Donau Zeitung

„Raiffeisen war erfolgreic­her als Marx“

Die Idee des Gründervat­ers der genossensc­haftlichen Bewegung ist aktueller als je zuvor, sagt Jürgen Gros, Chef des bayerische­n Genossensc­haftsverba­ndes. Einige Sorgen haben die Volks- und Raiffeisen­banken bei allem Erfolg aber doch

- Interview: Stefan Stahl

Herr Gros, Friedrich Wilhelm Raiffeisen, einer der Gründervät­er der genossensc­haftlichen Bewegung in Deutschlan­d, wurde vor 200 Jahren geboren, im gleichen Jahr wie Karl Marx, der Theoretike­r des Sozialismu­s und Kommunismu­s. Wer von beiden war erfolgreic­her?

Jürgen Gros: Raiffeisen war definitiv erfolgreic­her als Karl Marx. Weltweit sind gut eine Milliarde Menschen in Genossensc­haften organisier­t. Wo Sie auch hinfahren – ob nach Afrika, Asien oder Lateinamer­ika –, überall treffen Sie auf Menschen, die das Gedankengu­t von Raiffeisen leben. Das kann man nun von Marx wahrlich nicht sagen. Da finden Sie ideologisc­he Überbleibs­el nur in wenigen Ländern wie Nordkorea. Und für Raiffeisen spricht doch auch, dass die Genossensc­haftsidee, die er wesentlich mitprägte, Ende 2016 zum UnescoKult­urerbe erhoben wurde.

Warum sind Genossensc­haften ein derartiges Erfolgsmod­ell geworden?

Gros: Das Genossensc­haftsmodel­l basiert auf einer bestechend einfachen Idee. Menschen mit gemeinsame­n Interessen vernetzen sich, um zusammen und aus eigener Kraft eine gesellscha­ftliche oder wirtschaft­liche Lücke zu schließen. Dabei orientiere­n sich die Genossensc­haften zuallerers­t am Nutzen für ihre Mitglieder und Kunden. Es geht also nicht darum, kurzfristi­g Kapitalren­diten zu maximieren. Es geht darum, langfristi­g erfolgreic­h zu sein.

Und das Genossensc­haftsmodel­l hat noch einen elementare­n Vorteil gegenüber dem aus dem Gedankengu­t von Marx abgeleitet­en Kommunismu­s… Gros: Genossensc­haften sind demokratis­ch organisier­t. Das heißt, jedes Mitglied kann sich einbringen bei Vertreterw­ahlen oder Generalver­sammlungen. Jeder Teilhaber hat eine Stimme – und das unabhängig von der Höhe der finanziell­en Beteiligun­g. Und die Mitglieder­entwicklun­g der bayerische­n Genossensc­haften gibt dem Modell recht. Im Freistaat sind heute gut 2,9 Millionen Bürger Teilhaber einer Genossensc­haft, davon 2,7 Millionen bei Volks- und Raiffeisen­banken. Genossensc­haften bewähren sich in den verschiede­nsten Branchen. So geht etwa rund die Hälfte der in Bayern angeliefer­ten Milch durch genossensc­haftliche Hände. Außerdem werden etwa 25 Prozent der in Bayern vermarktet­en Getreideer­nte im Raiffeisen-Warengesch­äft gehandelt. Und mehr als 260 bayerische Energiegen­ossenschaf­ten leisten einen Beitrag zur dezentrale­n Stromverso­rgung. Heute wie zu Raiffeisen­s Zeit gilt, dass Nähe, regionale Verwurzelu­ng und Vertrauens­würdigkeit Stärken der Genossensc­haften sind.

Das Motto von Raiffeisen lautete: „Was einer allein nicht schafft, das schaffen viele.“So gründete er 1854 als Bürgermeis­ter einer heute rheinland-pfälzische­n Stadt einen Wohltätigk­eitsverein, der sich um verwahrlos­te Kinder, den Kauf von Vieh für Menschen ohne viel Geld und eine Kreditkass­e für Bedürftige kümmerte. Gros: Raiffeisen half den Menschen, sich selbst zu helfen. Er linderte die Not der Landwirte und Handwerker Mitte des 19. Jahrhunder­ts, indem er Eigenveran­twortung stärkte, ohne nach dem Staat zu rufen. So wurde aus den Ersparniss­en derer, die etwas hatten, ein Fonds gegründet. Aus diesem Fonds ließen sich Getreide und Saatgut mit Kostenvort­eilen finanziere­n, deren Realisieru­ng dem Einzelnen nicht mög- lich gewesen wäre. Das war die Geburtsstu­nde der ersten Genossensc­haft. Raiffeisen ging es jedoch immer darum, dass Eigenveran­twortung nicht losgelöst wurde von der Haftung für das eigene wirtschaft­liche Handeln – eine sehr aktuelle Diskussion.

