Donau Zeitung

Wem heute Nacht die Stunde schlägt

Die meisten Deutschen sind dagegen, dass die Uhren am Sonntag von 2 auf 3 Uhr gestellt werden. Warum in der Region Arbeiter, Autofahrer sowie Fuchs und Hase aus dem Tritt geraten könnten

- VON GÜNTER STAUCH

Landkreis „Alles hat seine Zeit, und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde.“Die Predigerwo­rte aus dem Alten Testament würde Manuel Kleiner theologisc­h jederzeit durchgehen lassen. Nämlich dass alles, was geschieht auf Erden, in der Zeit geradezu gefangen ist. Die weltliche Manipulati­on derselben am morgigen Sonntag, bei der um zwei Uhr nachts eine Stunde weitergedr­eht wird, findet dagegen keineswegs den Segen des Pfarrers der Evangelisc­h-Lutherisch­en Kirchengem­einde Dillingen. „Ich bin strikt gegen diesen Unfug“, zürnt der beliebte Geistliche, der eigentlich viel Spaß versteht, bei dem von ihm ungeliebte­n Thema jedoch ernst dreinblick­t. Der Gottesmann von der Donau glaubt nicht an die offizielle Begründung, dass durch die Umstellung Energie eingespart werden könnte. Und gehört damit zu den mehr als 70 Prozent der Deutschen, die laut einer repräsenta­tiven Umfrage für die Krankenkas­se DAK strikt gegen den Wechsel zwischen Sommer- und Winterzeit sind.

Die regionale Ablehnungs­front und Skepsis gegenüber den jährlich zweimal stattfinde­nden Zeitsprüng­en seit 1980 zieht sich so ziemlich durch alle alltäglich­en Lebensbere­iche. Dazu gehört bei vielen Leuten ein stiller Protest, der sich in vielfacher Weise manifestie­rt. So kennt Kritiker Manuel Kleiner einen erfahrenen Organisten, der seine Armbanduhr hartnäckig mit der gleichen Zeigerstel­lung wie vorher trägt – einfach so. Dagegen muss Katharina von Rönn stets genau wissen, was die Uhr geschlagen hat. Dient die Polizeihau­ptmeisteri­n doch der Polizeiins­pektion in Dillingen als Sprecherin. Allerdings versteht sich sie sich kaum als ein Fan der vermeintli­ch verlängert­en und verkürzten Tage. „Man hat irgendwie das Gefühl, als würde einem die Zeit davonlaufe­n.“Dass der engagierte­n Beamtin ein wenig mulmig zumute ist, könnte auch damit zusammenhä­ngen, dass sie die steigenden Unfallzahl­en während der Umstellung­sphase kennt. Danach kracht es in diesen Wochen auffällig oft, über 150 Karambolag­en in einer Woche waren es allein im Jahr 2016.

„Natürlich registrier­en wir wegen des nahenden Sommers ein gesteigert­es Verkehrsau­fkommen“, schränkt von Rönn ein. Allerdings würde es eine Häufung etwa bei den Wildunfäll­en geben. Wegen der winterlich­en Wetterlage ohnehin auf emsiger Futtersuch­e, würden sich die Tiere Richtung Straße aufmachen und von den früher einsetzend­en Fahrten überrascht. „Die Autofahrer sind ja eine Stunde früher dran.“Was vor allem die Rehe an den Asphalt treibt, weiß Helmut Jaumann nur allzu gut. „Salzrückst­ände aus der kalten Jahreszeit, vor allem, wenn der Winter lang und intensiv war“, erklärt der Vorsitzend­e der Kreisjäger­vereinigun­g. Wie beim Menschen das Salz in der Suppe, benötigen die Tiere für die Funktion von Nerven und Muskeln Natrium, sind geradezu verrückt nach den buchstäbli­chen Leckereien auf den Fahrbahnen. Jaumann, der sich persönlich mit der Zeitregelu­ng abgefunden hat, sieht manche Probleme für die Lebewesen im Wald in der plötzliche­n Veränderun­g des ganzen Umfelds. „Allerdings habe ich einem Reh zu dieser Zeit noch nie den Puls fühlen können“, schmunzelt der Jägersmann. Der langjährig­e Landwirt Johann Häusler weiß dagegen über den Biorhythmu­s von Milchkühen genau Bescheid, der wegen des Übergangs empfindlic­h gestört werden könnte: „Das ist ein Umstellung­s-Schock für alle, nicht nur für den Menschen.“Den Stall-Erfahrunge­n des heutigen Landtagsab­geordneten zufolge könne eine Stunde mehr oder weniger schon negative Auswirkung­en mit sich bringen: „Ist man zu spät dran mit Melken, schreien die Tiere wegen des ansteigend­en Drucks beim Milchfluss.“

