Schicksalsfragen vor Gericht
Zahlreiche Geflüchtete klagen vor dem Verwaltungsgericht gegen ihren abgelehnten Asylbescheid – auch aus dem Landkreis. Doch wie läuft ein solcher Prozess eigentlich ab?
Augsburg/Landkreis Der junge Mann wirkt etwas unangepasst an diesem Ort. Verwaltungsgericht Augsburg, ein altmodischer Gerichtssaal mit grauem Stoffboden und holzvertäfelten Wänden. Vor dem Richtertisch sitzt ein 18-Jähriger mit weißen Turnschuhen, Kapuzenpulli und rot-gelber Kappe, verkehrt herum auf dem Kopf. „Die Kappe nehmen wir vielleicht noch ab“, sagt Richter Stefan Eiblmaier mit kritischem Blick, bevor er den Prozess eröffnet.
Der Geflüchtete, der im östlichen Landkreis Dillingen untergebracht ist, klagt gegen einen Asylbescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge. Ein Prozess, wie es ihn seit Jahren, seit der großen Flüchtlingswelle 2015, immer häufiger gibt. Die Verwaltungsgerichte kommen angesichts der vielen Asylverfahren kaum noch hinterher. Auch das Gericht in Augsburg, an dem immer wieder Fälle aus dem Landkreis verhandelt werden, berichtet von sprunghaft angestiegenen Prozesszahlen. Vor der Flüchtlingswelle habe es dort im Schnitt rund 500 solcher Prozesse im Jahr gegeben, teilt Sprecher Eiblmaier mit. 2017 zählte das Gericht mehr als 6300 Verfahren. „Wir spüren eine erhebliche Belastung durch Asyl-Verfah- ren“, sagt Eiblmaier. Doch wie läuft ein solcher Prozess eigentlich ab?
Im Fall des 18-Jährigen geht es um ein Abschiebungsverbot. Der Mann ist im Iran geboren und aufgewachsen, ist jedoch afghanischer Staatsangehöriger. Dorthin soll er abgeschoben werden. Mit der Klage will er das verhindern. „Sprechen Sie ein wenig deutsch, verstehen Sie mich?“, fragt Richter Eiblmaier zu Beginn. „Ja“, antwortet der Mann selbstbewusst. In der Folge muss trotzdem eine Dolmetscherin auf Persisch übersetzen. Ein Rechtsanwalt sitzt nicht an seiner Seite, dafür habe er kein Geld, sagt der Geflüchtete. Er holt ein aktuelles ärztliches Attest aus seinem Rucksack. Das bescheinigt ihm psychische Probleme. Einbrecher seien in sein Zuhause im Iran eingebrochen und hätten seinen Vater getötet. Er müsse viele Medikamente nehmen, könne nachts nicht schlafen, habe Selbstmordgedanken. Eiblmaier stellt Fragen zu seiner Herkunft und seiner Familie. Der Kläger berichtet: Seine Eltern stammen ursprünglich aus Kabul, dort gebe es nur noch einen Onkel, zu dem er keinen Kontakt hat. Dann sagt er: „Ich bin vergewaltigt worden, hier in Deutschland.“Das sei vor acht Monaten gewesen, er nennt den Namen eines Afghanen. Gegen ihn habe er Anzeige erstattet. „Haben Sie sonst noch etwas zu Ihrem Asylantrag zu ergänzen?“, fragt der Richter. Die Zeit drängt, der eng getaktete Prozessplan lässt das Urteilen über Menschenschicksale zur Akkordarbeit werden. Nach 45 Minuten der Beschluss: Die Entscheidung wird vertagt. Der Richter wolle das ärztliche Attest in Ruhe studieren.
Der Kläger im nächsten Fall erscheint nicht, Eiblmaier hat Zeit, aus seinem Alltag zu erzählen. Immer wieder habe er es mit gefälschten Urkunden zu tun, aber auch mit echten, die unwahren Inhalt haben. Danach könne man oft nicht gehen. Wichtiger sei die Glaubwürdigkeit. Vor allem, weil vor Gericht viele eine ähnliche Geschichte erzählen, die nicht überprüfbar ist. „Eine Bedrohung durch die Taliban ist der Klassiker“, sagt er. „Ich kann die Taliban aber nicht als Zeuge laden.“
Nebenan der nächste Prozess, das nächste Schicksal. An der Reihe ist ein 34-Jähriger aus dem westlichen Landkreis – gegelte Haare, Ohrring, hellblaues Hemd. Er sei in seiner Heimat in Pakistan wegen seines schiitischen Glaubens bedroht worden und habe Angst, dorthin zurückzukehren. Richter Richard Wiedemann klopft die Aussagen auf ihre Glaubwürdigkeit ab. Es kommt raus: Der Mann hat bei seiner Einreise nach Deutschland falsche Angaben gemacht. Und auch die Frage, wie genau er bedroht wurde, kann er nicht wirklich beantworten. Sein Rechtsanwalt, Hubert Probst aus Dillingen, will retten, was zu retten ist. Sein Mandant sei gut integriert und bei einem großen Unternehmen in der Region angestellt. Er zeigt Zertifikate über erfolgreiche Deutschkurse. Es bringt nichts. Die Klage wird abgewiesen. „Das Gericht hat starke Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Angaben“, sagt Wiedemann.
Falls der Geflüchtete nicht in Berufung geht, ist er theoretisch ausreisepflichtig. Dass jemand in der Folge abgeschoben wird, kommt jedoch relativ selten vor. Zumal abgelehnte Asylbewerber oft einen sogenannten Folgeantrag stellen. Dann wird das Verfahren unter neuen Aspekten aufgerollt. Während der Wartezeit bis Prozessbeginn gelten die Betroffenen als geduldet. Aufgrund der Flut an Verfahren kann das schon mal ein knappes Jahr dauern, berichtet Eiblmaier.
Georg Schrenk, Vorsitzender der Unterstützergruppe Asyl/Migration Dillingen, betont, dass die Wartezeit belastet – vor allem, wenn eine Beschäftigungserlaubnis fehlt. „Ohne Anerkennung ist es sehr schwierig, ein normales Leben zu führen“, sagt er. Seine Beobachtung: Fast alle, die abgelehnt werden, klagen. » Diese Woche