Schon wieder Schottdorf
Der umstrittene Laborunternehmer steht seit Jahrzehnten im Visier der Staatsanwaltschaft, weil er bei Abrechnungen betrogen haben soll. Verurteilt wurde er nie. Nun gibt es eine neue Anklage
Augsburg Um in etwa bemessen zu können, welchen Willen und welche Zähigkeit Bernd Schottdorf hat, muss man diese Geschichte kennen: Am 20. Oktober 1977 befindet sich der Laborunternehmer aus Augsburg auf einer Safari im bürgerkriegsgeplagten Rhodesien, das heute Simbabwe heißt. Der Jeep fährt auf eine Panzermine. Die hinteren Insassen sind sofort tot. Der Fahrer rennt davon. Schottdorfs Körper ist zu 75 Prozent verbrannt. Das Todesrisiko bei Verbrennungen berechnen Mediziner nach einer Faustformel: Verbrennungsgrad plus Lebensalter. Bernd Schottdorf ist damals 37. Macht 112 Prozent Todesrisiko.
Schwerst verletzt schleppt sich der Mediziner von der Unfallstelle weg. Mit einem Hubschrauber wird er in die Hauptstadt Salisbury gebracht. Das Morphium gegen die Schmerzen dosiert er sich selbst. Ein Pilot der British Airways bringt ihn nach Deutschland. Als er aus dem Krankenhaus kommt, wiegt er nur noch 60 Kilo. Aber er lebt.
Heute ist Bernd Schottdorf 78. Und jetzt braucht er seine Zähigkeit wieder. Denn die Augsburger Staatsanwaltschaft hat ihn erneut angeklagt. Ging es in den vergangenen Verfahren um Abrechnungsbetrug in Kooperation mit anderen Ärzten, liegt der Fall dieses Mal etwas anders. Die Schottdorf-Firma Syscomp beschäftigt mehrere hundert Fahrer, die Laborproben und Befunde durch die Republik kutschieren. Täglich werden nach Firmenangaben rund
10 000 Arztpraxen und medizinische Einrichtungen angefahren.
Doch nach Auffassung der Staatsanwaltschaft sind diese Fahrer als Scheinselbstständige beschäftigt. 5700 Fälle führt die Anklage auf, deren Eingang der Schottdorf-Anwalt Martin Imbeck unserer Zeitung bestätigt hat. Damit soll Schottdorf die Sozialkassen um 14,5 Millionen Euro geprellt haben. Auch Schottdorfs Ex-Frau ist angeklagt, sie ist die Geschäftsführerin der Laborfirma.
In den letzten Jahrzehnten hat Schottdorf wahrscheinlich hunderte Millionen Euro mit seinem Augsburger Großlabor gemacht. Anfang der 1970er Jahre war er der Erste, der die computergestützte Laboranalyse einführte. Damit hängte er die Konkurrenten ab, weil er viel mehr Proben bearbeiten konnte. Diesen Vorteil nutzte er und machte aus seiner Mini-Firma ein Imperium: Europas größtes Laborunternehmen.
So schuf sich der Mann Feinde. Denn er war nicht nur technologisch vorn dran, sondern versuchte, alle Möglichkeiten des Gesundheitssystems zu nutzen. Häufig fällt der Begriff „Grenzgänger“, wenn es um Schottdorf geht. Das brachte ihm eine Vielzahl von Anzeigen ein. In den Fokus der Öffentlichkeit rückt die Geschichte des Bernd Schottdorfs zum ersten Mal Ende der 1980er Jahre – mit einer kuriosen Spionageaktion. Ein Augsburger Arzt, ein Konkurrent, schlich sich im September 1987 mit falschem Bart und Perücke in das Labor Schottdorf ein, um auf Fotos und Videos Beweismaterial zu sammeln. Der Spion wurde enttarnt und wegen Hausfriedensbruchs verurteilt. Doch Schottdorf war auf dem Radar der Augsburger Staatsanwaltschaft, die immer wieder meinte, der Biologe mit dem schlohweißen Haar habe die Grenzen des Abrechnungssystems überschritten. Erst 2016 gab es einen Prozess gegen ihn. Und jetzt soll es bald wieder so weit sein.
Doch Bernd Schottdorf wird ruhig in seinem opulenten Anwesen Schloss Duttenstein zwischen Heidenheim und Donauwörth schlafen. Bisher ist er kein einziges Mal wegen Abrechnungsbetrugs verurteilt worden. Das Landgericht Augsburg befand zuletzt 2016, dass Schottdorf lediglich gesetzliche Lücken im Gesundheitssystem ausgenutzt habe. Scharfe Kritik übte die Strafkammer an der mangelnden Kontrolle durch die Kassenärztlichen Vereinigungen. Das Urteil ist rechtskräftig.
Zuletzt hatte sich ein Untersuchungsausschuss des Bayerischen Landtags mit Schottdorf beschäftigt. Er prüfte, ob Politiker die Ermittlungen der Augsburger Staatsanwaltschaft beeinflusst und zum Stillstand gebracht haben. Schottdorf pflegt enge Kontakte zur CSU. Handfeste Beweise förderte der Ausschuss nicht zutage. Die Landtagsfraktionen der Parteien bewerteten das Ergebnis der Untersuchungen höchst unterschiedlich.