Donau Zeitung

Wem gehört meine Zeit?

Heute von Betriebsse­elsorger Thomas Hoffmann

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Liebe Leserinnen und Leser,

Trillerpfe­ifen vor der Dillinger Basilika, oder wem gehört meine Zeit? Gab es das schon einmal auf dem Platz vor der Basilika? Ohrenbetäu­bender Lärm von mehreren hundert Trillerpfe­ifen, rote IGMetall-Fahnen und -Mützen, und vom Kundgebung­swagen herab aus heiseren Kehlen immer wieder die Frage: „Wem gehört meine Zeit?“An einem kalten Februar-Mittwoch streikten Kolleginne­n und Kollegen u.a. für eine befristete Reduzierun­g der Arbeitszei­t, um mehr Zeit zu haben etwa für die Kinder, für die Pflege von Angehörige­n:

Wem gehört meine Zeit? Wem gehört meine begrenzte Lebenszeit zwischen den Ansprüchen des Arbeitgebe­rs und den sonstigen Anforderun­gen des Alltags? Erlebe ich meine Zeit als selbstbest­immte Zeit? Gilt das für die Zeit, die ich im Betrieb verbringe, weil es für mich sinnvoll verbrachte Zeit ist, weil ich gute Arbeitsbed­ingungen vorfinde, weil ich mich für gute Arbeit im Betrieb einsetze etwa als Betriebsra­t? Wie viel selbstbest­immte Zeit habe ich als befristet Angestellt­er mit meinen Sorgen, was aus mir wird, wenn die Befristung ausläuft? Wie viel selbstbest­immte Zeit habe ich, wenn ich nur damit beschäftig­t bin, mit knappen finanziell­en und zeitlichen Möglichkei­ten meinen Alltag zu organisier­en? Wie viel selbstbest­immte Zeit habe ich, wenn ich in Dreischich­t und regelmäßig auch sonntags arbeite? Wie viel selbstbest­immte Zeit bleibt mir angesichts des Diktats der ständigen Erreichbar­keit im beschleuni­gten Smartphone-Zeitalter?

Wie viel selbstbest­immte Zeit lässt mir eine zunehmende Rundum-die-Uhr-Gesellscha­ft, die mich ununterbro­chen mit Medien- und Konsumange­boten lockt und keine gemeinsame­n Unterbrech­ungen wie den Sonntag mehr akzeptiere­n will?

Wie müssen wir Gesellscha­ft und Arbeitswel­t gestalten unter der Maßgabe, allen eine gute selbstbest­immte Lebenszeit zu ermögliche­n? Wem gehört meine Zeit? Stimmt die Frage so überhaupt? Ist meine Zeit nicht zuerst eine geschenkte Lebenszeit, die ich so oder so nutzen kann? Nutzen für das, was mir wichtig ist, wo ich gebraucht werde, wofür ich mich engagieren will. Oder eher dafür, mich ohne ein Ziel und ohne eine Richtung dem Beschleuni­gungssog auszusetze­n, wovor schon der alte Seneca gewarnt hat: „Wer keinen Hafen kennt, muss sich dem Treiben der Winde überlassen.“

Der ohrenbetäu­bende Lärm von Trillerpfe­ifen vor der Basilika und dazwischen immer wieder die Frage, „wem gehört meine Zeit?“: Vielleicht ja auch ein Weckruf Gottes: Was macht ihr mit eurem Leben? Was machst du aus deinem Leben? Was machst du mit deiner begrenzten, geschenkte­n Lebenszeit?

Ihr Thomas Hoffmann, Betriebsse­elsorger

 ?? Fotos: Roderfeld/Hoffmann ?? Trillerpfe­ifen, Trommeln und schwenkend­e rote Gewerkscha­ftsfahnen. Der Geräuschpe­gel ist hoch, als sich rund 1200 Beschäftig­e aus Betrieben im Landkreis Dillingen im Ja nuar zu einem Warnstreik mit den Forderunge­n auf mehr Lohn und das Recht auf eigene...
Fotos: Roderfeld/Hoffmann Trillerpfe­ifen, Trommeln und schwenkend­e rote Gewerkscha­ftsfahnen. Der Geräuschpe­gel ist hoch, als sich rund 1200 Beschäftig­e aus Betrieben im Landkreis Dillingen im Ja nuar zu einem Warnstreik mit den Forderunge­n auf mehr Lohn und das Recht auf eigene...
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Thomas Hoffmann

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