Die Welt vor meinem Fenster
Zugreise Eine Fahrt mit dem luxuriösen Eastern & Oriental ist wie eine Zeitreise in die 20er Jahre. Draußen ziehen Reisfelder und Megacitys vorbei und doch bleibt der Zug das Ziel. In drei Tagen von Singapur nach Bangkok
Mit dem Fahrrad durch hellgrüne Reisfelder
Die wahren Gegensätze werden sich erst im Lauf der Reise zeigen. Für den Anfang aber fühlt sich dieser Luxus normal an. Den vergangenen Abend haben wir in Singapur verbracht – in einem Hotel, in dem die Blumenbouquets so groß sind wie zu Hause im Garten der alte Hibiskus-Busch. Das Fullerton, ein Haus mit Geschichte, war einst Sitz der Hauptpost und ist nun vor allem eines: imposant. Fünf Restaurants, ein mehrere Stockwerke hohes Atrium, dorische Säulen, Kassettendecke, das kleinste Zimmer 35 Quadratmeter.
Und dann, einen Tag später, dieser Zug. Maximale Verkleinerung. Doch Luxus, das lernen Reisende an Bord schnell, bedarf nicht räumlicher Weite.
Der Zug steht schon bereit, als wir an der vor Singapur-Sauberkeit strotzenden Woodland Railway Station ankommen. Die Waggons grün-creme, die Griffe an den Einstiegen goldfarben, die Stewards vor den Türen in Livree, mit weißen Handschuhen und mit gewinnendem Lächeln. Für drei Tage werden sie den Passagieren nahezu jeden Wunsch von den Augen ablesen. Für drei Tage sind diese Passagiere nicht normale Reisende – wer einsteigt, begibt sich gewissermaßen auf eine Zeitreise in die 20er Jahre. Der Zug ist in diesem Fall das Ziel.
Denn dieser ist kein normaler Zug, wie er ansonsten in Asien verkehrt. König der Züge, Zug der Könige nannte man den original Orient-Express, der ab Ende des 19. Jahrhunderts Paris und Konstantinopel, das heutige Istanbul, verband. Der Erste Weltkrieg bedeutete sein vorläufiges Ende, der Zweite sein endgültiges. Sein Ruhm aber lebte weiter, und so gewann fast ein Jahrhundert später die Idee Gestalt, wenn schon nicht die Route, so doch diese komfortable Art des Reisens wieder aufzunehmen. Im September 1993 verkehrte der „E &O“zum ersten Mal zwischen Singapur und Bangkok. Doch seine Geschichte reicht weiter zurück. 1972 in Japan gebaut, fuhr er fast 20 Jahre lang als „Silver Star“durch Neuseeland. 1991 wurde er zum „Eastern&Oriental Express“umgebaut. Seither ist er ein klimatisierter Mikrokosmos auf Schienen, der sich seinen Weg von einer Megastadt zur anderen vorbei an Wellblech-Dörfern durch Dschungel und Bambuswälder bahnt.
Doch all dies tritt beim Einsteigen zunächst in den Hintergrund. In den Gängen herrscht jetzt mehrsprachige Aufgeregtheit; keiner weiß so recht, wohin. Auf der Suche nach dem richtigen Abteil schieben Passagiere sich mit Koffern durch schmale Gänge. Doch ganz offenkundig gibt es hier nicht nur Grünschnäbel. Die Kenner haben ihr großes Gepäck beim Schaffner abgegeben und flanieren nun ohne anzuecken mit Handköfferchen ins „Zimmer“. Die anderen ziehen, zerren, bangen: Wird dieses Monster aus Schnallen und Reißverschlüssen im Abteil Platz haben?
Sorgen, die sich bald zerstreuen. Die Kabinen sind Raumwunder: Betten, Tisch, Kleiderschrank, ein kleines Bad mit Dusche und WC – alles passt in- und übereinander. Wer zum ersten Mal auf Schienen reist, kommt in Versuchung: Was passiert, wenn man hier zieht, da drückt, dort kippt? Kaum probiert, klopft es an die Türe: „Madam, do you need help?“Oh, das war also der Rufknopf für den Steward. Macht nichts, sagt der, weil er ohnehin gerade nach den Wünschen für den Nachmittagstee fragen wollte: Schwarz, grün, doch lieber Kaffee – und den Kuchen? Mit oder ohne Sahne?
Die Wahl ist noch nicht getroffen, da setzt sich der Zug in Bewegung. 17 Waggons, drei Restaurant-, ein
und ein Salonwagen samt Boutique und Bücherei zuckeln los nach Bangkok. Die 2030 Kilometer bis dorthin legt der Zug mit beobachterfreundlichen 60 Stundenkilometern zurück. Wer jetzt aus dem Fenster sieht, spürt, was dieser hochmoderne und streng organisierte Stadtstaat einst war: Regenwald. Jeder Zentimeter wurde ihm abgetrotzt.
Auch im Abteil geht es jetzt um Zentimeter. Der Steward hat das Tablett mit Tee und Pâtisserie auf ein Hockerchen vor das Sofa gestellt, die eigenen Beine passen gerade so daneben. Silberkännchen, Sil-
weiße Servietten, bestickt mit dem Emblem des E&O, eine Etagere. Wahrscheinlich speist kaum einer zu Hause nur halb so nobel. Doch genau dies hat man ja gebucht: drei Tage Luxus, für die man keinen Finger rühren, sondern lediglich den Geldbeutel etwas weiter öffnen muss.
