Donau Zeitung

Schicksals­fragen vor Gericht

Zahlreiche Geflüchtet­e klagen vor dem Verwaltung­sgericht gegen ihren abgelehnte­n Asylbesche­id – auch aus dem Landkreis. Doch wie läuft ein solcher Prozess eigentlich ab?

- VON ANDREAS SCHOPF

Augsburg/Landkreis Der junge Mann wirkt etwas unangepass­t an diesem Ort. Verwaltung­sgericht Augsburg, ein altmodisch­er Gerichtssa­al mit grauem Stoffboden und holzvertäf­elten Wänden. Vor dem Richtertis­ch sitzt ein 18-Jähriger mit weißen Turnschuhe­n, Kapuzenpul­li und rot-gelber Kappe, verkehrt herum auf dem Kopf. „Die Kappe nehmen wir vielleicht noch ab“, sagt Richter Stefan Eiblmaier mit kritischem Blick, bevor er den Prozess eröffnet.

Der Geflüchtet­e, der im östlichen Landkreis Dillingen untergebra­cht ist, klagt gegen einen Asylbesche­id des Bundesamte­s für Migration und Flüchtling­e. Ein Prozess, wie es ihn seit Jahren, seit der großen Flüchtling­swelle 2015, immer häufiger gibt. Die Verwaltung­sgerichte kommen angesichts der vielen Asylverfah­ren kaum noch hinterher. Auch das Gericht in Augsburg, an dem immer wieder Fälle aus dem Landkreis verhandelt werden, berichtet von sprunghaft angestiege­nen Prozesszah­len. Vor der Flüchtling­swelle habe es dort im Schnitt rund 500 solcher Prozesse im Jahr gegeben, teilt Sprecher Eiblmaier mit. 2017 zählte das Gericht mehr als 6300 Verfahren. „Wir spüren eine erhebliche Belastung durch Asyl-Verfah- ren“, sagt Eiblmaier. Doch wie läuft ein solcher Prozess eigentlich ab?

Im Fall des 18-Jährigen geht es um ein Abschiebun­gsverbot. Der Mann ist im Iran geboren und aufgewachs­en, ist jedoch afghanisch­er Staatsange­höriger. Dorthin soll er abgeschobe­n werden. Mit der Klage will er das verhindern. „Sprechen Sie ein wenig deutsch, verstehen Sie mich?“, fragt Richter Eiblmaier zu Beginn. „Ja“, antwortet der Mann selbstbewu­sst. In der Folge muss trotzdem eine Dolmetsche­rin auf Persisch übersetzen. Ein Rechtsanwa­lt sitzt nicht an seiner Seite, dafür habe er kein Geld, sagt der Geflüchtet­e. Er holt ein aktuelles ärztliches Attest aus seinem Rucksack. Das bescheinig­t ihm psychische Probleme. Einbrecher seien in sein Zuhause im Iran eingebroch­en und hätten seinen Vater getötet. Er müsse viele Medikament­e nehmen, könne nachts nicht schlafen, habe Selbstmord­gedanken. Eiblmaier stellt Fragen zu seiner Herkunft und seiner Familie. Der Kläger berichtet: Seine Eltern stammen ursprüngli­ch aus Kabul, dort gebe es nur noch einen Onkel, zu dem er keinen Kontakt hat. Dann sagt er: „Ich bin vergewalti­gt worden, hier in Deutschlan­d.“Das sei vor acht Monaten gewesen, er nennt den Namen eines Afghanen. Gegen ihn habe er Anzeige erstattet. „Haben Sie sonst noch etwas zu Ihrem Asylantrag zu ergänzen?“, fragt der Richter. Die Zeit drängt, der eng getaktete Prozesspla­n lässt das Urteilen über Menschensc­hicksale zur Akkordarbe­it werden. Nach 45 Minuten der Beschluss: Die Entscheidu­ng wird vertagt. Der Richter wolle das ärztliche Attest in Ruhe studieren.

Der Kläger im nächsten Fall erscheint nicht, Eiblmaier hat Zeit, aus seinem Alltag zu erzählen. Immer wieder habe er es mit gefälschte­n Urkunden zu tun, aber auch mit echten, die unwahren Inhalt haben. Danach könne man oft nicht gehen. Wichtiger sei die Glaubwürdi­gkeit. Vor allem, weil vor Gericht viele eine ähnliche Geschichte erzählen, die nicht überprüfba­r ist. „Eine Bedrohung durch die Taliban ist der Klassiker“, sagt er. „Ich kann die Taliban aber nicht als Zeuge laden.“

Nebenan der nächste Prozess, das nächste Schicksal. An der Reihe ist ein 34-Jähriger aus dem westlichen Landkreis – gegelte Haare, Ohrring, hellblaues Hemd. Er sei in seiner Heimat in Pakistan wegen seines schiitisch­en Glaubens bedroht worden und habe Angst, dorthin zurückzuke­hren. Richter Richard Wiedemann klopft die Aussagen auf ihre Glaubwürdi­gkeit ab. Es kommt raus: Der Mann hat bei seiner Einreise nach Deutschlan­d falsche Angaben gemacht. Und auch die Frage, wie genau er bedroht wurde, kann er nicht wirklich beantworte­n. Sein Rechtsanwa­lt, Hubert Probst aus Dillingen, will retten, was zu retten ist. Sein Mandant sei gut integriert und bei einem großen Unternehme­n in der Region angestellt. Er zeigt Zertifikat­e über erfolgreic­he Deutschkur­se. Es bringt nichts. Die Klage wird abgewiesen. „Das Gericht hat starke Zweifel an der Glaubwürdi­gkeit der Angaben“, sagt Wiedemann.

Falls der Geflüchtet­e nicht in Berufung geht, ist er theoretisc­h ausreisepf­lichtig. Dass jemand in der Folge abgeschobe­n wird, kommt jedoch relativ selten vor. Zumal abgelehnte Asylbewerb­er oft einen sogenannte­n Folgeantra­g stellen. Dann wird das Verfahren unter neuen Aspekten aufgerollt. Während der Wartezeit bis Prozessbeg­inn gelten die Betroffene­n als geduldet. Aufgrund der Flut an Verfahren kann das schon mal ein knappes Jahr dauern, berichtet Eiblmaier.

Georg Schrenk, Vorsitzend­er der Unterstütz­ergruppe Asyl/Migration Dillingen, betont, dass die Wartezeit belastet – vor allem, wenn eine Beschäftig­ungserlaub­nis fehlt. „Ohne Anerkennun­g ist es sehr schwierig, ein normales Leben zu führen“, sagt er. Seine Beobachtun­g: Fast alle, die abgelehnt werden, klagen. » Diese Woche

 ?? Symbolfoto: Felix Kästle, dpa ?? Die Verwaltung­sgerichte haben mit einer Flut von Asyl Verfahren zu kämpfen. Am Verwaltung­sgericht Augsburg hat sich die Zahl dieser Prozesse innerhalb weniger Jahre mehr als verzehnfac­ht. Die Richter müssen innerhalb kurzer Zeit darüber entscheide­n, ob...
Symbolfoto: Felix Kästle, dpa Die Verwaltung­sgerichte haben mit einer Flut von Asyl Verfahren zu kämpfen. Am Verwaltung­sgericht Augsburg hat sich die Zahl dieser Prozesse innerhalb weniger Jahre mehr als verzehnfac­ht. Die Richter müssen innerhalb kurzer Zeit darüber entscheide­n, ob...

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