich am Mittwoch der Gemeindeta­g zu einer Sitzung. Nur zwei Zimmer weiter befand sich eine Schwebelie­ge, auf der man sich schwerelos fühlt. Nicht nur für verspannte Demenzkran­ke ist das laut Ingrid Fuchsloche­r, hauswirtsc­haftliche Leitung, eine Wohltat. Auch ihre Kollegen genießen die wohltuende Massage auf dem besonderen Wasserbett, das unter einem Sternenhim­mel steht.

Nicht nur die Schwebelie­ge zog so manchen Gemeindech­ef an, sondern das Heim an sich. Im Landkreis gibt es zwei Benevit-Häuser, in Wittisling­en und in Syrgenstei­n. Dazu beglückwün­schte Gemeindeta­gschef Erhard Friegel seine beiden Kollegen Ulrich Müller und Bernd Steiner nach einem Rundgang und meinte zu Kaspar Pfister: „Vermutlich überlegt jetzt jeder andere hier im Raum, ob Sie bei ihm tätig werden.“Das schloss der Geschäftsf­ührer von Benevit aus. Unter den aktuellen Rahmenbedi­ngungen ginge es nicht. Für die stationäre Pflege gebe es immer mehr Auflagen, das Pflegesyst­em sei völlig undurchsic­htig und der Arbeitsmar­kt für Pflegepers­onal leer gefegt – europaweit. Und auch wenn das Hausgemein­schaftskon­zept der Benevit-Häuser von Bewohnern, Angehörige­n und Mitarbeite­rn laut Studie und Befragunge­n immer wieder voll bestätigt wird – leicht ist es nicht. Unter anderem deswegen, weil für ambulante Pflege weit mehr Geld fließt als für stationäre.

Aktuell führt Pfister eine Klage, weil er ab 41 Bewohnern einen zweiten Nachtdiens­t braucht. Bis zu 40 Bewohnern reicht einer. In Wittisling­en, werden insgesamt 56 Menschen leben. „Bei einem Herzinfark­t nützen auch sechs Nachtdiens­te nichts, keiner kann operieren. Einer muss den Notruf verständig­en“, sagte Pfister. Braucht einer der Bewohner Hilfe und klingelt nachts, muss der Nachtdiens­t binnen von acht Minuten reagieren, sonst klingelt das Handy einer Mitarbeite­rin zu Hause. Der Geschäftsf­ührer erklärte noch viel mehr über sein Hausgemein­schaftskon­zept. So steht für ihn die Wohnlichke­it im Vordergrun­d. Deswegen fehlen Türschilde­r, Handläufe, Lichtzeich­en und Personalrä­ume. In jeder der vier Gruppen wird gemeinsam mit den Bewohnern nach ihren Wünschen und teils auch Rezepten gekocht und gebacken. Jeder Senior hat eine Aufgabe, denn, so Pfister: „Auch alte Menschen brauchen Anerkennun­g und Erfolgserl­ebnisse.“Die Mitarbeite­r erledigen ihre Büroarbeit­en unter Einhaltung des Datenschut­zes in den gemütliche­n Gemeinscha­ftsräumen. Dort steht jeweils ein Kamin. Den bräuchte es nicht, es gibt eine Hackschnit­zelheizung. Doch das Feuer spreche Urinstinkt­e an, sagte Pfister. Und selbst schwer demente Bewohner könnten ohne Probleme anschüren. Dass das Konzept wirkt, kann Pfister auch belegen: Rund 40 Bewohner wurden in ihrem Pflegegrad niedriger eingestuft, es ging ihnen also besser. 70 Prozent der Angehörige­n von Benevit-Bewohnern wollen selbst im Alter genauso versorgt werden. Und für eine Kommune sei ein Pflegeheim sowieso gut: Dort entstehen Arbeitsplä­tze, es bringt Steuern und Abgaben, stabilisie­rt die Einwohnerz­ahlen, und hilft den Angehörige­n und den Geschäften vor Ort. Aber aufgrund des demografis­chen Wandels werde es so nicht weitergehe­n: 2030 fehlen laut Pfister 200 000 Vollzeit-Pflegekräf­te – von den Kosten ganz zu schweigen. Der Benevit-Geschäftsf­ührer befürchtet einen finanziell­en Kollaps der Sozialkass­en oder eine massive Beitragser­höhung oder eine Absenkung der Qualität. „Wir brauchen die Pflege im ländlichen Raum, aber wenn wir nichts tun, geht das unter“, appelliert­e er an die Bürgermeis­ter und Landrat Leo Schrell.

Dieser lobte das hervorrage­nde Konzept in den Benevit-Häusern und will Pfister die Daumen für den Prozess drücken. Denn auch Schrell hält die Nachtdiens­tgrenze ab 41 Personen für sinnlos.

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