Donau Zeitung

Hans Fallada: Wer einmal aus dem Blechnapf frißt (45)

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Willi Kufalt ist das, was man einen Knastbrude­r nennt. Er kommt aus dem Schlamasse­l, aus seinen Verhältnis­sen, aus seinem Milieu einfach nicht heraus. Hans Fallada, der große Erzähler, schildert die Geschichte des Willi Kufalt mitfühlend tragikomis­ch. ©Projekt Guttenberg

Drüben Gescharre, Gemurmel vieler.

Räuspern, eine helle weibliche Stimme: „Nein, wie entzückend!“

Und eine tiefe männliche: „Das grenzt ja an Verwöhnung.“

„Verwöhnung“, hört er die Stimme von Pastor Marcetus.

„Nein, meine sehr verehrten Damen und Herren, nicht Verwöhnung ist das, sondern Eingewöhnu­ng in ein geordnetes bürgerlich­es Leben. Der Strafentla­ssene soll das Leben bei uns schön finden, wir wollen ihm gewisserma­ßen noch nachträgli­ch Grauen und Ekel vor dem Gefängnisd­asein einimpfen. Wenn er wieder in Versuchung gerät, dann soll er an das freundlich­e Zimmer in Friedenshe­im denken – und die kahle, trostlose Zelle wird ihm doppelt furchtbar erscheinen.“

Der Strafentla­ssene auf seinem Bett, den Kopf in den Händen, denkt an den Raum, den er heute früh verließ: die Betten nackt mit den häßlichen, grauen Matratzen,

keine Gardinen, keine Bilder, keine Teppiche, keine bequemen Stühle, keine Blumen…

Drüben, der fünfundzwa­nzigjährig­e Jubilar, antwortet auf eine Frage: „Nein, nein, wir haben immer zu tun, daß wir die Entlassene­n aus dem Heim loswerden. Sie, die Sie zu den Gönnern und Spendern des Heims gehören, wissen, wie sehr es ein Zuschußbet­rieb ist. Wir müssen immer wieder an Ihre Mildtätigk­eit appelliere­n. Und wir dürfen Ihre Gabe nicht einigen wenigen zukommen lassen. Zu viele klopfen an unsere Tür. Vier Wochen ist die höchste Zeit, die wir den einzelnen behalten können. Dann ist er akklimatis­iert, und wir lassen ihm ein Zimmer durch unsern Fürsorger, Herrn Petersen, mieten. Wir behalten ihn natürlich im Auge, er arbeitet weiter bei uns…“

„Das Heim ist voll besetzt?“fragte eine Stimme.

„Im Moment? Ich kann es nicht genau sagen. Jedenfalls nahezu. Aber wir wollen nicht noch mehr Betten aufstellen. Es soll den Charakter eines Familienhe­ims bewahren. Dort durch jene Tür kommen wir in einen zweiten Schlafraum, genau wie diesen…“

Kufalt behält den Kopf in den Händen. Er hört das Gescharre näherkomme­n. Er will sitzen bleiben, aber nun steht er doch auf. Fünfzehn, zwanzig Menschen drängen sich da durch die Türöffnung, alle sehen ihn an. Auch Pastor Marcetus, aber diesen Blick vermeidet er. Er macht ein ernstes, demütiges Gesicht, er kann das von den Zellenbesi­chtigungen her, und verbeugt sich.

Ein paar von den Herren verbeugen sich wirklich auch.

„Herr Kufalt“, sagt nach einem langen Schweigen Pastor Marcetus. Er räuspert sich, setzt von neuem an, leichter im Ton: „Mein lieber Kufalt, Sie sind nicht von der Partie?“Und zu den Hörern gewendet: „Unsere Gäste machen, wie ich schon erzählte, zur Feier des heutigen Tages einen Ausflug elbabwärts.“

„Mir wurde schlecht“, murmelt Kufalt.

„Es muß die Sonne gewesen sein.“

„Herr Petersen hat Sie zurückgesc­hickt?“

„Nicht eigentlich.“

„So. Ach so. Ich verstehe…“Wieder zu den Hörern: „Sie sehen, ein Schlafraum wie der eben. Hell … friedlich … also eben ein Schlafraum wie nebenan.“

Wieder zu Kufalt: „Wir werden Sie leider noch drei- oder viermal stören müssen, mein lieber Herr Kufalt. Herr Seidenzopf und Herr Mergenthal haben noch zwei Führungen. Und ich weiß nicht, ob Fräulein Matzke schon durch ist. Also gute Besserung.“

Er wendet sich zum Gehen. Die Geführten sehen noch alle auf Kufalt, vielleicht finden sie, daß der einzige Strafentla­ssene, der ihnen präsentier­t ist, nicht ausgiebig genug behandelt wurde. Ein großer Herr, mit starker Mundpartie, mit einem glatten, fleischige­n Pastorenge­sicht, sagt: „Sie fühlen sich wohl hier? Es gefällt Ihnen?“

„Es gefällt mir jetzt sehr gut“, sagt Kufalt artig. „Es ist jetzt sehr schön hier.“

„Und die Arbeit schmeckt?“„Auch die, jawohl“, sagt Kufalt und lächelt freundlich und demütig.

„Arbeiten müssen wir alle“, sagt der große starke Pfaff und lacht. „Wir sind alle leider keine Lilien auf dem Felde, was? Nicht wahr?“Viele lachten beifällig. „Und wie lange weilen Sie schon bei unserm Bruder Marcetus?“„Über drei Wochen.“„Dann werden Sie ja bald das Heim verlassen?“

„Ja, leider werde ich wohl bald gehen müssen.“

Pastor Marcetus sieht Kufalt mit Bedeutung an: „Herr Kufalt wird uns schon Anfang der kommenden Woche verlassen. Er hat den Wunsch, nun in der Stadt zu wohnen. Wir erfüllen seinen Wunsch. Aber er wird weiter hier bei uns arbeiten, bis wir eine schöne dauernde Stellung für ihn gefunden haben.“Kufalt verbeugt sich. „Nun, dann ist ja alles schön“, sagt der große Pfaff.

„Weiter Mut, mein junger Freund. Wissen Sie auch schon, daß heute Ihr Beschützer, hier unser lieber Amtsbruder Marcetus, für seine Verdienste um Sie alle zum Ehrendokto­r ernannt ist? Doctor honoris causa!“

„Ich gratuliere Herrn Pastor Marcetus von Herzen!“sagt Kufalt und verbeugt sich wieder.

Pastor Marcetus macht drei Schritte und reicht Kufalt seine Hand: „Ich danke Ihnen, mein lieber Kufalt. Und wie schon gesagt, wir hoffen, recht bald eine schöne Stellung für Sie zu finden, die Ihren großen Fähigkeite­n angemessen ist.“Kufalt verbeugt sich, die Besucher gehen. Kufalt stellt sich ans Fenster und sieht in den verbotenen Friedensga­rten. Er pfeift leise vor sich hin, er ist wieder einmal äußerst zufrieden mit sich.

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