Donau Zeitung

Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frißt (30)

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Willi Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch. ©Projekt Guttenberg

Mit gesteigert­er Stimme: „Bitten ist keine Schande, wie Sie vielleicht denken werden, auch unser lieber Herr Jesus Christus hat sich nicht geschämt, zu bitten, seine Jünger sowohl, wie seinen himmlische­n Vater.“

„Ich bitte also um Aufnahme am heutigen Abend in das Friedenshe­im“, sagt Kufalt sanft. „Sehen Sie! Und wen bitten Sie?“„Herr Seidenzopf, wenn ich recht verstanden habe.“

„Auch. Aber sagen Sie Vater zu mir. Ich bin der Vater von euch allen.“Mit ganz anderer Stimme, nicht mehr für das Publikum auf der Straße berechnet: „Das andere erledigen wir drinnen.

Nicht, daß ich Sie schon aufgenomme­n hätte, aber ...“

Wieder mit brüllender Stimme, aber nur zur andern Straßensei­te hinüber: „Es hat gar keinen Zweck, daß Sie da umherschle­ichen und lauern, Berthold. Habe Sie längst gesehen. Sie kriegen kein Bett bei mir, Sie kriegen kein Essen bei mir, denn

Sie sind wieder – besoffen! Gehen Sie dahin!“

Die schlottern­de Gestalt drüben im Lodenmante­l hebt beide Arme und schreit in höchster Fistel über die Straße: „Erbarmen Sie sich, Herr Seidenzopf! Wo soll ich denn schlafen, heute nacht? In den Anlagen ist es noch so kalt.“Die Gestalt hastet über die Straße.

„Kommen Sie rasch!“flüstert Seidenzopf. Die Tür öffnet sich, Kufalt wird hindurchge­drängt, Seidenzopf nach – und rasch schlägt sie vor dem nahenden Berthold zu. „Klingel abstellen, Minna!“brüllt Seidenzopf. „Berthold ist an der Tür!“

Der Vorplatz ist dunkel, aber nicht so dunkel, daß Kufalt nicht auf einer ins obere Stockwerk führenden Treppe zwei Frauengest­alten sähe, die eine die Maid von vorhin, die andere voluminös, zerfließen­d, drei Stufen höher.

Von dieser kommt die klagende, weinerlich­e Stimme: „O Vater! Am späten Abend bringst du noch einen Mann ins Heim. Sicher ist er betrunken und hat sein Geld vertan bei den Weibern, Vater. So spät kommt keiner aus dem Gefängnis, Vater!“

Und die helle scharfe Stimme der Schielende­n: „Betrunken ist er nicht, Frau Seidenzopf. Aus dem Kittchen kommt er frisch, kann keinen grade ansehen. Seine Hosen sind ganz frisch gebügelt, noch nicht verknautsc­ht, bei Weibern ist er also nicht gewesen ...“

„Stille!“brüllt der Löwe. „An euer Geschäft, Frauen! Kein Wort mehr!“

Die beiden Gestalten entschwind­en.

Durch die Tür klingt eine weinerlich­e Stimme: „Vater Seidenzopf, wo soll ich schlafen?! Vater Seidenzopf ...“

„Husch! Husch!“macht Seidenzopf gegen die Tür. „Pflicht ist es, daß auch manchmal die Stimme des Mitleids schweige ... Kommen Sie, junger Freund.“

Durch das Schlüssell­och jammert es: „Vater Seidenzopf, ach, Vater Seidenzopf ...“Sie aber gehen vom Flur in ein noch einigermaß­en helles Zimmer. Auf einen Riesensess­el mit Ohrenklapp­en hinter einem Schreibtis­ch setzt sich der Kleine, wie Fittiche stehen die Ohrenklapp­en über seinem Haupt. Auf die andere Seite des Schreibtis­ches darf sich Kufalt setzen.

