Trugbilder: „Ikon“von Simon Schwartz
Comic Kunst Simon Schwartz mögen viele immer noch nicht kennen (was nicht schlimm, aber doch schade ist) – seine Comics und Illustrationen jedoch dürften Leser der Wochenzeitungen der Freitag oder der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung auf den ersten Blick erkennen. Schwartz, den man vom 31. Mai bis einschließlich 2. Juni auf dem Internationalen Comic-Salon Erlangen treffen kann, hat einen unvergleichlichen Stil – so unvergleichlich etwa wie der des Illustrators Christoph Niemann. Seine Bilderwelten zeichnen sich durch grafische Klarheit aus, scharfe Kontraste und (punktierte) Flächen.
Besonders macht vor allem seine ComicKunst der Ansatz, Biografien zu verarbeiten. Bei „Packeis“aus dem Jahr 2012 etwa orientierte er sich am Leben der Polarforscher Matthew Henson, Robert Peary und Frederick Cook. Für den Deutschen Bundestag ging er dem Leben von 20 Parlamentariern nach – vom Präsidenten der Frankfurter Nationalversammlung, Heinrich von Gagern, bis zur AWO-Gründerin Marie Juchacz. Seine ComicBlätter über sie waren in der Abgeordnetenlobby des Reichstagsgebäudes bis Ende Januar zu sehen; Comic-Biografien mit Abgeordneten von 1933 bis 1990 und ein Buch, „Das Parlament“, sollen folgen.
Im kürzlich erschienenen Werk „Ikon“erzählt Schwartz von Anastasia Romanowa, der jüngsten Tochter des russischen Zaren Nikolaus II., der mitsamt seiner Familie interniert und im Juli 1918 von den Bolschewiki hingerichtet wurde. Bei Schwartz, der fast sechs
Jahre an dieser Graphic Novel gearbeitet hat, taucht Anastasia (oder zumindest eine junge Frau, die ihr sehr ähnelt) 1920 in Berlin auf – was zu allerlei Aufgeregtheiten führt. Die echte Anastasia hatte ihre Kindheit mit Gleb Botkin, dem Sohn des Leibarztes des Zaren, verbracht, der sie in „Ikon“vergöttert (Bild links). Schwartz lässt nun die vermeintliche Anastasia und Botkin Jahre später wieder aufeinandertreffen und verschafft sogar dem „rasenden Reporter“Egon Erwin Kisch (Bild rechts) einen kleinen Auftritt. Das Faszinierende und für jüngere Leser kaum zu Glaubende daran ist, dass sich Schwartz’ Comic-Roman eng an die wahren Begebenheiten hält. Seine Protagonisten sieht man auf Fotos im Anhang – ebenso wie Abbildungen von Botkins Kinderzeichnungen, mit denen er die Zarenkinder während der Zeit in der Gefangenschaft aufmunterte. Botkin überlebte und wurde in den USA Illustrator sowie Gründer und Erzbischof der neuheidnischen „Church of Aphrodite“. Ein Plot, den man keinem Drehbuchschreiber heute abnehmen würde. Zu unglaubwürdig!
Schwartz’ „Ikon“endet in einem albtraumhaften, surrealen Finale, in dem Vergangenheit und Gegenwart, Realität und Fiktion verschmelzen. Spätestens das macht seine ambitionierte Graphic Novel, die zwar manche inhaltliche Länge hat, zu einer der bildgewaltigsten der vergangenen Jahre.
„Ikon“erzählt vom Glauben an das, was man glauben will. Von trügerischen Wahrheiten. Von Bildern – Ikonen, Zeitungsfotos, Filmplakaten – und ihrer Macht, ihrer Wirkung. Bilden Bilder „die Wahrheit“ab oder sind sie manipuliert? Manipulieren sie uns?
Um mit Bildern richtig umgehen zu können, braucht es Wissen – Medienkompetenz. Insofern ist „Ikon“auch ein Kommentar zu unserer gegenwärtigen medialen (Bilder-) Welt, in der Instagram-Stories, Memes oder Fake News massenhaft verbreitet werden und von vielen als wahr angesehen werden.