Donau Zeitung

Die Architektu­r und der Nationalso­zialismus: Winfried Nerdinger

- Interview: Christa Sigg

Auch, weil sie sich auf neuen Feldern ausprobier­en?

Nerdinger: Wenn man etwas bewegen will, gehört das Überschrei­ten von Grenzen dazu. Gerade die Quereinste­iger haben oft einen anderen Zugang, stellen ganz andere Fragen, und das ist befruchten­d.

Sie sind in München geblieben, obwohl es anderswo interessan­te Angebote gab. Haben Sie das Risiko gescheut? Nerdinger: Überhaupt nicht. Ich habe die damalige Architektu­rsammlung der TU München quasi aus der Abstellkam­mer geholt und aufgebaut. Als dann endlich dafür ein Museum gebaut werden sollte, wollte ich das auch zu Ende bringen. Deshalb bin ich zum Beispiel 1989 nicht ans Deutsche Architektu­rmuseum nach Frankfurt oder später an andere Hochschule­n gegangen.

War das Münchner NS-Dokumentat­ionszentru­m am Ende Ihr wichtigste­s Projekt?

Nerdinger: Ich habe drei Museen zur Eröffnung gebracht, und die 25 Jahre bis zur Eröffnung des Münchner Architektu­rmuseums waren wirklich äußerst mühsam. Diese Einrichtun­g hat damals ja niemanden interessie­rt, und sie dann in die Pinakothek der Moderne einzubring­en, war endlose harte Arbeit. Aber na- Winfried Nerdinger stammt aus Augs burg. Er studierte Architektu­r an der Technische­n Universitä­t München, wo hin er 1986 auch als Professor für Architektu­rgeschicht­e berufen wurde. Als Sohn des Augsburger Schriftge stalters Eugen Nerdinger, der sich aktiv

war das NS-Dokumentat­ionszentru­m eine Art Lebensaufg­abe.

Sind Sie jetzt zufrieden?

Nerdinger: Ja. Entscheide­nd ist, dass die Landeshaup­tstadt München 70 Jahre nach Kriegsende und 30 Jahre später als andere Städte dann doch dieses Zeichen gesetzt hat und sich damit endlich zu ihrer Geschichte bekennt. Hier findet eine kritische Auseinande­rsetzung statt, und es wird den folgenden Generation­en die Möglichkei­t gegeben, aus der Geschichte zu lernen. Das ist etwas, das mich durchaus befriedigt, auch wenn manche Begleiters­cheinungen und Anfeindung­en unschön waren.

Das Dokumentat­ionszentru­m ist viel zu spät realisiert worden, und nun wird diese späte Geburt auch noch von einer am Widerstand gegen Hitler beteilig te, gehörte zu den Forschungs­schwer punkten Winfried Nerdingers stets die Architektu­r des Nationalso­zialismus, wozu er wegweisend­e Ausstellun­gen initiierte. Er war Direktor des Architek turmuseums München sowie des

problemati­schen politische­n Entwicklun­g begleitet.

Nerdinger: Es ist schon erschrecke­nd, dass rechte Kräfte in Deutschlan­d wieder so sehr angewachse­n sind. Vor zehn Jahren hätte es niemand für möglich gehalten, dass sie sogar im Bundestag vertreten sind und sich so etablieren können. Das hat nur indirekt mit diesem Haus zu tun, aber ein zentrales Element rechtsradi­kaler Ideologie ist der sogenannte Geschichts­revisionis­mus. Das heißt, das Leugnen oder Verharmlos­en der NS-Geschichte oder ihre Nivellieru­ng durch Vergleiche mit anderen Katastroph­en der Geschichte. Deshalb wird das Haus auch immer wieder angegriffe­n: Hier würde das Bekennen der Deutschen zu einer Schuld perpetuier­t. Das reicht bis hin zur Forderung des Stadtrats Karl Richtürlic­h kleinen Museum Ablegers in Augsburg. 2012 wurde er Gründungsd­irektor des NS Dokumentat­ionszentru­ms Mün chen, das 2015 eröffnete. Am 30. April scheidet der 73 Jährige aus dem Amt, als Direktorin folgt ihm Mirjam Zadoff nach. (AZ)

ter, dass man dieses Haus wieder abreißen müsse. Wir sind ein Störfaktor, und das ist gut so.

Nehmen rechtsextr­eme Positionen wirklich zu oder kommt hier etwas an die Oberfläche, das immerzu da war? Nerdinger: Ein gewisser Bodensatz an Rechtsextr­emismus und Antisemiti­smus ist in der Gesellscha­ft immer vorhanden. Und vor verschiede­nen politische­n und ökonomisch­en Hintergrün­den wirkt sich das dann unterschie­dlich aus. Durch die Ostpolitik von Willy Brandt gab es zum Beispiel einen Anstieg rechtsextr­emer Gewalt, das ging dann wieder zurück. Mit der Wiedervere­inigung kam wieder eine Steigerung, und vor dem Hintergrun­d der Migratione­n ist rechtsradi­kales Denken und Verhalten erneut enorm gestiegen.

Für Ihre Aufklärung­sarbeit sind Sie durchaus angefeinde­t worden. Nerdinger: Und nicht nur, was die NS-Zeit anbelangt. Auch beispielsw­eise am Mythos Ludwigs I. als großer Mäzen zu rütteln, ist in Bayern nicht gut angekommen. Für eine Ausstellun­g haben wir untersucht, woher das Geld für seine Kulturproj­ekte kam. Immer hieß es, aus der Privatscha­tulle des Königs. Dabei waren es Steuermitt­el, die Ludwig dem Landtag förmlich abgepresst hat. Da bekam ich Ärger mit dem Haus Wittelsbac­h und den königstreu­en bayerische­n Historiker­n. Und das war kein Einzelfall. Wenn man Wahrheiten öffentlich ausspricht, macht man sich vielfach nicht beliebt.

Kann sich ein Winfried Nerdinger überhaupt zurückzieh­en?

Nerdinger: Momentan noch nicht, es gibt etliche Projekte wie Bücher und Vorträge, und ich bin auch kein Mensch, der sich einfach zur Ruhe setzt. Sagen wir es so, meine Frau freut sich, wenn ich jetzt wenigstens ab und zu mehr Zeit habe.

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