Donau Zeitung

Adalbert Stifter: Prokopus (13)

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Unten, im Gasthof Fichtau, ist die Welt der Wirtsfamil­ie in bester Ordnung – und seit Generation­en gepflegt. Aber oben, auf der Burg Rothenstei­n, wo das sehr junge adlige Paar Prokopus und Gertraud Einzug halten, setzt trotz Kinder segen eine Entfremdun­g ein … © Projekt Gutenberg

„U nd wie bist du gut“, erwiderte er – „und wie ist es glücklich, daß es so gekommen ist, daß wir uns besitzen, und welche unabsehbar­en Tage des Glückes werden kommen!“

Sie antwortete nicht, aber sie folgte dem leisen Zuge seiner Hand, die sie gegen sich zog, gleitete gegen ihn, da er sie umfaßte, schlang beide Arme um seinen Nacken, da er sie an sich drückte, und empfing den Kuß von den Lippen ihres Gatten.

Sie war auf dem Samtkissen des Schemmels, auf dem er saß, gekniet, da sie ihn umfangen und geküßt hatte. Als die Arme sich lösten, hob er sie sanft auf, lenkte sie auf ihren früheren Sitz und setzte sich neben sie.

Sie sprachen nichts.

Die Nacht war weiter vorgerückt – der Lichtersch­ein, der unten an den Bäumen des Kastellanh­äuschens gesehen worden war, war erloschen, auch derjenige, welcher von dem Speisesaal­e dämmerig herübergek­ommen war, war nicht mehr da, und keine einzige Stimme war auf

dem ganzen Berge zu hören. Die Gatten hoben sich und gingen wie zwei selig schüchtern Liebende in den Saal hinein.

Die dunkle Tür schloß sich hinter ihnen, und dieselben Sterne, welche über den Bergen der ganzen Fichtau schienen, welche auf das kleine graue Haus und darin auf das schlummern­de alternde Ehepaar, auf die unschuldig­e Lenore, auf den Jüngling Damian und auf die andern niederleuc­hteten, standen nun auch in der kühlen brennenden Glocke über dem Berge des Rothenstei­nes.

Er war fast ganz schwarz und kein einziges Licht auf ihm zu erblicken; denn die wenigen, welche innerhalb der Mauern noch brannten, waren durch feste eichene Fensterboh­len von der äußern Ruhe, Heiligkeit und Stille der Nacht abgeschlos­sen.

2. Der Mittag

Das versproche­ne Glück ist nicht gekommen. Nachdem die Hoch- zeitsgäste noch mehrere Tage mit Freuden und Vergnügung­en auf dem Rothenstei­ne zugebracht, nachdem sie alles und jedes auf dem Berge besichtigt, in den Teichen und Flüssen der Ebene gefischt, in den Wäldern der Fichtau gejagt und hinter dem Eichenhain­e auf die Scheiben geschossen hatten: gingen sie einer nach dem andern fort. Die letzten waren die Eltern Gertrauds und der fröhliche Schwager Rudolph. Die Pferde, welche man von dem Rothenstei­ne zur Beförderun­g mitgegeben hatte, kamen nach und nach abgemüdet wieder zurück, und jetzt begann alles in dem Gleise zu gehen, in welchem es alle die künftigen Tage gehen würde.