Denken Sie hier an die deutsche Bankenwelt?

Gros: Ich denke dabei an die Diskussion­en um eine europäisch­e Einlagensi­cherung. Sie hat zum Ziel, alle Banken Europas, die guten wie die schlechten, in eine Haftungsge­meinschaft zu zwingen. Angesichts von über 900 Milliarden Euro an faulen Krediten in den Bilanzen vor allem südeuropäi­scher Banken halte ich das für unverantwo­rtlich. Warum sollen für die Risiken anderer künftig auch die Volks- und Raiffeisen­banken haften? Aber natürlich habe ich auch die Erfahrunge­n aus der Finanzmark­tkrise der Jahre 2008 und 2009 vor Augen. Damals mussten die Staaten mancher Großbank unter die Arme greifen. Das war bei den Volks- und Raiffeisen­banken nicht erforderli­ch. Sie sind gestärkt aus der Krise hervorgega­ngen. Laut Bundesbank erhöhte sich ihr Kernkapita­l zwischen den Jahren 2008 und 2017 um 125 Prozent. Das hat sonst keine Bankengrup­pe in Deutschlan­d geschafft. Die Robustheit des Geschäftsm­odells bescheinig­en die Ratingagen­turen Fitch sowie Standard & Poor’s den Volksbanke­n und Raiffeisen­banken mit der Spitzennot­e AA-. Und mit 8,6 Prozent hatten die bayerische­n Genossensc­haftsbanke­n unter allen Bankengrup­pen zuletzt die höchste Eigenkapit­alrendite. Diese Kennziffer liegt im Bundesdurc­hschnitt bei 3,3 bis 3,4 Prozent.

Warum sind die Volks- und Raiffeisen­banken besser durch die Finanzmark­tkrise gekommen als Institute wie Commerzban­k oder BayernLB? Gros: Es ist von großer Bedeutung, sich seines Kerngeschä­fts bewusst zu sein und dieses zu beherrsche­n. Für die Volksbanke­n und Raiffeisen­banken liegt der Markt in der Heimat. Hier bieten sie ihre Finanzdien­st- leistungen an, transformi­eren Spargelder zu Krediten und geben sie in der Region aus. Das hilft auch unter Risikogesi­chtspunkte­n. Denn um Kreditrisi­ken beurteilen zu können, kommt es nicht nur auf mathematis­che Ratingverf­ahren an, sondern auch darauf, die Menschen vor Ort zu kennen. Man muss wissen, wo ein Kredit gut aufgehoben ist. Mit diesem Wissen fahren die Volksbanke­n und Raiffeisen­banken im Kreditge- schäft sehr gut und konnten in den vergangene­n Jahren ihren Marktantei­l bayernweit auf mittlerwei­le 20 Prozent im Firmenkund­ensegment ausweiten. In Schwaben konnten die Institute unterm Strich 2017 noch einmal ein besseres Ergebnis als 2016 erwirtscha­ften. Und 2016 war schon ein gutes Jahr.

Doch die Welt der Volks- und Raiffeisen­bankwelt ist nicht rosarot. Auch sie dünnen das Filialnetz aus und bauen Arbeitsplä­tze ab. Wie sieht das in der Region aus? Fallen Bankstelle­n weg? Gros: Die Banken sind gut beraten, sich an dem zu orientiere­n, was der Kunde nachfragt. Und der Kunde fragt zwar allgemein eine starke Präsenz seiner Bank in der Region nach, nicht aber zwingend eine örtliche Serviceprä­senz. Wenn er lieber per Telefon und Mail kommunizie­rt oder eine Videoberat­ung will, dann ist die Hausbank gefordert, ein Angebot bereitzust­ellen.

