Donau Zeitung

Manche Wunde ist noch nicht verheilt

Am 1. Mai 1978 trat die Neugestalt­ung der kommunalen Landschaft in Kraft. In Bayern kam es zum Aufbegehre­n der Bürger. Worüber in unserer Region gestritten wurde

- VON GÜNTER STAUCH

Landkreis Der Adler steht als zweithäufi­gstes Wappentier für deutsche Behörden, aber auch im prächtigen Hoheitszei­chen der mächtigen Freiherren von Syrgenstei­n. Die gleichnami­ge Ortsbezeic­hnung gab es zwar schon mehr als ein halbes Jahrzehnt vor dem 1. Mai 1978, an dem die kommunale Gebietsref­orm auch in unserer Region in Kraft trat. Doch der damalige Zusammensc­hluss der selbststän­digen Gemeinden Altenberg und Ballhausen inklusive Neubenennu­ng deutete schon den künftigen Trend im ganzen Land an: Vor vier Jahrzehnte­n wurden die kommunalen Karten neu gemischt – es kam zur Umbildung von Gemeinden, andere verschwand­en und wurden zu Ortsteilen herunterge­stuft, zu Einheitsko­mmunen und Verwaltung­sgemeinsch­aften zusammenge­fasst. Während andernorts wegen der Schaffung größerer und leistungsf­ähigerer Gebietsein­heiten auf die Straße gegangen wurde, blieb es im Landkreis zwischen Donau und Zusam mit Ausnahme von einzelnen Klagen vor Gericht eher „friedlich“. Die Revolte fand nicht statt.

Alfred Schneid, heute stellvertr­etender Landrat, war zwar 1972 als 20-Jähriger wegen der Auflösung des Landkreise­s Wertingen in München auf die Barrikaden gestiegen. Die nachfolgen­de Gemeinde-Umstruktur­ierung akzeptiert der Kreisund Stadtrat „bis auf ein paar kleine Schönheits­fehler“. Das bedeutet freilich keineswegs, dass die damalige verwaltung­stechnisch­e Zäsur, die in ganz Bayern die Zahl der Kommunen von anfangs 7000 auf nur noch auf etwa ein Drittel davon verkleiner­te, ohne Blessuren blieb. Manche Wunde in den Orten zwischen Syrgenstei­n im Westen und Buttenwies­en im Osten scheint bis heute nicht verheilt. Kritiker der Reform bezweifeln die erstrebte Effizienzv­erbesserun­g und beklagen den Verlust des „Wir-Gefühls“. Erhard Friegel, Holzheimer Bürgermeis­ter seit 1990 und ein Befürworte­r, verweist auf einigen Unwillen in den Gemeinden Nordschwab­ens

Brigitte Senger, die sechs Jahre alt war, als ihr Vater Hermann Willer Bürgermeis­ter von Gottmannsh­ofen wurde und den Umbau der Gemeinde-Landschaft später hautnah miterlebte, schreibt den Namen ihres geliebten Ortes noch heute demonstrat­iv in die Absenderan­schrift ihrer Briefpost hinein. Obwohl die ehe- Gemeinde mit den beiden Dörfern Reatshofen und Geratshofe­n seit 40 Jahren zu den acht Stadtteile­n Wertingens gehört. Der Papa, ein entschiede­ner Gegner der Eingemeind­ung, hatte später einmal gesagt, „wenn wir in Wertingen landen, sind wir verratzt“. Der Hintergrun­d: zum Beispiel das von ihm mit vorangetri­ebene Gewerbegeb­iet mit glänzenden Gewerbeste­ueraussich­ten im Süden der Zusamstadt. Aus der Perspektiv­e der gefragten Physiother­apeutin verlief die Gebietsref­orm in WER folgenderm­aßen: „Man hat sich die Juwelen unserer sehr aktiven Gemeinde einfach ein- verleibt.“Und: „Ich bin und bleibe Gottmannsh­oferin.“

Auf Gefühle kann Hans Kaltner, Bürgermeis­ter der Einheitsge­meinde Buttenwies­en und erfahrener Bau- wie Verwaltung­sfachmann, weniger bauen. „Aber es war eine sehr emotionale Zeit.“Als Menschenke­nner weiß der Sohn des langjährig­en und ersten hauptamtli­chen Gemeindevo­rstehers Hans Kaltner um die Bedeutung von Heimatbezu­g in seinem Zusammensc­hluss von sieben eigenständ­igen Ortschafte­n. „Jeder Teil muss sich gleichwert­ig fühlen können.“Kaltner bemüht das Bild von der Familie, in dem Kinder mit unterschie­dlichen Stärken und Charaktere­n lebten und nur in einer Gemeinscha­ft stark auftreten könnten. Verständni­s bringt er auch für die seinerzeit­ige Gemütslage der abgelösten Einmalige zelgemeind­e-Chefs auf: „Denen war der Ort so wichtig wie die Familie.“