Denn natürlich ist eine solche Reise nicht günstig. In der kleinsten Doppelkabine, dem Pullman-Abteil mit seinen sechs Quadratmetern, zahlt man pro Person knapp 2400 Euro. Eines der Betten dient bei Tag als Sitzgelegenheit. Während die Gäste abends dinieren, funktionieBar-
ren die Stewards das Sofa um, klappen darüber ein zweites Bett aus, legen Filzpantoffeln und Bademantel zurecht. Wer in der Präsidentensuite logiert, hat fünfeinhalb Quadratmeter mehr – Bar und Ankleidebereich inklusive. Paneele aus Kirschund Ulmenholz gibt’s in beiden Klassen.
Aber wer hält sich schon oft auf im Abteil? Das liegt auch daran, dass es in den Kabinen kein WLAN gibt. Wer diese Welt vor dem Fenster auch nur kurz durch sein Smartphone-Universum ersetzen will, muss laufen. Weit laufen. Waggon für Waggon. Durch alle drei Speisewaberbesteck, gen. Und durch den Salonwagen, in dem Bordpianist Peter eben vor einer Tasse Kaffee Platz genommen hat, jetzt aber pflichtschuldig zum Piano eilt. Er macht das jedes Mal, wenn ein Gast den Wagen betritt. Es könnte sein, dass dieser kein „Durchreisender“ist, sondern bleiben will. Dann sollte, ja dann müsste, gespielt werden. „Strangers in the Night“für Amerikaner und Elvis Presleys „Muss i denn zum Städtele hinaus“für die Deutschen.
Jetzt aber, am frühen Abend, hat Peter viel Freizeit. Die Gäste sitzen um diese Zeit lieber im Panoramawagen, dem hintersten Waggon mit seinem Open-Air-Bereich. Hier kann man sich den tropischen Fahrtwind durchs Haar streichen lassen – vielleicht bei einem Glas Gin Tonic, das heute mit Cranberryund morgen mit Gurken-Garnitur serviert wird.
Manchmal, wenn der Bambus am Gleisrand zu wild wuchert, werden die biegsamen Zweige im Vorbeifahren vom E&O gestutzt. Manchmal, wenn man einen Bahndamm passiert, winken Einheimische dem Zug von ihren Mopeds aus nach. Manchmal gerät man hier in Trance, wenn man dem eintönigen Geräusch von Eisenrädern auf Eisenschienen zuhört. Ta-Tak. Ta-Tak. Ta-Tak.
Schnell entwickeln sich Routinen in einem solchen Zug. Wenn der Sonnenuntergang dem FernsehProgramm vor dem Fenster ein Ende bereitet, widmen sich die Passagiere wieder dem, was drinnen geschieht. Abends ist das besonders spektakulär: Dann kommt die Zeit von Yannis Martineau. Der Franzose ist Küchenchef im Luxuszug. Jahrelang, sagt er, habe er in Paris gearbeitet. In Küchen, in denen ein Herd so ausladend war wie heute seine ganze Kombüse. Doch seit er vor über zehn Jahren die Töpfe im E&O übernahm, will er sich keinen anderen Arbeitsplatz mehr vorstellen.
Als Passagier sollte man jeden Gedanken an ein deutsches ICE-Bordrestaurant sofort verdrängen. Es gibt keine Rostbratwürstchen, keinen Aufschnitt, wahlweise Käse oder Wurst. Yannis Martineau ist Franzose und kann auch auf kleinstem Raum große Gaumenfreuden zubereiten: geschmortes Lamm mit Kürbis, Zucchini und PapadamKrackern. Asiatischer ZitrusfruchtSalat mit einem Medley von Meeresfrüchten an geriebener BuddhaHand. Mousse von Matcha- und Jasmin-Tee, umgeben von weißer Schokolade. Das alles sind Gerichte, die sich mit denen in Feinschmecker-Lokalen messen lassen können.
Und Martineau hat noch einen anderen Anspruch: Er möchte den Passagieren alle drei Länder kulinarisch nahe bringen, die der Zug auf seiner Reise durchquert. Singapur, Malaysia, Thailand – jedes der Ziele erhält eine besondere Geschmacksnote. So besonders, dass man drei Tage lang problemlos mittags und abends vier Gänge verdrücken kann.
Fast würde es einem genügen, die Welt am Zugfenster an sich vorbeiziehen zu lassen… Die Landausflüge jedoch bringen einen Hauch von Erdung auf dieser Luxustour. In Kuala Kangsar, der Residenzstadt eines Sultans, geleitet eine kleine Frau die Zugreisenden voller Stolz durch das Royal Museum, in dem auch das erste Fahrrad des Sultans ausgestellt ist. Sie selbst, sagt die Gästeführerin, ist Chinesin, aber man spürt ihren devoten Stolz auf die politische Spitze des Landes. Einen Tag später führt ein Ausflug mit dem Fahrrad durch hellgrüne Reisfelder. In einem Dorf backen die Frauen Reisfladen für die E&O-Passagiere. Wenn die Luxusreisenden sich wieder in ihr klimatisiertes Schienenhotel zurückziehen, gehen die Frauen wieder ihrer harten Arbeit auf den Feldern nach, von der sie sich abends auf einfachen Holzpritschen ausruhen.
Diese Gegensätze haben wohl fast alle Passagiere zu Beginn ihrer Reise ausgeblendet – ja, konnten sie gar nicht sehen. Luxus ist in Malaysia und Thailand für die meisten Menschen ein Fremdwort. Der feudale Zug, der ein paar Mal pro Woche in wenigen Metern Entfernung an ihren Schlafzimmern vorbeifährt, ist für sie so weit entfernt wie die Gestirne am Himmel. Und vielleicht ebenso leuchtend – aber stets aus einer anderen Welt.
Die Passagiere ziehen, zerren, bangen…