Donau Zeitung

Einer der letzten Rock ’n’ Roller

Joschka Fischer verdient mit 70 richtig Geld, aber bleibt auch ein politische­r Vordenker. Die Grünen wollen ihn dennoch nicht zurück – und er sie nicht

- Gregor Peter Schmitz

Wer Joschka Fischer richtig ärgern will, nennt ihn eine „grüne Raupe Nimmersatt“. Der Autor dieser Zeilen hat das mal getan, als Fischer vor einigen Jahren bei einem Hedgefonds der Ex-US-Außenminis­terin Madeleine Albright in Washington einstieg, allem Anschein nach hoch bezahlt. Fischer war, man kann es nicht schönreden, stinksauer über den Begriff. Und er beschwerte sich bitterlich über die deutsche Neidkultur, die für Politiker stets die Lohnobergr­enze vorsehe.

Um ihn nicht weiter zu reizen, verkniff man sich damals die Bemerkung, er klinge beinahe wie sein politische­r Kumpel Gerhard Schröder, den auch immer wurmte, dass er als VW-Aufsichtsr­at Gehälter durchwinke­n musste, die sein Salär als Ministerpr­äsident überstiege­n. Genau wie Schröder ließ Fischer sich von schnöder Kritik ohnehin nicht davon abhalten, bis heute viel Geld zu verdienen, als Berater für Konzerne und Vortragsre­isender.

Und doch lässt sich das Wort Nimmersatt durchaus schmeichel­haft für Fischer verwenden. Denn nimmersatt ist er auch in seinem intellektu­ellen Ringen mit der Welt an sich. Altkanzler Schröder fällt höchstens noch durch warme Worte für Wladimir Putin auf, aber Fischer schreibt beinahe im Akkord dicke Bücher, über Europa, den Westen, die ganz großen Fragen halt. Und obwohl – oder gerade weil – der einstige Obergrüne den Abschied von der politische­n Bühne sauber vollzogen hat (seit Jahren besuchte er keinen Parteitag mehr), bleibt er so politische­r Vordenker. Nimmersatt war Fischer, am Donnerstag vor 70 Jahren als Joseph Martin Fischer geboren, seine gesamte Karriere lang. Er warf erst in Frankfurt Pflasterst­eine und dann sich selbst in den politische­n Kampf. Die Turnschuhe, die er bei seiner ersten Vereidigun­g als Minister trug, werden im bundesrepu­blikanisch­en Gedächtnis bleiben, natürlich auch der Satz „Mit Verlaub, Sie sind ein Arschloch“an die Adresse des Bundestags­vizepräsid­enten – genau wie später das autoritäre Gehabe als Bundesauße­nminister, die teuren Nadelstrei­fenanzüge, die fast ausgemerge­lte Figur nach einem (Marathon-)Lauf zu sich selbst. Fischer hat nie wie Schröder am Zaun des Kanzleramt­es gerüttelt, doch an Macht- und Liebeshung­er stand er diesem kaum nach, fünf Ehen inklusive.

Man muss das nicht verklären, aber dass Fischer einer der letzten politische­n Rock ’n’ Roller war, lässt sich auch kaum bestreiten. Im Merkel-Kabinett gilt ein Heiko Maas schon als „glamourös“, weil er eine Schauspiel­erin kennt und enge Anzüge trägt. Ob Machtmensc­h Fischer im Zeitalter von #MeToo und der Debatte um den modernen Mann noch „vermittelb­ar“wäre? Die Grünen scharen sich gerade um Robert Habeck, weil der gefühlvoll denke und nicht so autoritär agiere. Im Vergleich war Fischer ein übler Macho. Allerdings waren die Grünen mit ihm auch noch an der Macht.

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