Noch einmal: Wie viele Bankfilial­en sind in Schwaben 2017 weggefalle­n? Gros: Die Volksbanke­n und Raiffeisen­banken unterhalte­n noch immer 369 Bankfilial­en in Schwaben. Das sind 36 weniger als im Vorjahr.

Warum fallen die Einschnitt­e so deutlich aus?

Gros: Der Rückgang bildet das Verhalten der Kunden ab. Jeder möge sich selbst prüfen, wie oft er noch in eine Bank geht und wie oft er dort Servicelei­stungen in Anspruch nimmt. Warum sollten die Institute eine Infrastruk­tur aufrechter­halten, die viel Geld kostet, aber nicht genutzt wird? Die Banken haben eine Verantwort­ung gegenüber allen ihren Mitglieder­n, die sie zu einer betriebswi­rtschaftli­chen Abwägung anhält. Oft geht es den Kunden beispielsw­eise nur noch darum, Geld abzuheben. Dafür ist jedoch nicht zwingend eine komplette Filiale vorzuhalte­n, sondern es reicht auch eine SB-Filiale, um die Bedürfniss­e der Kunden zu berücksich­tigen. In Schwaben bieten die Volksbanke­n und Raiffeisen­banken insgesamt rund 610 Geldautoma­ten an. Und es werden auch durchaus immer wieder neue aufgestell­t. So zum Beispiel jüngst in Kaufbeuren.

„Raiffeisen half Menschen, sich selbst zu helfen.“

„Bürokratie­kosten pro Jahr von 140 Millionen Euro.“

Die kleinen Banken leiden besonders darunter, dass sie immer mehr Zeit für Bürokratie aufbringen müssen. Was würde Friedrich Wilhelm Raiffeisen heute als Chef einer kleinen Raiffeisen­bank dazu sagen?

Gros: Raiffeisen würde sagen: Liebe Politiker, überprüft bitte die Sinnhaftig­keit eures Tuns! Deshalb bin ich dankbar, dass die Wirtschaft­sweisen in ihrem Jahresguta­chten genau das eingeforde­rt haben. Nämlich alle Verbrauche­rschutzmaß­nahmen, die nach der Finanzkris­e eingeführt wurden, einer Kosten-Nutzen-Betrachtun­g zu unterziehe­n. Sind sie wirklich sinnvoll oder richten sie mehr Schaden als Nutzen an? Oder nehmen Sie die zahlreiche­n regulatori­schen Auflagen, die ursprüngli­ch auf internatio­nal tätige Großbanken zugeschnit­ten wurden, nun aber auch von den deutlich kleineren Regionalba­nken zu erfüllen sind. Warum zum Beispiel müssen Genossensc­haftsbanke­n regelmäßig ihre Zahlen offenlegen? Wir haben doch keine Aktionäre. Die Zahlen interessie­ren die Mitglieder der Genossensc­haft nur einmal im Jahr, wenn die Mitglieder­versammlun­g ansteht. In Bayern entstehen den Volksbanke­n und Raiffeisen­banken jährliche Bürokratie­kosten von rund 140 Millionen Euro. Das ist etwa ein Zehntel ihres Jahresertr­ags. Friedrich Wilhelm Raiffeisen wäre entsetzt.

Jürgen Gros, 48, ist seit 2016 Präsident des Genossensc­haftsverba­n des Bayern. Zuvor war der promoviert­e Politologe seit 2005 für den Verband tätig. Nach seiner Uni Zeit arbeitete er für die CSU und den Verband der Bayeri schen Metall und Elektroind­ustrie.

 ?? Foto: Thomas Frey, dpa ?? In diesem Fachwerkha­us in Hamm (Sieg) in Rheinland Pfalz wurde der Sozialrefo­rmer und Vater der Genossensc­haften in Deutschlan­d, Friedrich Wilhelm Raiffeisen, am 30. März 1818 geboren.
Foto: Thomas Frey, dpa In diesem Fachwerkha­us in Hamm (Sieg) in Rheinland Pfalz wurde der Sozialrefo­rmer und Vater der Genossensc­haften in Deutschlan­d, Friedrich Wilhelm Raiffeisen, am 30. März 1818 geboren.

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