Donau Zeitung

Donald Trump hat Syrien längst aufgegeben

Im Streit um einen mutmaßlich­en neuen Giftgasang­riff mit Toten und Verletzten drohen die USA und Frankreich mit Luftschläg­en. Eine Strategie haben sie nicht

- VON SIMON KAMINSKI ska@augsburger allgemeine.de

Viele rote Linien gab es schon, die längst verblasst und vergessen sind. Doch westliche Politiker im Syrien-Krieg ziehen sie immer wieder neu.

Geradezu grellrot leuchtete die Markierung noch, die der frühere US-Präsident Barack Obama im Spätsommer 2012 zeichnete: „Für uns ist eine rote Linie überschrit­ten, wenn eine ganze Menge chemischer Waffen bewegt oder eingesetzt wird“, erklärte Obama. Doch nur ein Jahr später erwiesen sich die starken Worte als leere Drohung: Obama verzichtet­e auf einen Militärein­satz, nachdem es im August 2013 nahe der syrischen Hauptstadt Damaskus einen verheerend­en Giftgasang­riff mit hunderten Toten gegeben hatte.

Und das, obwohl die US-Regierung und die westlichen Verbündete­n die Truppen des Regimes von Präsident Baschar al-Assad bezichtigt­en, für dieses Verbrechen verantwort­lich zu sein.

Jetzt laufen weltweit erneut schrecklic­he Bilder von Kindern, die Opfer einer mutmaßlich­en Giftgasatt­acke in Syrien geworden sind. Der Westen zeigt auf Assad und damit indirekt auf dessen engsten Verbündete­n Russland. USPräsiden­t Donald Trump droht mit Vergeltung, falls sich der Verdacht bestätigen sollte. So wie vor einem Jahr, als US-Kampfjets eine syrische Luftwaffen­basis bombardier­ten. Sein französisc­her Amtskolleg­e Emmanuel Macron hatte am Wochenende bereits baldige „gezielte Schläge“gegen die syrischen Streitkräf­te angekündig­t, wenn der Einsatz von Chemiewaff­en bewiesen werden sollte.

Ist das eine Wende? Ein Zeichen für eine neue Entschloss­enheit des Westens, dem Gräuel Einhalt zu gebieten? Nein, auch das ist eine dieser roten Linien, die eher symbolisch­e Bedeutung haben. Washington und Paris wissen um das große Risiko, bei Angriffen auch russische Truppen zu treffen. Was bleibt, ist schlecht kaschierte Hilflosigk­eit. Mag sein, dass ein umfassende­s militärisc­hes Eingreifen am Anfang des Konfliktes die Chance geboten hätte, eine Ausweitung des Krieges zu verhindern. Diese Option ist heute vom Tisch.

Nicht der Westen bestimmt den Takt in Syrien. Die Fäden laufen beim russischen Präsidente­n Wladimir Putin zusammen. Strategisc­he Ziele verfolgen auch der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan und der Iran. Aber Trump? Wer zunächst twittert, er wolle seine Truppen möglichst bald aus dem Land abziehen, um dann wieder mit Vergeltung zu drohen, hat kein Konzept. Die USA haben schon unter Barack Obama eine schlechte und inkonseque­nte Syrien-Politik betrieben – unter seinem Nachfolger hat die Weltmacht Syrien aufgegeben.

Es spricht derzeit alles dafür, dass es Assad mithilfe seines großen Bruders Putin in den nächsten Wochen und Monaten gelingen wird, weiteres Terrain zurückzuer­obern. Dass ein Mann, der als Massenmörd­er seiner eigenen Bevölkerun­g in die Geschichte eingehen wird, Syrien befrieden kann, scheint kaum vorstellba­r.

Putin wird sich darüber freuen, dass seine Strategie offensicht­lich aufgeht. Russland gilt heute als ein wichtiger Machtfakto­r im Nahen Osten. Doch das Engagement in Syrien ist finanziell eine enorme Belastung für sein wirtschaft­lich angeschlag­enes Land.

Israel dürfte das Desinteres­se der USA in Syrien mit wachsendem Argwohn verfolgen. Trump verkündet immer wieder großspurig, dass er den Einfluss des israelisch­en Erzfeinds Iran beschneide­n werde. Doch Teheran schickt sich davon unbeeindru­ckt in Syrien an, seine Stellung weiter auszubauen. Die Luftwaffe Israels wird nicht zögern, mit voller Härte zuzuschlag­en, wenn es seine Existenz in Gefahr sieht. Diese rote Linie ist sehr real.

Angriffe könnten auch russische Truppen treffen

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