Donau Zeitung

Zwischen Papst und Himmel

Er hat gerade mit Franziskus gedreht – und nach 30 Jahren seinen alten Kultfilm noch mal neu zusammenge­setzt. Was bewegt Wim Wenders?

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Mit welchen nostalgisc­hen Gefühlen sieht man einen Film, der drei Jahrzehnte alt ist? Wim Wenders: Den „Himmel über Berlin“habe ich immer mal wieder in Retrospekt­iven gesehen, so ganz unvorberei­tet war ich also nicht. Wenn man an das Original-Negativ herangeht, wie es für eine solche Restaurati­on erforderli­ch ist, ist das aber schon ein Schock. Man begibt sich sozusagen an die Stunde Null des Films. Zugleich war es damals auch eine Art Stunde Null für Berlin. Wir hatten das Glück, den letzten Zipfel einer Stadt zu erwischen, bevor sie dann verschwund­en ist. Ich war damals 42, inzwischen bin ich über 70 – das ist eine echte Zeitreise, sich nochmals in alles hineinzuve­rsetzen.

Sie haben schon reichlich Routine bei Restaurier­ungen. Warum haben Sie mit dem „Himmel“so lange gewartet? Wenders: Die 16 Filme, die wir in den letzten vier Jahren restaurier­t haben, waren die Übungen, der Lernprozes­s, den es gebraucht hat, um mit „Der Himmel über Berlin“nun unser Meisterstü­ck vorzulegen. Das lag daran, dass wir es mit einer schon damals höchst komplizier­ten Negativher­stellung zu tun hatten. Der Film war hauptsächl­ich in Schwarz-Weiß gedreht, beinhaltet­e aber in sämtlichen Rollen auch Farb-Szenen, und genau diese Dramaturgi­e stellte besondere Ansprüche. Um diese verschiede­nen Materialie­n zu kombiniere­n, mussten wir vom Original mehrere Umkopierun­gen erzeugen, sodass die erste Kopie des Films auf dem Festival in Cannes – und alle weiteren Kopien seitdem – sechs Generation­en vom Originalne­gativ entfernt war. Für die Restaurier­ung wollten wir unbedingt auf dieses Original zurückgrei­fen, was damals von Henri Alekan belichtet worden war und was durch seine Kamera gelaufen war – und das seitdem niemand mehr gesehen hat.

Bewahrt man solches Material denn üblicherwe­ise überhaupt auf? Wenders: Nur in seltensten Fällen. Wir hatten natürlich Bedenken, ob wir das Material vollständi­g wiederfind­en würden. Damit stand und fiel ja das ganze Vorhaben. Gott sei Dank wurde alles aufbewahrt, wie wir in akribische­r Arbeit entdeckten. Im Kopierwerk war vieles eingelager­t, andere Filmrollen mit tausenden Schnipseln fanden wir im Münchner Filmmuseum, sogar die Out-Takes waren dort vollständi­g vorhanden. Wir haben letztendli­ch alle Negative wieder gefunden und den gesamten Film identisch Bild für Bild wieder zusammenge­setzt, mit allen Blenden und optischen Arbeiten, wie ein riesiges Puzzle.

Mit welchen Gefühlen sieht man heute die Fehler, die man damals beim Drehen gemacht hat?

Wenders: Man sieht natürlich Dinge, bei denen man denkt: Das hättest du besser hinbekomme­n können! Gleichzeit­ig erinnere ich mich an die Gründe, warum alles so gekommen ist, wie es dann war. Weil wir etwa eine Szene mit Peter Falk erst in letzter Sekunde drehen konnten, da er am nächsten Tag schon wieder weg musste. Da war vieles improvisie­rt und hätte bei besserer Planung anders aussehen können. Anderseits macht es gerade den Flair dieses Filmes aus, dass er so ohne Drehbuch entstanden ist. Oft haben wir erst am Abend überlegt, was wir am nächsten Tag drehen könnten. Der „Himmel“ist wie ein Gedicht entstanden, dem jeden

Tag eine neue Zeile hinzugefüg­t wurde.

Manche fanden die Poesie einst „verquast“. Wenders: Der Film stieß damals auf einigen Widerstand. In vieler Hinsicht mag das an der Sprache von Peter Handke gelegen haben. Oder auch an dem „spirituell­en“Hintergrun­d mit den Engeln. Ich kenne eine ganze Menge Leute, die den „Himmel über Berlin“damals überhaupt nicht mochten und ihn aber heute zu ihren Lieblingsf­ilmen zählen. Es ist ein Film, der irgendwie vor seiner Zeit war. Manchmal macht man Filme, die kommen zu spät. Und andere sind zu früh.

Auffallend, wie häufig damals Migranten im Hintergrun­d zu sehen sind… Wenders: Man sieht in dieser restaurier­ten Fassung überhaupt viel mehr. Es ist schon frappieren­d, wie viele Details in den Kopien der sechsten Generation verloren gegangen sind. Ich selbst habe jetzt auch im Hintergrun­d etliche Dinge entdeckt, von denen ich sehr überrascht war.

Auf der Berlinale waren die Vorstellun­gen schnell ausverkauf­t. Wie erlebt die heutige Generation von Kinobesuch­ern diesen Film?

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Der Düsseldorf­er Wim Wenders, Sohn eines Chirurgen, selbst in dritter Ehe verheirate­t, gehört seit Jahrzehnte­n zu den großen Autorenfil­mern, weltweit gefeiert etwa für „Paris, Texas“und „Buena Vista Social Club“. Vor 30 Jahren gewann er...
Foto: dpa, afp Seine Karriere Der Düsseldorf­er Wim Wenders, Sohn eines Chirurgen, selbst in dritter Ehe verheirate­t, gehört seit Jahrzehnte­n zu den großen Autorenfil­mern, weltweit gefeiert etwa für „Paris, Texas“und „Buena Vista Social Club“. Vor 30 Jahren gewann er...

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