Die Schul Konkurrenz aus Württemberg
Die Mittelschule hat einen Ruf, der ihr nicht gerecht wird, sagt Wittislingens Bürgermeister Ulrich Müller. Hinzu kämen „Blender“aus der Nachbarschaft, die Eltern und Schüler locken. Es müsse sich etwas ändern, in ganz Bayern
Viele Eltern im Egautal schicken ihre Kinder in die Dischinger Gemeinschaftsschule. Sie fehlen der Wittislinger Mittelschule.
Wittislingen Konkurrenz belebt das Geschäft. Wenn das bayerische Schulsystem an den Rändern seines Wirkungsbereiches Konkurrenz bekommt, ist das demnach ein Vorteil – könnte man meinen. Wittislingens Bürgermeister Ulrich Müller sagt jedoch, Schulen im angrenzenden Baden-Württemberg „blenden Eltern“, dort würden „Titel ohne Mittel“vermittelt.
Es ist ein Problem, das die Gemeinde Wittislingen seit Jahren beobachtet: Eltern schicken ihre Kinder in die Gemeinschaftsschule in Dischingen statt in die Grund- und Mittelschule Wittislingen. So etwas gibt es nicht nur in der Marktgemeinde, erklärt Müller. Betroffen seien alle Kommunen entlang der 860-Kilometer-Grenze nach BadenWürttemberg und auch an den Grenzen zu anderen Nachbarn. Die Grund- und Mittelschule Wittislingen sei „stellvertretend für Schulen vom Bodensee bis Aschaffenburg“.
Im Fall der Verwaltungsgemeinschaft Wittislingen geht es aktuell um neun Schüler aus Wittislingen, drei aus Mödingen und elf aus Ziertheim. Die Zahlen stammen von der Gemeinde Dischingen, es sind die Prognosen für das neue Schuljahr. Im Landkreis gibt es weitere betroffenen Gemeinden. Allein aus der VG Syrgenstein sind es mehr als 30 Kinder, die in Dischingen unterrichtet werden. Das Problem: Wer bereits in der Kindheit in das Nachbarbundesland pendelt, tut dies auch im Berufsleben eher, erklärt Müller.
Dabei wolle man Fachkräfte eigentlich halten.
Angelika Riesner, Schulleiterin der Wittislinger Grund- und Mittelschule, muss täglich beobachten, wie Schüler aus ihrem Bezirk nach Württemberg fahren. Der Schulbus nach Dischingen hält direkt vor dem Schulhof. „Für mich ist das eine Frechheit“, sagt sie. „Dass der Bus meine Schüler mitnimmt.“Sie erklärt, wann es zum Wechsel nach Württemberg kommt. „Wenn Probleme auftauchen, weichen Eltern und Schüler denen aus.“Seien es schlechte Leistungen oder ein angespanntes Verhältnis zu Mitschülern oder Lehrkräften. „Das ist auch in der Grundschule erkennbar.“Zum Teil wech- seln Schüler sogar unter dem Jahr. Für einen Wechsel innerhalb Bayerns wäre ein Gastschulantrag nötig. „Aber da ist gar nichts geregelt.“Deshalb seien schon Schüler von einem Tag auf den anderen weg gewesen. Immer wieder wird auch der Vorwurf laut, die württembergischen Schulen würden gezielt Schüler aus Bayern abwerben. „Die wollen ihre Schulen füllen, um jeden Preis“, sagt Bürgermeister Müller.
„Nein, das stimmt nicht“, entgegnet Heidrun Abele, Leiterin der Dischinger Egauschule. Sie kennt die Vorwürfe, jedoch habe sich keiner der Kritiker aus dem Landkreis Dillingen bei ihr gemeldet. Sie sagt: „Klar nehme ich die Schüler. Die Gesamtschule ist eben offen für alle.“Genauso sei es mit dem Informationsabend für Interessierte, der an der Schule angeboten wird. Außerhalb von der Schule, gar im Landkreis Dillingen, gebe es solche Veranstaltungen aber nicht. Das Einzugsgebiet sei nun einmal groß, es reiche etwa von Heidenheim bis Bissingen. In Baden-Württemberg sieht man in der Anzahl der Gastschüler eher einen Protest der Eltern gegen das bayerische Schulsystem. An der baden-württembergischen Gemeinschaftsschule werden alle Kinder zusammen unterrichtet und können sich entscheiden, ob sie den Qualifizierten Hauptschulabschluss oder die Mittlere Reife anstreben. Das Abitur können sie an der Schule nicht schreiben. Aber wer das Niveau erreicht, kann sich dort bis zur 10. Klasse vorbereiten und auf ein Gymnasium wechseln.
Dieses Schulsystem, da sind die Wittislinger Schulleiterin Riesner und Bürgermeister Müller einig, ist deutlich schlechter als das bayerische. Das zeigten Bildungstests, bei denen Baden-Württemberg in den vergangenen Jahren schlecht abgeschnitten hat und Bayern zu den Spitzenreitern gehört. Riesner sagt: „Das Problem ist, das interessiert fast niemanden, dass die so schlecht abgeschnitten haben.“Die Eltern ließen sich täuschen von der Gemeinschaftsschule. Es gehe nur darum, vielleicht doch die Mittlere Reife zu bekommen. Dabei wüssten die Unternehmen auch, dass dieser Abschluss in Baden-Württemberg leicht zu bekommen sei. Bürgermeister Müller sagt: „Eltern folgen gerne den Verlockungen nach einem vermeintlich höherwertigen Schulabschluss, um am Ende festzustellen, dass sie auf einen Etikettenschwindel hereingefallen sind.“
Die Lösung sei aber nicht im Nachbarbundesland zu suchen, sondern in Bayern. „Sowohl die Eltern als auch das Staatsministerium schätzen das Thema Mittelschule falsch ein“, erklärt Müller. „Ein guter Mittelschulabschluss ist eine gute Basis, auf der sich auch aufbauen lässt.“Schließlich stünden damit alle Wege offen. Wer möchte, kann weiter an die Schule gehen, doch auch eine Lehre oder Ausbildung sei möglich. Diesen Ruf habe die an sich gute Mittelschule aber nicht, und das Kultusministerium trage eine Mitschuld daran. Deshalb hat Müller in Zusammenarbeit mit dem Bezirk Schwaben ganz konkrete Vorschläge an den Kultusminister gerichtet. Etwa eine Anpassung der Internetseite des Ministeriums. Der Erklärungstext zur Mittelschule dort ist laut Müller unverständlich und wenig ansprechend. Stattdessen könne man die verschiedenen Schulformen nebeneinander darstellen und zeigen, wie sie aufeinander aufbauen und welche Chancen die Mittelschule bietet.
In Wittislingen sei die Mittelschule schließlich ein Erfolgsgarant. In den vergangenen fünf Jahren sei ein Abschluss dort „quasi eine Ausbildungsgarantie“gewesen. Jeder Schüler wurde weitervermittelt. „Die Absolventen stechen zum Teil Abiturienten aus“, sagt Müller. Dass die Gemeinde der Ausbildung an der Mittelschule vertraut, zeige auch ihr eigenes Verhalten: „Unsere Auszubildende hat den Abschluss von der Mittelschule.“
Ein Schulwechsel nach Württemberg ist leichter als innerhalb Bayerns