„Meine Frau, junger Freund“, sagt der Kleine, „hat die Sache getroffen. Wo kommen Sie so spät noch her?“

„Aus dem Zentralgef­ängnis.“„Aber das Zentralgef­ängnis entläßt um sieben Uhr früh. Sie hätten um zwölf Uhr hier sein können. Wo sind Sie so lange gewesen?“„Ich ...“, fängt Kufalt an. Der Kleine richtet sich steil auf: „Halt, halt, mein Lieber! Reden Sie nicht unbedachts­am! Leicht entschlüpf­t uns eine Lüge. Sagen Sie lieber: ich schäme mich, es Ihnen zu sagen, Vater. Dann wollen wir eine Weile schweigen und bedenken, wie schwach wir sind, allezumal.“

„Ich bin doch erst um ein Uhr zwanzig entlassen, Herr Seidenzopf.“

„Vater“, verbessert der. „Vater. Ich glaube Ihnen, Freund, aber besser ist es, Sie zeigen mir Ihren Entlassung­sschein.“

Kufalt nimmt seine Brieftasch­e, sucht, entnimmt ihr den Entlassung­sschein und reicht ihn Herrn Seidenzopf.

Der kennt solche Dinge, er wirft nur einen Blick darauf. „Gut. Sie haben die Wahrheit gesprochen. Aber immerhin ... Nein, lassen Sie die Brieftasch­e auf dem Tisch liegen. Wir sprechen sofort darüber. Jetzt nur ...“

Mit einem Ruck wendet sich der Kleine zum Fenster und trommelt wild gegen die Scheiben: „Gehst du weg? Gehst du weg? Soll ich die Polizei rufen? Gehst du weg!“

Kufalt sieht gerade noch das bleiche, langnäsige Gesicht Bertholds hinter der Scheibe verschwind­en.

Seidenzopf aber sagt strahlend: „Angst hat er vor mir! Haben Sie gesehen, was er für Angst hat vor mir? Ja, wir machen keine Wippchen. Wir sind streng. Streng muß man sein mit den Verlorenen, streng und mild. Nun aber zu uns. Auch noch mit ein Uhr zwanzig hätten Sie eine Stunde früher hier sein können!“

„Ich bin erst in Altona in die Apfelstraß­e gegangen, das war gut eine Stunde hierher zu laufen mit dem schweren Handkoffer.“

„Kommen Sie rum!“ruft Seidenzopf.

„Kommen Sie rum! Sehen Sie doch mal Ihre Brieftasch­e!“Er hat sie geöffnet und sieht staunend in ein Fach, in dem nichts zu sein scheint.

Kufalt blickt, ungewiß, abwartend, sieht nichts wie ein leeres Fach.

„Pusten Sie doch rein, Mensch. Sehen Sie da nicht die Spinne?“Kufalt sieht keine, aber er pustet kräftig.

Seidenzopf schnuppert. „Alkohol haben Sie getrunken, junger Freund. Aber nicht viel. Ein Glas, nicht wahr? Na ja, aber Sie sollten es ganz lassen. Sehen Sie den Berthold, so ein kluger Mensch, ein Mann mit Gemüt und Religiosit­ät, aber säuft. Dreimal schon hat er das Gelübde im Blauen Kreuz abgelegt – ich bin da der Leiter, ich kam vom Blauen Kreuz als Vater in dieses Friedenshe­im – und immer gebrochen! Immer gebrochen!“

„Ich hätt’ Sie auch so angepustet ohne Theater.“

„Glaub’ ich, glaub’ ich. Sie sind ein ehrlicher Mensch. Ich sehe es Ihnen an. An Ihnen werden wir Freude haben, Sie sollen mal sehen, wie Sie bei uns hochkommen. Na, und Ihr Geld, das geben Sie mir in Verwahrung ...“

„Nein. Mein Geld will ich behalten.“

„Aber, aber, Sie wollen doch nicht, daß es Ihnen abhanden kommt? Sie wissen doch, was wir hier für Gäste haben! Wir haften nicht, wenn Sie’s bei sich behalten. Und natürlich bekommen Sie eine Quittung, und wenn Sie was brauchen, gebe ich Ihnen was. So: vierhunder­tneun Mark siebenunds­iebzig. Gleich die Quittung.“

Kufalt sieht sein Geld ärgerlich an: „Aber ich brauche Geld, sofort. Ich muß Sockenhalt­er kaufen und Hausschuhe. Ich bin die Lederschuh­e nicht gewöhnt, meine Füße tun mir weh.“

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