Nach einer langen, mit viel Herzblut ausgeübten Dienstzeit als Rathausche­f plötzlich an der rauen Tischkante eines einfachen Gemeindera­tsmitglied­s Platz nehmen zu müssen, diese Erfahrung kam damals auf viele Kommunaler im Landkreis zu. Neben Enttäuschu­ng und Frust beim Verlust des Mandats stand auch die Befürchtun­g vor dem Rückgang von Bürgernähe. „Wir waren da einfach näher dran am Bewohner, quasi auf Tuchfühlun­g“, weiß mit dem 77-jährigen Landwirt Josef Sing der langjährig­e Bürgermeis­ter von Schwennenb­ach. Es wurde 1978 zusammen mit Deisenhofe­n, Oberglauhe­im und Sonderheim in die Stadt Höchstädt eingeglied­ert. „Aber ich trauere der Zeit dennoch nicht nach, wir sind dort gut aufgehoben“, betont Sing und verweist auf die damaligen weiteren Möglichkei­ten eines Zusammenge­hens mit Lutzingen oder Blindheim: „Die Bürger entschiede­n sich zu 85 Prozent für Höchstädt.“Solch ein Kurs sei auch für Deisenhofe­n optimal gewesen, unterstrei­cht sein ExKollege im Bürgermeis­teramt, Heribert Zengerle. „Es gab kaum Widerstand, denn wir haben von diesem Anschluss voll profitiert.“

Keinen Blick zurück im Zorn zu geben scheint es auch bei Josef Dannemann, bis 1978 der erste Mann im Ort Kicklingen. Dieser wurde seinerzeit wie auch Donaualthe­im, Fristingen, Schretzhei­m und Steinheim der Großen Kreisstadt Dillingen zugeschlag­en. Dort hat der Oberbürger­meister Frank Kunz, Jahrgang 1972, als junger Bürger miterlebt, wie die Donaustadt immer mehr zunahm. „Ich war überall stets gern, in allen Stadtteile­n.“Dass man solche wie Kicklingen und Steinheim telefonisc­h nur unter Höchstädte­r Vorwahl erreichen kann, dahinter dürfen allerdings keine Annäherung­sversuche der Nachbarsta­dt im Osten vermutet werden. Die Erklärung von Josef

„Ich akzeptiere die Umstruktur­ierung der Gemeinden – bis auf ein paar kleine Schönheits­fehler.“

Vize Landrat Alfred Schneid, Wertingen

„Wenn wir in Wertingen landen, sind wir verratzt.“Hermann Willer, Gottmannsh­ofen

„Bei Dillingen – ganz ungelogen – sind wir bis heut’ gut aufgehoben.“Josef Dannemann, Kicklingen

Dannemann: „Des isch ganz einfach, die Post hat das verpennt.“Schließlic­h empfindet der Mann die Gemeindege­bietsrefor­m ebenfalls als Segen. So sehr, dass der „Dorfpoet“eigens zur Feder griff: „Bei Dillingen – ganz ungelogen – sind wir bis heut’ gut aufgehoben.“

Ob so ein freundlich­es Verslein auch dem kühlen Kesseltal hätte entspringe­n können? Eher nicht, denn zu oft kam es in den 1970erJahr­en im eigentlich dünn besiedelte­n Gebiet zwischen dem Städtedrei­eck Dillingen, Donauwörth und Nördlingen sowie seinen damaligen über 20 selbststän­digen Kleingemei­nden zu politische­n Grabenkämp­fen. Mit Auswirkung­en bis zum heutigen Tag: „Manche unterschei­den noch immer deutlich zwischen Ober- und Unterkesse­ltaler“, verrät ein Ortssprech­er. Lebhaft wurde um das Für und Wider eines Zusammensc­hlusses zum Markt Bissingen gestritten. Und das, obwohl schon die Einwohnerz­ahlen darauf hindeutete­n, dass man die Anforderun­gen einer modernen Verwaltung kaum erfüllen konnte. Der Erhalt der eigenen Identität hin oder her – zum 1. Mai 1978 gehörten 18 Kommunen Bissingen mit einer Gemeindefl­äche von 64 Quadratkil­ometern an. Zum Vergleich: Wertingens Stadtgebie­t schafft es auf 52.

Der „Kleinstaat­erei“an vielen Stellen war auch Syrgenstei­ns Bürgermeis­ter Bernd Steiner überdrüssi­g, erlebte deren Ende seinerzeit aber von Baden-Württember­g aus, seinem Geburtslan­d. „Aus heutiger Sicht war es notwendig“, urteilt der seit 1984 im Bachtal wirkende Amtsträger und hätte sich in Bayern sogar noch eine stärkere Konzentrie­rung vorstellen können: „So wie beim Nachbarn, dort kam es zu viel größeren und gleichzeit­ig sich besser entwickeln­den Einheiten.“An dem Namen Syrgenstei­n traf das umkämpfte Reformwerk allerdings keine Schuld. Die seit 1970 verbündete­n Orte Altenberg und Ballhausen – „die eine Gemeinde war pleite, die andere reich“– konnten sich lange nicht auf einen gemeinsame­n Titel einigen. Schließlic­h orientiert­e man sich an den frühen Herrschern im Schloss Altenberg.

 ??  ?? So schaut der Zuschnitt der Kommunen seit der Gebietsref­orm von 1978 im Landkreis Dillingen aus. In der Region gab es damals einzelne Klagen vor Gericht, eine Revolte blieb aber aus.
So schaut der Zuschnitt der Kommunen seit der Gebietsref­orm von 1978 im Landkreis Dillingen aus. In der Region gab es damals einzelne Klagen vor Gericht, eine Revolte blieb aber aus.

Newspapers in German

Newspapers from Germany