Ausgefranst
Kunstfasern stecken in fast jedem Kleidungsstück. Doch es gibt Alternativen – aus Holz oder Milch
Aus Tierprodukten machen Menschen schon lange Kleidung – sei es aus Wolle, Fell oder Leder. Aber aus Milch? Eine Firma im baden-württembergischen Hemmingen stellt daraus Stoffe her. Damit folgt sie einem Trend in der Branche: Unternehmen suchen nach Materialien, die weniger umweltschädlich sind. Denn unsere Kleidung belastet die Umwelt massiv. Baumwollpflanzen verbrauchen Unmengen an Wasser, Kunstfasern landen in der Natur und verbreiten sich als winzige Plastikteilchen in der Umwelt.
Die Idee zu der Milch-Kleidung kam der Gründerin von „Qmilk“, Anke Domaske, allerdings nicht aus Umweltschutz-Gründen. „Mein Stiefvater machte damals eine Krebsbehandlung durch und reagierte allergisch auf alle Kleidungsstücke“, erzählt sie. Domaske suchte nach Alternativen und stieß auf die Milch. Schon in den 1930er Jahren wurden daraus Fasern gemacht. „Der Prozess war aber sehr aufwendig und funktionierte nur mit vielen Chemikalien“, sagt Domaske. Darum entwickelte sie ein Verfahren, in dem das Milcheiweiß extrahiert und weiterverarbeitet wird, ohne dass das Material mit schädlichen Chemikalien verunreinigt wird. Dabei wird zunächst ein Milchpulver genommen, das in Verbindung mit weiteren Materialien zu einer Faser gesponnen wird. Die Zusammensetzung der Stoffe gibt das Unternehmen jedoch nicht preis. „Unsere Kleidung könnte man sogar problemlos essen“, sagt die Erfinderin. Als Ausgangsmaterial verwendet das Unternehmen Milch, die keine Lebensmittelqualität hat und weggeschüttet werden müsste.
Ein anderes Ausgangsmaterial für Fasern ist ebenfalls ein Abfallprodukt: Kaffeesatz. Die taiwanesische Firma Singtex entwickelte ein Verfahren, bei dem die Kaffeereste mit Kunststoff vermischt werden. Allerdings ist die Kleidung damit wieder chemisch belastet.
Unbelastete Kleidung kommt nicht nur dem Träger zugute, sondern auch der Umwelt. Denn jedes Jahr werden massenhaft Chemiefasern hergestellt, im Jahr 2016 waren es 71,2 Millionen Tonnen. Annähernd so viele Kleidungsstücke werden jedes Jahr auch wieder weggeworfen. Das große Problem: Viele Stoffe bestehen aus Mischfasern, enthalten also sowohl natürliche Bestandteile als auch Kunststoffe. Bei der Entsorgung wird das zu einem Problem, denn die Kleidung kann kaum recycelt werden. Im schlimmsten Fall landen Reste in der Umwelt, und dort richtet Kunststoff große Schäden an. Das gilt auch für Kleidung, die aus recyceltem Kunststoff hergestellt wird – das schont zwar Ressourcen, aber löst nicht das Entsorgungsproblem. Erst vor kurzem wiesen Wissenschaftler auf die Gefahren durch Mikroplastik hin – winzige Kunststoffteilchen, die auch von Tieren gefressen werden. Auch durch den Abrieb der Kleidung beim alltäglichen Tragen entsteht Mikroplastik.
Daher suchen Unternehmen nach neuen Materialien für ihre Fasern. Ein junges Start-up aus Wuppertal vertreibt T-Shirts aus Holz, „Woodshirts“genannt. Die Firma setzt ihrer eigenen Aussage nach auf Nachhaltigkeit: „Wir verwenden ausschließlich Materialien aus Europa und achten auf fairen Handel“, sagt Gründer Timo Beelow. Ganz ohne Baumwolle kommen die T-Shirts aber nicht aus: Zu einem Drittel bestehen sie aus Bio-Baumwolle. Auf Kunstfasern verzichten sie aber komplett. Und auch das Lösungsmittel, das bei der Faserherstellung zur Verwendung kommt, wird zu 99,3 Prozent wiederverwendet. Das Herstellungsverfahren lohnt sich Beelow zufolge auch ökonomisch, da Holz günstig und die Verarbeitung relativ simpel sei.
Die Deutsche Industrie engagiere sich für die Erforschung moderner Fasern, sagt Ingeborg Neumann, Präsidentin des Dachverbandes der deutschen Textil- und Modeindustrie: „Unsere Wissenschaftler entwickeln hoch innovative Garne und Fasern. Daraus entstehen Materialien und Produkte, die 15 Mal reißfester sind als Stahl oder Operationsgarne, die sich nach Verheilen der Wunde selbst auflösen.“16 Textil- und Forschungsinstitute arbeiten in Deutschland an solchen Projekten.