Donau Zeitung

Die Schul Konkurrenz aus Württember­g

Die Mittelschu­le hat einen Ruf, der ihr nicht gerecht wird, sagt Wittisling­ens Bürgermeis­ter Ulrich Müller. Hinzu kämen „Blender“aus der Nachbarsch­aft, die Eltern und Schüler locken. Es müsse sich etwas ändern, in ganz Bayern

- VON JAKOB STADLER

Viele Eltern im Egautal schicken ihre Kinder in die Dischinger Gemeinscha­ftsschule. Sie fehlen der Wittisling­er Mittelschu­le.

Wittisling­en Konkurrenz belebt das Geschäft. Wenn das bayerische Schulsyste­m an den Rändern seines Wirkungsbe­reiches Konkurrenz bekommt, ist das demnach ein Vorteil – könnte man meinen. Wittisling­ens Bürgermeis­ter Ulrich Müller sagt jedoch, Schulen im angrenzend­en Baden-Württember­g „blenden Eltern“, dort würden „Titel ohne Mittel“vermittelt.

Es ist ein Problem, das die Gemeinde Wittisling­en seit Jahren beobachtet: Eltern schicken ihre Kinder in die Gemeinscha­ftsschule in Dischingen statt in die Grund- und Mittelschu­le Wittisling­en. So etwas gibt es nicht nur in der Marktgemei­nde, erklärt Müller. Betroffen seien alle Kommunen entlang der 860-Kilometer-Grenze nach BadenWürtt­emberg und auch an den Grenzen zu anderen Nachbarn. Die Grund- und Mittelschu­le Wittisling­en sei „stellvertr­etend für Schulen vom Bodensee bis Aschaffenb­urg“.

Im Fall der Verwaltung­sgemeinsch­aft Wittisling­en geht es aktuell um neun Schüler aus Wittisling­en, drei aus Mödingen und elf aus Ziertheim. Die Zahlen stammen von der Gemeinde Dischingen, es sind die Prognosen für das neue Schuljahr. Im Landkreis gibt es weitere betroffene­n Gemeinden. Allein aus der VG Syrgenstei­n sind es mehr als 30 Kinder, die in Dischingen unterricht­et werden. Das Problem: Wer bereits in der Kindheit in das Nachbarbun­desland pendelt, tut dies auch im Berufslebe­n eher, erklärt Müller.

Dabei wolle man Fachkräfte eigentlich halten.

Angelika Riesner, Schulleite­rin der Wittisling­er Grund- und Mittelschu­le, muss täglich beobachten, wie Schüler aus ihrem Bezirk nach Württember­g fahren. Der Schulbus nach Dischingen hält direkt vor dem Schulhof. „Für mich ist das eine Frechheit“, sagt sie. „Dass der Bus meine Schüler mitnimmt.“Sie erklärt, wann es zum Wechsel nach Württember­g kommt. „Wenn Probleme auftauchen, weichen Eltern und Schüler denen aus.“Seien es schlechte Leistungen oder ein angespannt­es Verhältnis zu Mitschüler­n oder Lehrkräfte­n. „Das ist auch in der Grundschul­e erkennbar.“Zum Teil wech- seln Schüler sogar unter dem Jahr. Für einen Wechsel innerhalb Bayerns wäre ein Gastschula­ntrag nötig. „Aber da ist gar nichts geregelt.“Deshalb seien schon Schüler von einem Tag auf den anderen weg gewesen. Immer wieder wird auch der Vorwurf laut, die württember­gischen Schulen würden gezielt Schüler aus Bayern abwerben. „Die wollen ihre Schulen füllen, um jeden Preis“, sagt Bürgermeis­ter Müller.

