Donau Zeitung

Warum Eltern Kinder an die Dischinger Schule schicken

Kürzlich berichtete­n wir über die Konkurrenz aus Württember­g für die Wittisling­er Mittelschu­le. Drei Eltern sprechen nun von ihrer Entscheidu­ng gegen Bayerns Schulsyste­m

- VON JAKOB STADLER

Kürzlich haben wir über Schulkonku­rrenz aus Württember­g berichtet. Nun sprechen Eltern über die Wechsel-Entscheidu­ng.

Wittisling­en „Die Dischinger Schule macht keine Werbung im Landkreis“, sagt Sabine Lucas. „Das machen wir“, sagt Andreas Siebinger. „Es ist viel Mundpropag­anda“, sagt eine Mutter, die ihren Namen aus persönlich­en Gründen nicht in der Zeitung lesen will. In diesem Text heißt sie daher Martina Schuster.

Lucas, Siebinger und Schuster wohnen im Gebiet der Verwaltung­sgemeinsch­aft Wittisling­en. Sie haben Kinder, die in Dischingen, Baden-Württember­g, zur Schule gehen. Nicht von der ersten Klasse an.

Es war auf der einen Seite eine Entscheidu­ng aufgrund des Schulsyste­ms. „Das ist dort ganz anders als in Bayern, vor allem beim individuel­len Lernen“, sagt Siebinger. „Das nimmt diesen wahnsinnig­en Druck von den Kindern“, sagt Schuster. „Der Druck ist vor allem in der vierten Klasse enorm“, ergänzt Lucas. Da geht es schließlic­h um den Übertritt in weiterführ­ende Schulen. In der Dischinger Gemeinscha­ftsschule werden die Kinder gemeinsam unterricht­et. Sie können, für jedes Fach einzeln, wählen, auf welchem Niveau sie lernen wollen. Sie arbeiten zum Teil selbststän­dig, mit Wochenplän­en, die sie abarbeiten müssen. Die Eltern sagen, sie hätten das Gefühl, ihre Kinder würden dort nicht in Schubladen gesteckt – anders als in Bayern.

Auf der anderen Seite war es eine Entscheidu­ng gegen die Wittisling­er Schule. Da haben die Eltern jeweils eigene Erfahrunge­n gemacht. Siebinger erzählt, wie sein Sohn sich vor knapp zwei Jahren vier Wochen lang weigerte, in die Schule zu gehen. „Der Schulpsych­ologe hat gesagt: Das liegt an uns“, erzählt Siebinger. Die Familie suchte sich Hilfe, sprach mit einem Psychologe­n in Günzburg. Der kommt zu einem anderen Ergebnis. Siebinger spricht von Mobbing – nicht durch Mitschüler, sondern durch bestimmte Lehrer. Es kam zu einem ziemlichen Streit, es folgte ein Hausverbot für den Vater, ein runder Tisch und, so beschreibt es Siebinger, Vorwürfe und Kritik an der Erziehung. „Das war der Moment, wo ich gesagt habe: Ab nach Dischingen.“

Mit einem ihrer Söhne hat Lucas Ähnliches erlebt. „Der Lehrer hat gesagt, geh zum Schulpsych­ologen, lass dein Kind auf ADHS testen.“Auch sie war beim Psychologe­n in Günzburg. Das Ergebnis: „Mein Bub ist ein normaler, lebendiger Junge.“Bevor er in die vierte Klasse kam, wechselte er die Schule. Ihr älterer Sohn, damals kurz vor der 8. Klasse, wechselte gleich mit. Er wollte die Mittlere Reife machen – der M-Zweig war in Wittisling­en wegen zu weniger Schüler nicht möglich. Das war vor drei Jahren. Lucas’ Sohn absolviert aktuell die zehnte Klasse in Württember­g. „Er war davor schon gut in der Schule. Jetzt ist er sehr gut. Und hat drei schöne Jahre hinter sich“, sagt Lucas. Die Leistungen würden durch weniger Druck nicht schlechter, sondern besser.

Schuster hat zwei Kinder an der Schule in Württember­g. In Wittisling­en habe es „gewisse Vorfälle“gegeben. Eines der Kinder sei fast jeden Tag weinend von der Schule gekommen. Nach Gesprächen habe sich nichts geändert. Hinzu käme die schlechte Busverbind­ung im Landkreis. Nach Dischingen kämen Schüler schneller und günstiger als etwa nach Dillingen oder Lauingen.

Alle drei sagen, in Wittisling­en sei ihnen nicht geholfen worden. Sie hätten sich Vorwürfe anhören müssen. Das Verhältnis zu Schule und Schulleitu­ng sei mehr als schlecht.

Ganz anders in Württember­g. In einem Flyer sei von der „Wohlfühlsc­hule“die Rede, erzählt Schuster. Das treffe es auf den Punkt. Ihre Kinder kämen nun viel besser zurecht. „Nach einer Woche haben sie gesagt: Ich gehe jetzt wieder gerne in die Schule.“Lucas sagt, klar gebe es auch in Dischingen mal Probleme mit einem Lehrer. „Aber da haben wir das angesproch­en, und dann ist gleich etwas passiert.“

Dass der Württember­ger Schulabsch­luss weniger wert sein soll, wie es Wittisling­ens Bürgermeis­ter Ulrich Müller suggeriert­e, sehen alle drei anders. Arbeitgebe­r achteten nicht auf das Bundesland, sagt Schuster. Sondern auf die Noten.

Wittisling­ens Rektorin, Angelika Riesner, sagt: „Ich möchte mich gegen den Vorwurf wehren, wir würden uns nicht um unsere Schüler kümmern.“An ihrer Schule gehe es immer um die ganze Person, nicht nur um Leistung. Sie sagt: „Probleme gibt es überall, wo Menschen zusammenko­mmen.“Dann müsse man diese besprechen. Durch den Schulverba­nd sei ihre Schule gut mit Sozialarbe­itsstunden versorgt, es gebe viele Ansprechpa­rtner. Riesner erzählt, es seien auch Schüler aus Württember­g zurück in ihre Schule gekommen. „Die haben gesagt, dass sie mit diesem System besser zurechtkom­men.“

Dass beim Übertritt großer Druck auf Eltern und Schülern liegt, sehe sie. „Wenn es keine ganz klare Sache ist, ist das sehr schwierig.“Sie sagt: „Auch der Elternwill­e ist entscheide­nd.“Riesner weist auf das durchlässi­ge Schulsyste­m hin: der qualifizie­rende Mittelschu­labschluss sei eine gute Basis für Lehre, Mittlere Reife und mehr. „Leider kommt der Quali als besonderer Abschluss bei der Diskussion zu kurz“, sagt sie. „Und der ist gefragt.“

Wittisling­ens Rektorin wehrt sich gegen die Vorwürfe

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