Das Alcatraz der Viren
Auf der kleinen Ostseeinsel Riems forschen Wissenschaftler unter schärfsten Sicherheitsbedingungen an bedrohlichen Krankheitserregern
Noch einmal kurz die Lungen auf dem schmalen Damm zur Insel Riems mit frischer Ostseeluft füllen. Dann taucht Professor Timm Harder nach Einlasskontrollen und Sicherheitsschleusen in die hermetisch abgeriegelte Welt der Virenforschung ein. Sein Arbeitsplatz im Friedrich-Loeffler-Institut (FLI) liegt auf dem bestgesicherten Laborgelände Europas. Auf der nur 1300 Meter langen und 300 Meter breiten Insel wird mit hochgefährlichen Erregern gearbeitet, die unter keinen Umständen in die Außenwelt gelangen dürfen.
Morgens muss Timm Harder beim Betreten des Gebäudes seine Kleidung komplett wechseln. In sein Labor darf er nur mit weiteren Schutzkitteln, Luftfilterhaube und zwei Paar Handschuhen. Die Routine am Abend ist noch aufwendiger: Niemand verlässt ungeduscht ein Labor oder einen der Tierställe, in denen mit hochpathogenen Viren gearbeitet wird. Dafür sorgen Duschschleusen, in denen das Wasser automatisch startet, sobald sich die Tür schließt. Einseifen und Haarewaschen sind obligatorisch. „Ich dusche an manchen Tagen acht Mal“, erzählt Harders Kollegin Dr. Sandra Blome. Die Wissenschaftlerin ist auf Riems dem Virus der Afrikanischen Schweinepest auf der Spur. Timm Harder erforscht die Erreger der aviären Influenza, auch Vogelgrippe genannt. Da manche dieser Erreger auf den Menschen übertragbar sind, muss der Veterinärmediziner vor dem Gang zu den infizierten Tieren in den FLI-Ställen einen Überdruckvollschutzanzug mit Atemluftfilterung anlegen. Kinogänger kennen so etwas aus Science-Fiction-Filmen, in denen tödliche Krankheitserreger die Menschheit bedrohen.
Im Kampf gegen Viren ist Zeit entscheidend. „Das Ziel jeder Seuchenbekämpfung ist es, den Ersteintrag eines Erregers möglichst früh zu erkennen und einen Sekundärausbruch zu verhindern“, erklärt Timm Harder. Der große Durchbruch in der Diagnostik der Vogelgrippe gelang der internationalen Forschergemeinschaft 2006. Zuvor, so der Veterinärmediziner, habe es bis zu drei Wochen gedauert, um deren Erreger nachzuweisen. Heute sei dies innerhalb eines Arbeitstags möglich.
Grippeviren sind vielköpfige Ungeheuer, geschickt agierend, schwer besiegbar. „Sie weichen Impfimmunitäten aus und bilden neue Varianten“, sagt Harder. Ein Virus mit niedrigpathogener Wirkung kann spontan zu einem deutlich gefährlicheren Erreger mutieren. Deshalb, so der Seuchenforscher, sei es wichtig, auch die vermeintlich schwächere Variante auf dem Schirm zu haErreger ben. Die Vogelgrippe etwa: Vermutlich hat sich das Hausgeflügel in Asien zunächst bei Wildvögeln angesteckt. Sie tragen die ungefährlicheren niedrigpathogenen Viren seit tausenden Jahren in sich. Erst im Hausgeflügel mutierte der Erreger zu der krank machenden Variante und verbreitete sich in Asien. Rückübertragungen auf Wildvögel verliehen dem pathogenen Erreger dann Flügel. So seien sie mit dem Vogelzug auf andere Kontinente gekommen, erklärt Timm Harder.
Der Erreger der Afrikanischen Schweinepest, an dem Sandra Blome forscht, verfügt im Vergleich mit jenen der Geflügelgrippe über zwei Vorteile: Er ist ungefährlich für den Menschen, zudem wird er von Tieren am Boden übertragen und breitet sich langsamer aus. Zwar wird der in erster Linie über Wildschweine übertragen, er ist aber auch für Hausschweine meist tödlich.
Für die deutschen Schweinemastbetriebe, in denen 27 Millionen Hausschweine gezüchtet werden, wäre ein Ausbruch eine Katastrophe. Wenn er im Stall nachgewiesen wird, muss der gesamte Bestand getötet werden. Außerdem würde der Schweinehandel sofort eingeschränkt. Selbst wenn die Afrikanische Schweinepest nur beim Wildschwein auftritt, unterliegen die Hausschweine in den betroffenen Regionen Restriktionen. Das Wildschwein ist ein wichtiges Reservoir für das Virus, doch eine ebenso große Gefahr bilden unachtsame Menschen. „Viele Landwirte sind auch Jäger. Sie können Blut eines erlegten Wildschweins an den Schuhen in den heimischen Schweinestall einschleppen“, erzählt Blome. Oder LkwFahrer verzehren auf ihrem Weg von Ost- nach Mittel- und Westeuropa mitgebrachte Lebensmittel aus infizierten Tieren. An Rastplätzen entsorgen sie die Reste, über die sich später Wildschweine hermachen.
Daher sind Wissenschaftler bei der Eindämmung der Seuche auf Jäger angewiesen. Sie sollen den Fund verendeter Wildschweine melden und idealerweise gezielt nach ihnen suchen. Denn wenn die Seuche früh genug entdeckt wird, kann man sie durch die fachgerechte Entsorgung der betroffenen Tiere, durch Sperrbezirke und Pufferzonen möglicherweise im Zaum halten. Da Deutschland jedoch eine der höchsten Wildschweindichten der Welt besitzt, ist nach Ansicht des FLI auch eine verstärkte Jagd sinnvoll. So könne man sich in eine bessere Ausgangsposition bringen, falls das Virus nach Deutschland gelangen sollte.
Noch ist es im Gegensatz zur Klassischen Schweinepest nicht gelungen, einen Impfstoff gegen die Afrikanische Schweinepest zu entwickeln. In einem FLI-internen Forschungsverbund arbeiten die Wissenschaftler mit Hochdruck daran. Warum infizieren sich einige Schweine und andere nicht? Wie verbreitet sich der Erreger, wie macht er das Tier krank und welche Immunreaktionen entwickeln die Schweine? „Wir stehen noch ziemlich am Anfang in diesen Fragen“, räumt Sandra Blome ein. Ein zusätzliches Problem: Der Virus der Afrikanischen Schweinepest ist ein komplexer Erreger, der vielfältige Mechanismen entwickelt hat. So greift er genau die Zellen an, die ihn eigentlich bekämpfen sollen. „Bis wir einen Impfstoff finden, werden deshalb vermutlich noch bis zu zehn Jahre vergehen“, sagt Blome.