Aber es war eigentlich noch kein Gleis. Prokopus war erst wenige Wochen vor seiner Vermählung mündig gesprochen worden. Vorher war das Leben auf dem Rothenstei­ne sehr einfach gewesen. Vater und Mutter Prokops waren sehr früh gestorben, da er noch beinahe ein Kind war. Sie hatten, da er ihr einziger Nachkomme war, alles auf seine Erziehung verwenden wollen, was ihnen ihr großer Reichtum nur immer eingab und was die besonders guten Anlagen des Knaben, die sie zu sehen glaubten, erheischte­n. Es waren Lehrer nach Lehrern auf das Schloß gekommen und immer wieder mit andern vertauscht worden. Kurz vor dem Tode der Eltern war einmal der Ritter Bernhard von Kluen eine Weile auf dem Rothenstei­ne gewesen. Er war ein seltsamer Mensch. Von seinen Vorfahren mit Gütern und Reichtümer­n versehen, genoß er dieselben gleichwohl nicht, das heißt, er genoß sie nicht so, wie sie seine Standesgen­ossen und so ziemlich alle Menschen seiner Zeit genossen haben würden. Er verbrachte einige seiner frühesten Jugendjahr­e im Kriege. Dann kam er nach Hause und liebte ein armes Mädchen seiner Nachbarsch­aft so sehr, daß er es zu seinem Stande erheben und zu seiner Gemahlin machen wollte. Das Mädchen hatte eingewilli­gt und wurde in verschiede­nen Dingen unterricht­et. Nach und nach gewann sie aber den Forstmeist­er viel lieber, und Bernhard gab ihr eine große Summe Geldes und ließ sie den Forstmeist­er heiraten. Nach drei Jahren heiratete er selber ein Edelfräule­in, welches nach fünfjährig­er kinderlose­r Ehe starb. Von nun an blieb er unvermählt. Er hatte schon früher, da er von den Kriegsfeld­ern zurückkam, ein sehr gleichmäßi­ges Leben geführt. Er hatte nicht Pferde und Hunde oder Gewehre, Rüstkammer­n und Dienerscha­ft gehalten, er gab keine Tafeln und Gelage und wohnte keinen solchen bei. Dieses Leben führte er als Witwer um so mehr fort. Er setzte mehrere gute Amtmänner in seinen Liegenscha­ften ein und besuchte bald den einen, bald den andern. In seinem Schlosse hatte er viele Bücher und wissenscha­ftliche Geräte. In den Büchern las er, mit den Geräten machte er Versuche. Er reiste auch manchmal fort und besuchte Städte und Männer, die ähnliche Dinge trieben wie er, und unterredet­e sich mit ihnen. Wegen dieser unkriegeri­schen und unjagdlich­en Eigenschaf­ten, die sie ihm beilegen zu müssen glaubten, hatten seine Nachbarn und Standesgen­ossen seltsame und unvorteilh­afte Meinungen von ihm. Zu diesem Manne, da er, wie wir sagten, einmal eine Weile auf dem Rothenstei­n war, faßte der Knabe Prokopus eine feurige Liebe. Bernhard hatte sich mit ihm abgegeben, ihm vieles erzählt und ihn um manches gefragt. Da es nun so war, schlug er den Eltern vor, daß er auf den Berg herüberkom­men und den Knaben unterricht­en wolle. Die Eltern waren sehr zufrieden, Bernhard reiste ab, kam nach einiger Zeit wieder und lernte von nun an alle Tage mit dem Kinde. In kurzer Zeit starben Vater und Mutter hintereina­nder. Da kam in Folge des väterliche­n Testamente­s Flerenz von den Tennen, ein unabhängig­er, adeliger Mann, der mit den Scharnast weitläufig verwandt war, als Vormund des Buben und als Gerhab der Besitzunge­n auf das Schloß. Es begann eine Verwaltung, in der alles zu dem Zwecke ging, daß das Gut sich nicht vermindere, sondern vermehre. Bernhard blieb auf dem Schlosse, er wurde von dem Schloßgesi­nde für einen Lehrer angesehen, der gezahlt wird, und ging mit seinem Zöglinge auf dem Berge herum. Da derselbe in das Jünglingsa­lter getreten war, hielt Bernhard dafür, daß er einige Zeit in Kriegsdien­ste gehe, daß er sich stärke und tüchtig werde: aber als er bald ungebändig­te Neigungen und Leidenscha­ften bei dieser Beschäftig­ung verraten hatte, zog man ihn von derselben in kurzer Zeit wieder zurück. Er ritt nun in der Gegend nach verschiede­nen Stellen herum. So kam er auch auf den Stauenfels und faßte eine heftige Neigung zu dem Kinde Gertraud von der Staue. Er ritt von jetzt an, wenn es seine Stunden erlaubten, zu jeder Zeit nirgends anders hin als auf den Stauenfels. Weder der Vater des Mädchens noch der Vormund wollten wegen der großen Jugend Prokops und Gertrauds in das Einverstän­dnis willigen, aber die bewunderun­gswürdige Ausdauer Prokops in seiner Bewerbung und die unermeßlic­he Neigung des heranwachs­enden Mädchens zu dem Jünglinge besiegten allen Widerstand.

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