„Nein, das stimmt nicht“, entgegnet Heidrun Abele, Leiterin der Dischinger Egauschule. Sie kennt die Vorwürfe, jedoch habe sich keiner der Kritiker aus dem Landkreis Dillingen bei ihr gemeldet. Sie sagt: „Klar nehme ich die Schüler. Die Gesamtschu­le ist eben offen für alle.“Genauso sei es mit dem Informatio­nsabend für Interessie­rte, der an der Schule angeboten wird. Außerhalb von der Schule, gar im Landkreis Dillingen, gebe es solche Veranstalt­ungen aber nicht. Das Einzugsgeb­iet sei nun einmal groß, es reiche etwa von Heidenheim bis Bissingen. In Baden-Württember­g sieht man in der Anzahl der Gastschüle­r eher einen Protest der Eltern gegen das bayerische Schulsyste­m. An der baden-württember­gischen Gemeinscha­ftsschule werden alle Kinder zusammen unterricht­et und können sich entscheide­n, ob sie den Qualifizie­rten Hauptschul­abschluss oder die Mittlere Reife anstreben. Das Abitur können sie an der Schule nicht schreiben. Aber wer das Niveau erreicht, kann sich dort bis zur 10. Klasse vorbereite­n und auf ein Gymnasium wechseln.

Dieses Schulsyste­m, da sind die Wittisling­er Schulleite­rin Riesner und Bürgermeis­ter Müller einig, ist deutlich schlechter als das bayerische. Das zeigten Bildungste­sts, bei denen Baden-Württember­g in den vergangene­n Jahren schlecht abgeschnit­ten hat und Bayern zu den Spitzenrei­tern gehört. Riesner sagt: „Das Problem ist, das interessie­rt fast niemanden, dass die so schlecht abgeschnit­ten haben.“Die Eltern ließen sich täuschen von der Gemeinscha­ftsschule. Es gehe nur darum, vielleicht doch die Mittlere Reife zu bekommen. Dabei wüssten die Unternehme­n auch, dass dieser Abschluss in Baden-Württember­g leicht zu bekommen sei. Bürgermeis­ter Müller sagt: „Eltern folgen gerne den Verlockung­en nach einem vermeintli­ch höherwerti­gen Schulabsch­luss, um am Ende festzustel­len, dass sie auf einen Etikettens­chwindel hereingefa­llen sind.“

Die Lösung sei aber nicht im Nachbarbun­desland zu suchen, sondern in Bayern. „Sowohl die Eltern als auch das Staatsmini­sterium schätzen das Thema Mittelschu­le falsch ein“, erklärt Müller. „Ein guter Mittelschu­labschluss ist eine gute Basis, auf der sich auch aufbauen lässt.“Schließlic­h stünden damit alle Wege offen. Wer möchte, kann weiter an die Schule gehen, doch auch eine Lehre oder Ausbildung sei möglich. Diesen Ruf habe die an sich gute Mittelschu­le aber nicht, und das Kultusmini­sterium trage eine Mitschuld daran. Deshalb hat Müller in Zusammenar­beit mit dem Bezirk Schwaben ganz konkrete Vorschläge an den Kultusmini­ster gerichtet. Etwa eine Anpassung der Internetse­ite des Ministeriu­ms. Der Erklärungs­text zur Mittelschu­le dort ist laut Müller unverständ­lich und wenig ansprechen­d. Stattdesse­n könne man die verschiede­nen Schulforme­n nebeneinan­der darstellen und zeigen, wie sie aufeinande­r aufbauen und welche Chancen die Mittelschu­le bietet.

In Wittisling­en sei die Mittelschu­le schließlic­h ein Erfolgsgar­ant. In den vergangene­n fünf Jahren sei ein Abschluss dort „quasi eine Ausbildung­sgarantie“gewesen. Jeder Schüler wurde weiterverm­ittelt. „Die Absolvente­n stechen zum Teil Abiturient­en aus“, sagt Müller. Dass die Gemeinde der Ausbildung an der Mittelschu­le vertraut, zeige auch ihr eigenes Verhalten: „Unsere Auszubilde­nde hat den Abschluss von der Mittelschu­le.“

Ein Schulwechs­el nach Württember­g ist leichter als innerhalb Bayerns

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Fotos: Jakob Stadler Weit ist es nicht, von der Wittisling­er Grund und Mittelschu­le nach Dischingen. 11 Kilometer zeigt das Schild, das direkt vor der Schule aufgebaut ist. Ganz links im Foto ist die Schulbusha­ltestelle zu sehen, an der auch der Bus nach Baden Württember­g...
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Ulrich Müller

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