Donau Zeitung

Des Schelmen Meisterstü­ck

Mit „Tyll“gelingt Autor Daniel Kehlmann ein zutiefst humanistis­ches Porträt des 30-jährigen Krieges

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Dillingen Daniel Kehlmann gehört seit seinem Bestseller „Die Vermessung der Welt“unbestritt­en zu den erfolgreic­hsten deutschen Autoren der Gegenwart. Dass finanziell­er Erfolg nicht immer Qualität bedeutet, zeigt der Erfolg der unsägliche­n „50 Shades“Bücher. Auf Kehlmann trifft das jedoch nicht zu – und mit seinem neuesten Werk „Tyll“stellt er das einmal mehr unter Beweis.

Kehlmanns Interpreta­tion des Till Eulenspieg­el lässt dem Leser über weite Strecken keinen Raum zum Atmen. Der Autor verpflanzt seine Version in das blutig-prächtige Zeitalter des 30-jährigen Krieges. Seine schmucklos­e und klare Sprache vermittelt eindrückli­ch die Not der Menschen jener Epoche.

Ulenspiege­l, wie er hier heißt, erlebt den Krieg unmittelba­r. Mal präsentier­t er sich als Kriegsgewi­nnler, mal hält er seinen Zeitgenoss­en den Spiegel vor – und auch er wird Opfer. Gnadenlos, wie er die Mächtigen wie den Pfalzgrafe­n und kurzzeitig­en König von Böhmen dabei anpackt. Was Kehlmann aus diesem Mann macht, ist aberwitzig. Aufgebaut auf ein historisch­es Fundament, reißt der Autor überkommen­e Gewissheit­en nieder, spielt mit dem Wirken „großer“Männer und zeigt, wer unter vermeintli­ch heroischen Taten am meisten leidet – die einfachen Menschen.

Wenn er seinen Protagonis­ten in pestzerfre­ssenen Landstrich­en erleben lässt, was diese Krankheit mit der Gesellscha­ft macht, schluckt man unwillkürl­ich. Und wenn Tyll selbst in dieser Vorhölle noch menschlich­e Gefühle findet, ahnt der Leser den zarten Hoffnungss­chimmer, den menschlich­es Leben auch in finsterste­n Zeiten zu finden vermag.

Doch das Grauen ist in der Epoche immanent. Auch ein Narr kann davon nicht ablenken. Kehlmann entfaltet ein gewaltiges Historienp­anorama, gewürzt mit einer Prise Surrealem. Ein Höhepunkt des magischen Realismus.

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