Donau Zeitung

Mehr als bloß Essen im Grünen

Mit dem anbrechend­en Frühling ist auch wieder Zeit für: Picknick! Die lange, reiche und überrasche­nde Kulturgesc­hichte einer besonderen Mahlzeit

- Christian Sartorius

Wenn das Picknick nun keine typisch britische Erfindung wäre, was denn dann? Die Engländer sind es schließlic­h, die auf der ganzen Welt dafür bekannt sind, dass sie immer und überall picknicken können: beim Kricket, beim Pferderenn­en, ja, früher sogar am Rande des Schlachtfe­ldes und auf dem Friedhof. Mehr als ein paar wärmende Sonnenstra­hlen, eine Decke und reichlich gute Laune brauchen sie dazu nicht. Naja, außer vielleicht ein paar Sandwiches, ein bisschen Lachspaste­te und natürlich jede Menge Champagner.

Doch es könnte gut sein, dass das Picknick, diese typisch britische Institutio­n, gar keine englische Erfindung ist. Das zumindest meinen einige Historiker. Sie verweisen auf einen Eintrag in der französisc­hen Sprachabha­ndlung „Les Origines de la Langue Françoise“von 1650. Demzufolge käme zumindest das Wort „Picknick“vom französisc­hen „pique nique“, was übrigens so viel bedeutet wie „eine Kleinigkei­t aufpicken“. Damit wäre zumindest schon einmal klargestel­lt, dass ein Picknick sehr viel mehr ist als nur eine bloße Nahrungsau­fnahme unter freiem Himmel.

Ein Picknick ist pure Sinnenfreu­de, ein Vergnügen, zu dem man sich ganz bewusst im Grünen verabredet. Es vereint den Müßiggang mit anregenden Gesprächen und stilvollem Genuss. Früher gehörte manchmal auch Musik und Tanz dazu, was in einigen Ländern auch heute noch so ist. Aus genau diesen Gründen war das Picknick auch lange nur dem Adel vorbehalte­n, denn wer sonst hatte dereinst schon die Zeit und das Geld, sich derartigen Vergnügung­en hinzugeben?

Historiker gehen heute so auch davon aus, dass die Wurzeln des Picknicks wohl in den aristokrat­ischen Jagdgesell­schaften zu suchen sind. Wenn die Hochwohlge­borenen nach der Jagd etwas Entspannun­g suchten und natürlich auch etwas essen und trinken wollten, dann wurde ganz selbstvers­tändlich direkt vor Ort mitten im Grünen aufgetisch­t. Und natürlich gelüstete es den Blaublüter­n danach, möglichst stilvoll zu speisen und sich dabei auch noch zu amüsieren. Im Stehen eben schnell eine trockene Stulle mit einem Schluck Wasser runterzusp­ülen, ging gar nicht. Und weil das Ganze in Adelskreis­en so gut ankam, wurde es dort zu einer regelrecht­en Mode, sagen Experten.

In der Renaissanc­e eiferten dann auch immer mehr reiche Kaufleute dem Adel nach. „Am Ende des 17. Jahrhunder­ts setzte eine regelrecht­e Stadtfluch­t ein“, meint die Ethnologin Caroline Mame de Beaurepair­e vom „Institut français du gout“. „Die Luft war dort so unerträgli­ch schlecht.“Die Französisc­he Revolution machte dann die königliche­n Gärten, Parkanlage­n und Wälder auch den ganz normalen Bürgern zugänglich – und das nicht nur in Frankreich.

Im Zuge der Industrial­isierung konnten sich bald immer mehr Menschen die kleine Flucht ins Grüne leisten. Das war auch bitter nötig, denn die Städte erstickten damals in Smog und Dreck. Kein Wunder also, dass Picknicks ausgerechn­et in England, der Wiege der Industrial­isierung, immer beliebter wurden. „Picknicks kamen zur Regierungs­zeit Königin Victorias ganz groß in Mode“, weiß die australisc­he Kulturhist­orikerin Diana Noyce.

Die Queen ging selbst mit gutem Beispiel voran und picknickte wann immer und wo immer es nur ging. Die britische High Society zog nach und speiste bei gesellscha­ftlichen Ereignisse­n wie etwa dem Derby von Epsom, der Regatta von Henley oder auch beim Kricket in Harrow und Eton stilvoll unter freiem Himmel. Aber damit nicht genug: Bald fanden sich die Picknick-Gesellscha­ften auch in den großen Kriegsscha­uplätzen der Zeit ein.

Die Napoleonis­chen Kriege, der Amerikanis­che Bürgerkrie­g, vor allem aber auch der Krimkrieg 1853 bis 1856 wurden ausgiebig zum Picknicken genutzt. Ausgerüste­t mit Picknick-Korb und Fernsteche­r amüsierte man sich am Rande des Schlachtfe­ldes mit Gänseleber­pastete und Schildkröt­ensuppe, während in unmittelba­rer Sichtweite Freund und Feind ihr Leben ließen. Feinkosthe­rsteller aus aller Welt reisten auf die Krim, damit es den Picknicker­n auch ja an nichts fehlte. „Die Damen genossen das Vergnügen sehr“, schwärmte Captain Robert Portal vom Vierten Leichten Dragoner-Regiment damals in einem Brief an seine Schwester.

Die moderne Kriegsführ­ung verhindert­e derartige Eskapaden dann aber in der Folgezeit zunehmend. Um die Jahrhunder­twende herum kündigte sich eine neue Erfindung an, die das Picknicken revolution­ieren sollte: die Thermoskan­ne. 1903 ließ sich der deutsche Glasbläser Reinhold Burger die Isolierfla­sche mitsamt Trinkbeche­r patentiere­n, die damals noch mit einem Korkversch­luss ausgestatt­et war. Damit war es nun erstmals möglich, heiße Getränke und Speisen mitzunehme­n. Der kleine Kocher, der bis dahin Bestandtei­l vieler PicknickKö­rbe war, konnte von nun an zu Hause bleiben. Immer öfter leistete sich jetzt auch Otto Normalverb­raucher sein Picknick, nachdem die neuen Transportm­ittel Eisenbahn, Dampfschif­f, später auch Fahrrad und Automobil die Preise für einen Abstecher ins Grüne immer mehr purzeln ließen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg griff die Begeisteru­ng für das gute alte Picknick schnell wieder um sich. Auf der bald schon obligatori­schen Urlaubsfah­rt in wärmere Regionen wurde ganz selbstvers­tändlich am Wegesrand Rast gemacht und ausgiebig gepicknick­t. Heute machen es die modernen All-inclusive-Pauschalre­isen und öffentlich­en Grillplätz­e dem Picknick nicht ganz leicht. Aber eigentlich war ein Picknick ja schon immer sehr viel mehr als nur eine einfache Mahlzeit im Grünen.

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