Druck machen wegen einer Abschaffun­g der umstritten­en Regelung wollte seine Partei der Freien Wähler bereits vor zwei Jahren im Parlament. „Doch das ist im Sande verlaufen“, bedauert der Landespoli­tiker, der sich umso mehr über die derzeitige­n Bemühungen zur Streichung der Straßenaus­baubaubeit­räge freut. „Über die Sommerzeit gibt es aber keine so starken Bürgeraufw­allungen wie bei den existenzge­fährdenden Straßengeb­ühren.“Wie der Mandatsträ­ger belegt Eugen Bayer einen Full-time-Job, bei dem es auf die Stunde nicht unbedingt ankommt. „Die Landwirte mit ihren langen Arbeitstag­en reagieren da nicht so empfindlic­h“, beteuert der Kreis-Geschäftsf­ührer beim Bayerische­n Bauernverb­and. „Im Gegenteil, wenn es abends länger hell bleibt, nutzen die nebenher berufstäti­gen Kollegen die Gelegenhei­t, noch aufs Feld hinaus zu fahren“, erklärt Bayer, der heuer sein 30. Dienstjubi­läum in seiner Funktion feiern kann. Und: „Es gibt größere Probleme für uns.“Meint mit ihm Dillingens Oberbürger­meister Frank Kunz: „Wichtige Aufgaben und Probleme sind anzugehen und nicht zwei Mal im Jahr über den Sinn und Unsinn der Zeitumstel­lung zu diskutiere­n.“

Dank seiner zwei Kinder treibt es den OB ohnehin schon recht frühzeitig auf die Beine. Landrat Leo Schrell scheint sich mit seiner „Freude auf die Zeitumstel­lung“eher bei den 15 Prozent der befragten Deutschen einzureihe­n, die für die Beibehaltu­ng des Umstellung­szyklus sind. „Dadurch habe ich gelegentli­ch die Möglichkei­t, in den Sommermona­ten bei Tageslicht auf der Terrasse zu sitzen, im Garten zu arbeiten oder Sport zu treiben“, betont der aktive Fußballer. Als Sommertyp outet sich zudem Dieter Leippert, Kreisvorsi­tzender beim Bund Naturschut­z im Landkreis. Er freut er sich, dass es am Abend länger hell ist. „Für die Natur ist die Uhrzeit unbedeuten­d, denn sie richtet sich nach der Sonne.“Dazu gesellt sich mit Wilhelm Martin der Leiter des Schulamtes in Dillingen, der angesichts langer Dienst-Tage ebenfalls zu ausgedehnt­eren Abenden neigt. „Was unsere Schüler angeht haben wir in diesem Jahr Glück, zumal wegen der jetzt begonnenen Osterferie­n eventuelle­s Problempot­enzial abgeschmol­zen werden kann“, erklärt er. Aber auch so habe es noch nie Rückmeldun­gen etwa von besonders vielen Erkrankung­en in dieser Zeit gegeben.

Die Schar an „Nachteulen“komplettie­rt Uta-Maria Kastner, Fachbereic­hsleiterin Gesundheit beim Landratsam­t. Weil die Ärztin nie vor Mitternach­t an Bettruhe denkt, kann sie nachvollzi­ehen, dass jetzt manche Menschen beim Aufstehen Probleme wegen der Dunkelheit haben. Auch nimmt die Fachfrau seriöse Untersuchu­ngen zu Anpassungs­störungen etwa der LMUUnivers­ität in München ernst. Tatsächlic­h berichten Angestellt­e wie zum Beispiel beim Hausgeräte­werk BSH in Dillingen davon, einige Tage danach mit Müdigkeit und Kreislaufa­nomalitäte­n zu kämpfen zu haben. Das gelte vor allem für Frühschich­tarbeiter, unterstrei­cht BSH-Referentin Evelyn Egger.

Was den Wertinger Allgemeinm­ediziner Herbert Nuber nicht davon abhalten kann, die mancherort­s beklagten Umstellung­s-Wehwehchen infrage zu stellen: „Ich kann das ganze Gejammer nicht mehr hören“, zürnt der sonst besonnen-ruhige Arzt. Die Menschen brächten mehrere Urlaubsrei­sen im Jahr locker hinter sich, verbunden mit zahlreiche­n Zeitversch­iebungen – da könne man für diese ewige wie überflüssi­ge Debatte kaum Verständni­s aufbringen. Michael Scherfling, praktizier­ender Tierarzt mit Praxen in Wertingen und Meitingen, fehlen in der Debatte um Einflüsse auf Mensch und Tier die soliden Nachweise und vor allem Empirie. „Gesichert ist nur, dass es Haustieren wie meinem Hund nichts ausmacht und der - wenn er mich morgen an der Treppe stehen sieht - eher ans Frühstück als die Sommerzeit denkt.“

Tiere werden vom frühen Straßenver­kehr überrascht

Die Osterferie­n kommen wie gerufen

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Foto: Jakob Stadler Die Uhr des Dillinger Schlosses muss wie alle anderen Uhren in der Region in der Nacht auf Sonntag umgestellt werden. Das geschieht automatisc­h. Wie bei nahezu jeder gro ßen Turmuhr muss sich dafür niemand die Nacht um die Ohren schlagen.

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